- Berlin
- Wahlalter 16 und Ausländerwahlrecht
Für alle, die nicht wählen dürfen
Die Volksinitiative »Demokratie für alle« fordert das Wahlrecht ab 16 und für Nichtdeutsche
Inklusion und Teilhabe – so fasst Eleonora Cirsota die Ziele der Volksinitiative »Demokratie für alle« zusammen. Sie und drei weitere sogenannte Vertrauenspersonen haben am Montag im Innenausschuss die Forderungen ihrer Initiative an die Abgeordneten herangetragen. Das Bündnis aus Gruppen wie Klimaneustart Berlin, Berlin autofrei, Deutsche Wohnen & Co enteignen und Mehr Demokratie e.V. will das Wahlrecht ausweiten und Barrieren abbauen. Ziel ist es, Minderjährigen, Nichtdeutschen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität die Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen.
Bereits im Juni reichte die Initiative über 25 000 Unterschriften ein, im August erklärten die Bezirksämter 21 500 für gültig. Damit erfüllte die Initiative das notwendige Quorum von 20 000 Unterschriften und darf sich nun im Innenausschuss vorstellen. Im Anschluss werden die Vorschläge im Abgeordnetenhaus debattiert. Im Gegensatz zu Volksentscheiden entstehen aus erfolgreichen Volksinitiativen aber keine politischen Verpflichtungen. Dafür ist diese Form des Plebiszits niedrigschwelliger: Es sind weniger Unterschriften notwendig, unterschreiben dürfen alle Einwohner*innen ab 16 Jahren – eine zum Inhalt passende Methode, wenn es um eine allgemeine Ausweitung und Demokratisierung des Wahlrechts geht.
Die Volksinitiative stellt drei zentrale Forderungen: Erstens soll Berlin das Wahlalter nicht mehr nur auf Kommunalebene, sondern für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und für Volksentscheide auf 16 absenken. Miguel Góngora, Vertrauensperson und Mitglied der Generationenstiftung, nennt die Absenkung im Ausschuss ein »zentrales Instrument«, um Themen von Kindern und Jugendlichen in die Parlamente zu tragen. In seinen Augen würde das Wahlrecht ab 16 zur politischen Bildung junger Menschen beitragen und Machtgefälle zwischen Kindern und Erwachsenen etwas reduzieren.
Mit dieser Forderung rennt die Volksinitiative eigentlich offene Türen ein: Im Koalitionsvertrag ist das Wahlalter 16 verankert, mit der FDP im Boot stand der Zweidrittelmehrheit für eine entsprechende Verfassungsänderung nichts mehr im Wege. Seit sich eine Wahlwiederholung abzeichnet, will die FDP allerdings die Neuwahlen abwarten. Der FDP-Abgeordnete Björn Jotzo zeigt sich im Innenausschuss zwar zuversichtlich, dass das »wichtige gemeinsame Ziel« umgesetzt wird. Ob allerdings die notwendige Mehrheit mit einer neuen parlamentarischen Zusammensetzung erreicht wird, ist nicht gesagt. David Spitzl, Sprecher des Landesjugendrings Berlin, ärgert sich deshalb über die Verzögerung. »Im April hieß es, bis Ende des Jahres wird abgesenkt. Warum es dann so verschleppt wurde, frage ich mich schon.«
Die zweite Forderung der Initiative betrifft das Wahlrecht von Menschen ohne deutschen Pass. Aktuell können EU-Bürger*innen nur auf Kommunalebene wählen, Menschen aus Nicht-EU-Ländern sind ausgeschlossen. Die Initiative fordert den Senat auf, mit einer Bundesratsinitiative eine Änderung des Grundgesetzes vorzuschlagen – die Koalitionsfraktionen haben bereits einen entsprechenden Antrag gestellt.
»Wir wollen damit die Debatte im Bund befeuern, weil sich um dieses Thema sonst niemand kümmert«, sagt Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Eralp hofft auf eine baldige Umsetzung, sieht aber auch, dass die Senatsverwaltungen mit der voraussichtlichen Wahlwiderholung und dem Nachtragshaushalt viel zu tun haben. Ohnehin hält sie eine derartige Wahlrechtsreform auf Bundesebene für unwahrscheinlich. »Es gibt dafür einfach nicht die Mehrheiten.« Wichtiger ist ihr deshalb die rechtliche Prüfung auf Landesebene, um das Wahlrecht nichtdeutscher Berliner*innen in der Landesverfassung zu verankern. Bald werde dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben, erzählt Eralp. 20 Prozent aller volljährigen Berliner*innen dürften zurzeit nicht wählen. In Bezirken wie Neukölln oder Friedrichshain-Kreuzberg seien es sogar rund 40 Prozent. »Diese Diskriminierung muss einfach aufhören«, sagt Eralp. »Wir gehen als progressives Berlin unseren eigenen Weg.«
Drittens geht es der Volksinitiative darum, digitale Unterschriftensammlungen für Volksbegehren zu ermöglichen. Die »elektronische Eintragungsmöglichkeit« soll das Unterschriftensammeln auf der Straße nicht ersetzen, sondern ergänzen – und Menschen mit Behinderung die politische Teilhabe erleichtern, wenn sie etwa keinen Infostand besuchen oder nicht mit Sammler*innen ins Gespräch kommen können.
Was dagegen spricht? »Das fragen wir uns auch«, sagt Oliver Wiedmann, Sprecher des Vereins Mehr Demokratie, zu »nd«. »Der Impuls kam aus der Verwaltung«, erzählt er, denn die Bezirksämter kämen bei parallel laufenden Volksbegehren nicht mit dem Prüfen der analogen Unterschriften hinterher. Grüne, SPD und Linke unterstützten das Vorhaben vor der Wahl, trotzdem sei es in den Koalitionsverhandlungen »versenkt« worden. »Dabei wäre es eine Win-Win-Situation für die Wähler*innen wie für die Ämter.«
Elif Eralp vermutet, dass die SPD die unkompliziertere Digitalsammlung verhindern will, weil der erfolgreiche Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen sie in Bredouille brachte. »Das würde natürlich Barrieren senken und dazu führen, dass es mehr Volksbegehren gibt. Davor hat die SPD Angst.«
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