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Aufrüstung mit Hindernissen
Bundeswehr wird sich trotz Sondervermögen nicht alle Wünsche erfüllen können
Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr sei »die richtige Antwort auf die Zeitenwende«, die durch Russlands Überfall auf die Ukraine begonnen habe. Das hatte Bundeslanzler Olaf Scholz am 27. Februar im Bundestag postuliert. Und mit dem Versprechen, künftig mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes ins Militär zu leiten, hat er der Truppe bereits Hoffnung auf mehr als nur eine Vollausstattung gemacht. Das Parlament zog mit und beschloss noch vor der Sommerpause ein sogenanntes Beschaffungsbeschleunigungsgesetz. Derweil entwarf man im Verteidigungsministerium – sehr zur Freude der Industrie, die ihrerseits sogar »Initiativangebote« unterbreitete – Wunschlisten, die der Bundesrechnungshof unlängst als »Überplanung« kritisierte. Zugleich versuchte man das Machbare im Haushalt 2023 unterzubringen.
In der Nacht zum Freitag beschloss dann der Haushaltsausschuss des Bundestages unter anderem auch den Wehretat für das kommende Jahr. Er umfasst 58,5 Milliarden Euro. 50,1 Milliarden kommen aus dem regulären Verteidigungshaushalt, nur 8,4 Milliarden stammen aus dem Sondervermögen. Das klingt angesichts der lauten Forderungen bescheiden. Wie kommt das?
Das von Christine Lambrecht (SPD) gelenkte Verteidigungsministerium mag den Vorwurf von »Schneckentempo« nicht akzeptieren. Alles laufe so schnell wie noch nie, ist von dort zu hören. Dass noch nicht eines der geplanten Großprojekte unterschriftsreif ist, habe viele Ursachen. Dabei schaut man grimmig auf einige Hersteller. Die können offenkundig viele Dinge einfach nicht oder nicht so rasch wie gefordert liefern. Zum Teil aus objektiven Gründen: Hochkomplexe Waffensysteme lassen sich nicht über Nacht zusammenleimen. Auf Lenkflugkörper muss die Truppe beispielsweise ein oder zwei Jahre warten. Zudem gibt es Kapazitätsgrenzen. Beispiel Munition: Die Masse wird derzeit hauptsächlich und vor allem gewinnbringend in Richtung Ukraine versandt. Die Führung der deutschen Streitkräfte schätzt den eigenen Bedarf auf einen Wert von etwa 20 Milliarden Euro. Aktuell ist man guter Hoffnung, in den kommenden zwei Jahren Lieferungen im Wert von gut zwei Milliarden Euro zu erhalten. Das sei eine langfristig solide Basis.
Bei einer aktuell rund zehnprozentigen Inflationsrate fragt sich indes: Was bekommt man künftig noch fürs selbe Geld? Sold, Betriebskosten und Preise steigen, hinzu kommt die Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar. Der Wechselkurs wird insbesondere bedeutsam, weil die Bundeswehr sich – wie viele andere europäische Nato-Verbündete – zunehmend mit rasch verfügbarem Material »von der Stange« aus den USA rüstet.
In den vergangenen Wochen kamen aus verschiedenen Bereichen der Bundeswehr Klagen darüber, dass Projekte gestrichen, auf geheime Wartelisten oder in den regulären Haushalt 2023 verschoben wurden. Vor allem bei der Marine ist man arg enttäuscht: Zwei zusätzlich geplante Fregatten werden nicht gebaut. Doch allein die vier bestellten 126er Schiffe, deren Bau 2023 beginnt, werden rund 5,6 Milliarden Euro kosten. Ursprünglich sollten aus dem Sondervermögen auch weitere K-130-Korvetten finanziert werden. Doch auch diese Vorhaben sind vorerst gestrichen. Beim von Diehl und Thyssen-Krupp Marine System geplanten Flugkörper IDAS, der U-Boote vor Angriffen aus der Luft schützen soll, werden nur noch die Entwicklungskosten ins Sondervermögen übernommen. Selbst der Kauf von zwei weiteren U-Booten des Typs 212, der zu einem mit Norwegen geplanten Vorzeigeprojekt gehört, ist angeblich unsicher.
Problemlos scheint die Beschaffung der 35 F-35-Atombomber aus den USA zu laufen. Die Orderlisten für schwere Transporthubschrauber werden gerade durch US-Regierungsbüros gereicht. Ob die Luftwaffe aber weitere »Eurofighter« unter anderem für den elektronischen Kampf bekommt, ist fraglich.
Die qualitativen Probleme beim Schützenpanzer »Puma« scheinen die Hersteller indes in den Griff zu bekommen. Doch eine weitere Bestellung ist obsolet. Zudem weiß das Heer nicht, ob und wann woher wie viele neue Kampf- und Transportpanzer in bedürftige Bataillone rollen.
Klar ist, dass es neben der weiteren Ausstattung mit »Boxern« einen Nachfolger für den Transportpanzer »Fuchs« geben soll. Kostenpunkt: drei bis vier Milliarden Euro. Im Moment testet die Truppe ein Modell aus Finnland. Die Fuchs-Nachfolge-Finanzierung wird aber nicht wie zunächst geplant aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen erfolgen, sondern muss aus dem regulären Wehretat gesichert werden. Unsicher ist, wann es für die an die Ukraine abgegebenen Panzerhaubitzen Ersatz gibt. Hinzu kommen zahlreiche andere Probleme, die den deutschen Beitrag zum »New Force Model« der Nato in Frage stellen.
Noch ein weiteres Ärgernis macht der Regierung in Berlin zu schaffen. Ausgerechnet die viel gepriesene Rüstungskooperation mit Frankreich, die als Vorbild für mehr europäische Kooperation im Bereich Verteidigung dienen sollte, scheint zu scheitern. Damit scheint die Zukunft des gemeinsamen Kampfflugzeugsystems FCAS sowie die Entwicklung einer Euro-Drohne ungewisser denn je. Auch die vereinbarte Kooperation beim Bau von Landsystemen kommt nicht voran.
Selbst wohlwollende Experten warnten frühzeitig, dass bis zu einem Drittel des 100-Milliarden-Euro Sondervermögens verschleudert werden könnte, denn die immer wieder beklagten Mängel bei der Ausrüstung der Bundeswehr seien weniger fehlendem Geld, sondern vor allem einer mangelnden Effizienz bei der Beschaffung zuzuschreiben. So wird eines nicht allzu fernen Tages der letzte Euro aus dem Sondervermögen verprasst sein.
Dann wird man Olaf Scholz an seinen Auftritt bei der Bundeswehrtagung im September erinnern. Dort hatte er versprochen: »Eine gut ausgerüstete Bundeswehr, die ihren Auftrag zum Schutz unseres Landes erfüllen kann, ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Dafür stehe ich als Bundeskanzler. Darauf können Sie sich verlassen!«
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