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Bürgergeld schützt nicht vor Armut
Für Dierk Hirschel ist die Abschaffung von Hartz IV notwendig. Er plädiert für ein armutsfestes Bürgergeld.
Der Schutz vor Arbeitslosigkeit war einmal eine große Errungenschaft unseres Sozialstaats. Ein hohes Arbeitslosengeld, eine lange Bezugsdauer und ein hoher Qualifikationsschutz sollten den Erwerbsarbeitszwang lindern. Dadurch sollte der strukturell schwächeren Verhandlungsposition der Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt sozialpolitisch entgegengewirkt werden.
Die Hartz-Gesetze brachen mit dieser fortschrittlichen Tradition. Erwerbslose durften fortan keinen Job ablehnen, der nicht ihrer Qualifikation entsprach oder unter Tarif bezahlt wurde. Wer bei diesem staatlich geförderten Lohndumping nicht mitspielte, riskierte massive Leistungskürzungen. Die Hartz-Gesetze verschärften die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Sie schwächten die Verhandlungsmacht der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften. Wer seinen Job verlor, dem drohte nach einem Jahr der Sturz in den Armutskeller. Der drohende soziale Abstieg machte ganze Belegschaften lohnpolitisch erpressbar. So wurde Hartz IV zu einer wichtigen institutionellen Stütze des heimischen Niedriglohnsektors.
Die gewerkschaftliche Kritik an den Hartz-Gesetzen war immer auch eine Kritik an der herrschenden Sicht auf den Arbeitsmarkt. Nach neoliberaler Auffassung ist Arbeitslosigkeit immer freiwillig und somit individuell verschuldet. Wer keine Arbeit hat, muss nur bereit sein, für weniger Geld zu arbeiten, dann findet er auch einen Job. Das ist die Logik der verschärften Zumutbarkeitsregeln und niedrigen Regelsätze.
Arbeitslosigkeit ist aber kein Problem zu hoher Löhne, sondern zu geringer gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Spätestens seit John Maynard Keynes wissen wir, dass Arbeitslosigkeit nicht auf dem Arbeitsmarkt, sondern auf den Waren- und Gütermärkten entsteht. Arbeitslosigkeit ist eine Krisenerscheinung des Kapitalismus. Da hilft kein individuelles Fordern und Fördern, sondern nur wirtschaftspolitisches Krisenmanagement.
Das neue Bürgergeld soll nach Auffassung der Ampel-Koalition den arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Irrweg der Hartz-Gesetze beenden. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will mit dem Bürgergeld die Würde des Einzelnen achten und die gesellschaftliche Teilhabe besser fördern. Und tatsächlich enthält der aktuelle Gesetzentwurf substanzielle Verbesserungen gegenüber dem alten Hartz-IV-System. Qualifikation soll Vorrang vor schneller Vermittlung bekommen. Bedürftige sollen nur noch durch langsamere und schwächere Sanktionen – maximal 30 Prozent – gegängelt werden. Zudem ist geplant, die Schonvermögen in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezugs zu erhöhen und den Schutz der eigenen Wohnung zu verbessern. Beabsichtigt wird dadurch, die sozialstaatlichen Sicherheitsversprechen zu stärken. Soweit so gut.
Das Bürgergeld, das am Montag im Bundesrat am Widerstand der Unionsparteien zunächst gescheitert ist, schützt aber nicht vor Armut und Ausgrenzung. Die geplante Erhöhung des Regelsatzes um 53 Euro auf 502 Euro reicht vorne und hinten nicht. Sie ist lediglich ein Inflationsausgleich. Ohne Erhöhung auf armutsfeste 650 Euro ist das Bürgergeld kein soziales Fortschrittsprojekt. Des Weiteren dürfen Sanktionen nicht dazu führen, dass das Existenzminimum unterschritten wird. Solange die Regelsätze nicht armutsfest sind, verbieten sich daher Kürzungen.
Darüber hinaus sollten zukünftig nur noch Arbeitsverhältnisse als zumutbar gelten, die tariflich entlohnt und sozialversicherungspflichtig sind. Zudem ist die Einführung eines Qualifikationsschutzes notwendig. Bürgergeldempfängerinnen sollten nur in erlernte Berufe oder vergleichbare Qualifikationsniveaus vermittelt werden. Ferner müssen die Mittel der Jobcenter erhöht und die dortigen Arbeitsbedingungen verbessert werden, sodass eine bürgerfreundlichere Arbeitsweise möglich wird. Kurzum: Das Bürgergeld ist zweifelsohne ein Fortschritt gegenüber Hartz IV. Für eine soziale Absicherung von Erwerbslosen, die vor Armut schützt und gute Arbeit konsequent fördert, muss Berlin aber noch nachbessern.
Dierk Hirschel ist Chefökonom der Dienstleistungsgewerkschaft verdi.
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