Den Rechten entgegen in der Krise

Linke Großdemo stellt Forderungen zur sozialen Bewältigung der Energiekrise

  • Felix Schlosser
  • Lesedauer: 4 Min.
Linker Krisenprotest – Den Rechten entgegen in der Krise

Anspannung und Erwartung der Teilnehmer*innen waren am Versammlungsort auf der Spandauer Straße am Alexanderplatz greifbar. »Endlich. Ich finds richtig, dem ganzen rechten Geplänkel mal etwas anderes entgegenzusetzen«, erklärt ein Teilnehmer der von hier aus startenden »Umverteilen«-Demonstration am Samstagmittag im Gespräch mit »nd«.

Bisher ließen die linken Krisenproteste auf sich warten: Während in brandenburgischen Städten Montag für Montag zeitweise insgesamt bis zu 100 000 Menschen, oft unter Beteiligung der AfD oder anderen Rechten auf den Straßen waren, um gegen die Auswirkungen der Inflation und unkritisch für »Frieden mit Russland« zu demonstrieren, waren von linken Gruppen deutlich weniger Kundgebungen, oft auch eher als kleine Einzelaktion, zu sehen. Es fehlte an hohen Teilnahmezahlen und Kontinuität.

Auch die Anläufe der Linkspartei in Leipzig Anfang September konnten zwar einmalig einige tausend Protestierende auf ostdeutschen Straßen versammeln, im Anschluss gelang es aber nicht mehr, Zahlen in dieser Größenordnung zu erreichen. Ebenso die in Berlin durchgeführten Kundgebungen unter dem Motto »Heizung, Brot und Frieden«, die im September vor der Zentrale der Grünen, im Oktober auf dem Potsdamer Platz stattfanden, brachten nur einige Hundert auf die Straße. Es schien, als ob trotz der sich stark ähnelnden Forderungen jede Gruppe ihr eigenes Süppchen koche.

Einen anderen Weg ging nun das Bündnis »Umverteilen«, dass am vergangenen Samstag zu einer Großdemonstration aufgerufen hatte an der sich bis zu 7000 Menschen beteiligten. Wochenlang hatten Aktivist*innen des Bündnisses verschiedene Vorab-Aktionen durchgeführt, darunter Kiez-Versammlungen, Späti-Flyer-Touren, gemeinsames Transparentemalen und kleinere Demos. Sogar in U-Bahnen hatte es Werbung in den »Berliner Fenstern« gegeben.

Mehr als 50 verschiedene Gruppen, darunter die globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation Attac, Mieter*innengruppen, Klimagerechtigkeitsgruppen, bis hin zu antifaschistischen Gruppen beteiligten sich am Aufruf. Parteien sind explizit kein Teil des Bündnisses. Die Berliner Linke konnte aber am Schluss in einem eigenen kleinen Block mit Fahnen an der Demonstration teilnehmen. Trotz der Vielzahl an Bündnissen und Gruppen gelang es, sich auf realpolitische Forderungen zu einigen. Diese beinhalten neben einem Preisdeckel für Strom, Heizkosten und Mieten, auch eine Besteuerung von Reichtum, sowie eine Übergewinnsteuer. Zudem stehen höhere Renten, Löhne und Sozialleistungen, sowie kostenloser öffentlicher Nahverkehr für alle auf dem Programm.

An der Spitze der in acht inhaltliche Blöcke aufgeteilten Demonstration lief daher das Sozialbündnis »Nicht auf unserem Rücken«. Dahinter folgten zahlreiche Mieter*inneninitiativen, darunter die Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen, aber auch Obdachlosen-Organisationen. Mitglieder der Mieterwerkstatt Charlottenburg machten auf den Leerstand im Stadtteil aufmerksam. Sie trugen Schilder mit den Adressen leerstehender Gebäude wie Katharinenstraße 114 oder Fasanenstraße 64. Hiernach folgte ein autonomer Block, der zwischenzeitlich von Polizeieinsatzkräften im Spalier begleitet wurde. Darüber hinaus gab es noch den Carerevolution-Block, in dem sich Arbeitende im Gesundheitswesen zusammenfanden, einen Block des Bündnisses »Ihr seid keine Sicherheit«, dass die Umtriebe in deutschen Sicherheitsbehörden und deren Aufrüstung kritisierte, sowie einen Klimagerechtigkeits-Block. Am Schluss reihten sich Studierende, Vertreter*innen des Bündnisses »Genug ist Genug« und die Linkspartei ein.

Dabei waren nicht nur die Blöcke und Themen auf der Demonstration vielfältig. Der Kreis der Teilnehmer*innen reichte von Familien, Klimaaktivist*innen, Schüler*innen und Antifa-Aktivist*innen bis hin zu Gewerkschafter*innen der IG Metall und der IG Bau. »Das ist eine schöne kämpferische Demo«, bemerkte unterwegs ein Bibliotheksangestellter, der bei einer Basisgewerkschaft organisiert ist. Den Schwung der Demonstration wünsche man sich auch bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, bei denen es darum gehe, dass die Krisenkosten nicht auf die einzelnen Arbeitenden und Angestellten abgewälzt werden sollen, hieß es.

Die Demonstration startete nach einer einstündigen Auftaktkundgebung gegen 14 Uhr am Alexanderplatz, führte durch Mitte und endete gegen 16 Uhr an der Gneisenaustraße in Kreuzberg. Vorbei ging es unter anderem am Finanzministerium, sowie am Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der Berliner SPD. Als der Zug letztere passiert hatte, blieben einige Farbreste daran zurück, die wohl in Form von Farbeiern ihren Weg an die frisch geputzte Fassade gefunden hatten. Als die Versammlung am Mehringdamm endete, zeigten sich Teilnehmende und Organistator*innen gleichermaßen zufrieden.

»Wir sind hoffnungsvoll, weil so viele Menschen mit uns auf der Straße waren. So muss es weitergehen!« sagte Pressesprecherin Toni Michels nach der Demonstration hocherfreut im Gespräch mit »nd«. Man habe eine breite Bewegung für eine Umverteilung von oben nach unten auf der Straße gesehen.

Auch als sich die Teilnehmenden nach der Demonstration nach und nach entfernen, schallte es noch wütend vom Lautsprecherwagen: »Hoch mit den Löhnen, runter mit der Miete!« Ob diese Forderungen in Erfüllung gehen, hängt auch davon ab, ob sich linke Krisenproteste dauerhaft weiter etablieren können. Am kommenden Freitag wollen sich ab 17 Uhr am Hermannplatz erneut Linke gegen die Inflation versammeln.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -