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- Iran-Proteste und die Fußball-WM
Zwischen den Mühlsteinen
Irans Frauen hoffen auf starke Botschaften ihres Nationalteams bei der Fußball-WM
An die vergleichsweise unbeschwerten Tage des Sommers 2018 erinnert sich Zahra Farzeli gerne. »Man hat sich mit Familien und Freunden getroffen, die Straßen waren fast leer«, erzählt die inzwischen nach Deutschland geflohene Fußballerin und Aktivistin. Man verfolgte gemeinsam in ihrer Heimatstadt Teheran, wie sich die iranische Nationalmannschaft bei der WM in Russland schlug. Schon damals waren es keine unpolitischen Spiele: Vor allem Exil-Iraner nutzten die Partien in St. Petersburg, Kasan und Saransk, um zu zeigen, dass Abertausende Männer und Frauen gemeinsam schauen und feiern können. Unverschleiert und unbeschwert. Die in den Landesfarben geschminkten Gesichter der Frauen gingen um die Welt.
Über den Fußball sollte der erzkonservative Klerus aufgefordert werden, sich zu bewegen. Das »Team Melli« schied damals zwar in der Gruppe mit Portugal und Spanien unglücklich aus, erreichte aber, dass das Stadionverbot für Frauen zumindest teilweise aufgeweicht wurde. Heute weiß die Welt, dass alles nichts gebracht hat. Im Gegenteil: Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini Mitte September nach der Verhaftung durch Irans Sittenpolizei hat das Land in Aufruhr versetzt. Die andauernden Proteste strahlen unweigerlich auch nach Katar aus.
Zahra Farzeli, deren Name zu ihrer Sicherheit geändert wurde, hat kürzlich bei einer Veranstaltung der Organisation Discover Football in Heidelberg darüber gesprochen, wie Frauen, Fußball und Revolution miteinander verwoben sind. »Die Frauen im Iran waren lange wie ein Fluss, der hinter einem Damm gestaut war. Jetzt ist der Damm gebrochen.« Die 38-Jährige ging bis zum 6. Oktober jeden Nachmittag mit Zehntausenden zu Protesten auf die Straßen Teherans. Die zentrale Parole: »Zan, Zendegi, Azadi« – Frau, Leben, Freiheit.
Die Wut gegen den repressiven Regierungskurs hat eher zu- als abgenommen. Die Demonstranten teilen ihre Informationen und Botschaften über die sozialen Medien, deshalb hat das Regime teilweise das Internet abgeschaltet, überwacht Nachrichten auf Whatsapp, Facebook und Instagram. Farzeli betont, wie wichtig es ist, dass die anfangs feministische Bewegung von Männern unterstützt wird. »Es hat mich überrascht, wie viele es sind.« Jedes prominente Sprachrohr aus dem Sport erhöht die Aufmerksamkeit.
Ein solches ist auch der Nationalstürmer Sardar Azmoun. Der Bundesligaprofi von Bayer Leverkusen hat sich mehrfach mit den Protestierenden solidarisiert, obwohl die Aktivisten und Aktivistinnen zwischenzeitlich den Weltverband Fifa aufforderten, sein Land von der WM auszuschließen. Bis Montag stand nicht fest, ob der 27-Jährige nominiert wird. Angeblich wurde Nationaltrainer Carlos Queiroz aufgefordert, auf den Angreifer zu verzichten.
Doch der erst vor wenigen Wochen zurückgeholte Portugiese, der den Job bereits von 2011 bis 2019 ausgeübt hatte, dachte gar nicht daran. Der 69-Jährige bot den Funktionären aus der Islamischen Republik schon häufiger die Stirn. Der wegen eines Muskelfaserrisses zuletzt nicht mehr für die Werkself eingesetzte Azmoun bildet das Herzstück seiner Offensive. Wenn das iranische Team in der Gruppe B gegen England (21. November), Wales (25. November) und die USA (29. November) bestehen will, braucht es den in 64 Länderspielen immerhin 41-mal erfolgreichen Torjäger.
