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Auf gleicher Höhe
Die deutschen Fußballerinnen verlieren in den USA, sehen sich aber auf einem guten Weg zur WM nächstes Jahr
Am Anfang war das breite Grinsen von Ann-Katrin Berger, zwischendrin das schmerzverzerrte Gesicht von Lena Oberdorf und am Ende die enttäuschte Miene von Alexandra Popp: Zum Abschluss eines bewegenden Länderspieljahres illustrierten Ersatztorhüterin, EM-Shootingstar und Torjägerin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft die ganze Bandbreite an Gefühlen, die sich aus dem zweiten Härtetest beim Weltmeister USA (1:2) ergaben. Die verdiente, aber doch vermeidbare Niederlage in Harrison – drei Tage nach dem Sieg in Fort Lauderdale (2:1) – schien Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nicht sonderlich zu stören. Zum einen, weil die Eindrücke eines »abwechslungsreichen, intensiven und erfolgreichen Jahres« ja nicht verblassen. Zum anderen überstrahlten Bergers Glücksgefühle das letzte Länderspiel 2022.
Nur drei Tage nach dem EM-Finale in Wembley hatte Deutschlands dritte Torhüterin erfahren, dass bei ihr der Schilddrüsenkrebs zurückgekehrt war, den sie 2018 doch überwunden geglaubt hatte. Bereits während des Turniers hatte es nach einer Routineuntersuchung in London Hinweise gegeben, dass etwas nicht stimmt. Die 32-Jährige machte danach eine Radiojodtherapie, nimmt seitdem radioaktive Tabletten und spielt seit Ende September wieder für den FC Chelsea. Ihr vierter Einsatz im Dress des Deutschen Fußballbunds (DFB) zauberte ihr bei der Nationalhymne ein Dauerlächeln ins Gesicht. »Das sind die eigentlich wichtigen Momente, die wir hier mitnehmen«, sagte später auch Trainerin Voss-Tecklenburg.
Die hochintensive, teils sogar hitzige Auseinandersetzung vor 26 317 Zuschauern besaß nie den Charakter eines Freundschaftsspiels. Dafür stand für den vierfachen Weltmeister nach drei Niederlagen unter dem nervös Kaugummi kauenden Nationaltrainer Vlatko Andonovski zu viel auf dem Spiel. Leidtragende der diesmal also viel robusteren Zweikämpfe war die deutsche Mittelfeldabräumerin Lena Oberdorf, die nach einem Sturz mit einer Schulterverletzung zum Röntgen ins Krankenhaus musste. Das Ausscheiden der 20-jährigen Leistungsträgerin vom Meister VfL Wolfsburg nach 33 Minuten sorgte für einen »kleinen Bruch« (Voss-Tecklenburg) nach einem bis dahin beeindruckenden Auftritt der deutschen Elf.
Hätte das Team die anfängliche Dominanz, Präsenz und Passsicherheit wirklich durchgehalten, würde Vize-Europameister Deutschland wohl schon heute als einer der Topfavoriten der WM in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August 2023) gelten. Nach der Pause erlebten die DFB-Frauen mit zehn EM-Teilnehmerinnen in der Startelf allerdings, dass kleine Fehler gegen die US-Amerikanerinnen böse Folgen haben. Einmal traf die mit zunehmender Spieldauer verunsicherte Abwehrchefin Sjoeke Nüsken den Ball nicht richtig, einmal ging die wieder als Außenverteidigerin zweckentfremdete Nicole Anyomi dem Spielgerät nicht entschlossen genug entgegen: Prompt hatten Sofia Smith (54.) und Mallory Pugh (56.) die Partie gedreht. Der eingewechselten Torhüterin Almuth Schult trieben die Aussetzer ihre Vorderleute die Zornesröte ins Gesicht. Die für ihren neuen US-Arbeitgeber Angel City FC nur einmal eingesetzte 31-Jährige verhinderte sogar noch weitere Gegentore.
Dennoch war Jule Brand, die Deutschland in Führung gebracht hatte (18.), nicht unzufrieden. »Das war eine coole Erfahrung und sehr geile Stimmung«, meinte die 20-Jährige. Außerdem sei man nun endgültig auf gleicher Höhe mit den Allerbesten: »Das ist der amtierende Weltmeister – und wir haben gesehen, wir können da mithalten. Das soll uns Mut machen und zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind.« Ein paar Fehltritte sind jetzt noch nicht so wichtig. Voss-Tecklenburg hatte solche »Erfahrungen für die Zukunft« sogar vorher eingefordert: Den bei Eintracht Frankfurt nicht international spielenden Akteuren wie Nüsken und Anyomi, erst 21 und 22 Jahre alt, stehe sie diese Fehlertoleranz zu, sagte die 54-Jährige. »Sonst haben sie nicht die Chance, in die Aufgaben reinzuwachsen.«
Wäre ja auch langweilig, wenn die tatendurstige Cheftrainerin keine Arbeit mehr hätte. Voss-Tecklenburg verbuchte bei der USA-Reise auch die »kleinen Widerstände« außerhalb des Platzes als Lerneffekt: abgebrochene Trainingseinheiten wegen Hurrikan-Warnung, ein verspäteter Zwischenflug, ein kaputter Bus und zweimal falscher Feueralarm. Besonders die Topkräfte aus Wolfsburg und München hätten darauf gerne verzichtet, da bis Weihnachten ein anspruchsvolles Programm mit einigen Highlight-Spielen in den wegen der Männer-WM in Katar verwaisten großen Arenen wartet.
Bei der Nationalelf geht es erst im Februar 2023 mit einem Trainingslager in Spanien und einem Heimländerspiel weiter. Spätestens zu den Frühjahrsterminen soll es wegen der WM-Gruppe mit Marokko, Kolumbien und Südkorea unbedingt gegen weitere Gegner von anderen Kontinenten gehen. Schon jetzt aber gab sich Voss-Tecklenburg »sehr optimistisch, was die Entwicklung Richtung WM 2023 angeht«.
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