Für die Protestierenden ist Azmoun »ein Held«, betont Farzeli mit erhobener Stimme. Weil da einer nicht wegschaut, wenn Hunderte, ja sogar Tausende ermordet werden. Je weiter von Teheran weg, umso brutaler gehe das Regime gegen den Widerstand vor, erzählt sie. Die Repressionen würden auch die Nationalspieler spüren. Wer nicht spurt, spielt nicht. Bei einem Ligaspiel in Teheran wollte offenbar Persepolis Teheran, wo der regimekritische Nationaltorhüter Alireza Beiranvand unter Vertrag steht, Botschaften verbreiten. Doch der Plan flog auf. Sicherheitskräfte stürmten die Kabine, drohten damit, die Familien der Fußballer zu belangen.
Kurzerhand wurde der Anpfiff unter dem Vorwand verschoben, dass die Flutlichtanlage kaputt sei. Erst mit fast einer Stunde Verspätung wurde die Partie angepfiffen. Die Angst der Mullahs ist riesig, dass das Nationalstadion von Teheran als Bühne für kritische Botschaften genutzt wird. Auch deshalb fand jüngst das Testspiel des Iran gegen Nicaragua vor leeren Rängen statt.
Farzeli erhofft sich derweil aus Europa noch mehr Unterstützung für eine friedliche Veränderung, um in ihrer Heimat Frauen- und Menschenrechte zu stärken. Im Fußball hat sie lange die fehlende Gleichberechtigung erlebt. Sie wurde daran gehindert, ihre Leidenschaft auszuleben. Trotzdem hat sie es irgendwann geschafft, als Hallentorhüterin zu spielen. Danach gründete sie sogar eine Fußballschule für Mädchen, holte afghanische Kinder von der Straße. Sie wirkt erschöpft, wenn sie erklärt: »Wir Frauen leiden seit vielen Jahren an einem innerlichen Kampf, weil man nicht laut werden kann. Um etwas zu erreichen, müssen wir 100-mal mehr kämpfen als die Männer.«
Dass sie seit einigen Wochen bei ihrer Nichte in Wiesbaden lebt, damit kommt sie nach eigenem Bekunden nur schwer klar. »Frauen und Männer gehen zu Hause auf die Straße, und ich sitze hier.« Aber in Teheran müsste sie inzwischen wohl um ihr Leben fürchten. Sie setzt einige Hoffnungen in die WM: dass das iranische Team irgendwelche Aktionen der Anteilnahme umsetzt, auch wenn Irans Außenminister von Präsident Ebrahim Raisi damit beauftragt wurde, »möglichen Problemen« vorzubeugen. Wird jeder Protest hinter den Kulissen unterdrückt?
Die beklemmende Situation in dem unter den internationalen Sanktionen leidenden Land hat offenbar viele Iraner, die sich ein Ticket für die WM-Spiele in Katar gesichert hatten, zum Umdenken veranlasst. Sie haben ihre Reisen teilweise storniert; das Interesse an Flügen war ohnehin geringer als erwartet, obwohl ein solcher nun wirklich nicht lange dauert. Katar und Iran sind im Grunde Nachbarstaaten, teilen sich unterm Persischen Golf das größte Erdgasfeld der Welt.
Mit Ali Daei verzichtet jetzt sogar das größte Fußballidol des Iran auf die Einladung der Fifa und des katarischen Fußballverbandes, die WM mit seiner Frau und seinen Töchtern zu besuchen. Der frühere Bundesligaprofi, von 1997 bis 2002 für Arminia Bielefeld, Bayern München und Hertha BSC am Ball, sagte seine Reise ab, um in diesen Tagen, »in denen es den meisten von uns nicht gut geht, mit Euch in meinem Land zu sein. All den Familien, die in diesen Tagen ihre Angehörigen verloren haben, spreche ich mein Mitgefühl aus«, schrieb der 53-Jährige auf Instagram. »In der Hoffnung auf helle Tage für den Iran und die Iraner.« Wann auch immer diese kommen mögen.
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