Verlorenes Gebiet

Linke will bei Wiederholungswahlen auch in den Ostberliner Großwohnsiedlungen wieder zulegen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 6 Min.
Schönes Wetter, leere Gehsteige, hässliche Botschaften: Die Havemannstraße in Marzahn-Nord am Dienstagnachmittag
Schönes Wetter, leere Gehsteige, hässliche Botschaften: Die Havemannstraße in Marzahn-Nord am Dienstagnachmittag

»Eigentlich hätten wir ganz andere Dinge zu tun angesichts der multiplen Krisen, aber jetzt ist es, wie es ist«, sagt Berlins Linke-Chefin Katina Schubert am Mittwoch zu »nd«. Am Mittag hatte das Landesverfassungsgericht die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom September 2021 offiziell für komplett ungültig erklärt. »Wir werden nun den Hebel umlegen und in den Wahlkampf gehen, um Die Linke möglichst stark zu machen«, fügt Schubert hinzu.

Glaubt man den Umfragen, muss sich die Partei hierfür ins Zeug legen. Die Demoskopen sehen sie bei 12 Prozent, vermutlich auch, weil der Ruf der Linken auf Bundesebene ordentlich ramponiert ist.

Zur Erinnerung: Bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 erreichte Die Linke 14,1 Prozent und war damit noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Unterm Strich stand wegen der höheren Wahlbeteiligung zwar ein Minus von 1,6 Prozentpunkten. Absolut konnte die Partei aber sogar mehr Zweitstimmen auf sich vereinigen als fünf Jahre zuvor. Nicht so im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf 1. Wie in so vielen Ostberliner Großwohnsiedlungen ging es hier bergab, auch in absoluten Zahlen – und das nicht zum ersten Mal.

Dabei war das Gebiet im Marzahner Norden einst eine der Berliner Linke-Hochburgen schlechthin. Zu ihren besten Zeiten, Anfang der 2000er Jahre, lagen die Sozialisten hier bei fast 60 Prozent. Bei den Abgeordnetenhauswahlen 2021 waren es noch 18,6 Prozent der Zweitstimmen. Das reichte nur noch für Rang 3 hinter der SPD und dem Wahlkreisgewinner AfD. Das Direktmandat holte das zweite Mal in Folge Gunnar Lindemann, ein selbst für AfD-Verhältnisse weit rechts außen stehender Politikerdarsteller.

Lindemann wohnt im Kiez. Das war es dann aber auch schon mit seinem Engagement für die Gegend um die Marzahner Havemannstraße, sagt Björn Tielebein, der Linke-Direktkandidat von 2021. »Es ist für niemanden hier erkennbar, dass sich Gunnar Lindemann auch nur irgendwie für den Wahlkreis einsetzt.« Ob Fragen der Schulwegsicherheit oder die sozialen Schieflagen vor Ort: Das alles interessiere den AfD-Mann nicht. »Er tritt nur in Erscheinung, wenn er gegen Menschen hetzen kann oder gegen die Ukraine. Aber konkret macht er nichts«, sagt Tielebein zu »nd«.

Tatsächlich machte Lindemann in der Vergangenheit vor allem durch seine mehrfachen Freundschaftsbesuche in den »Volksrepubliken« im Donbass und auf der Krim von sich reden. Der Berliner FDP-Abgeordnete Stefan Förster bezeichnete ihn nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine deshalb als »eine Schande« für das Abgeordnetenhaus. Wobei er nicht vergaß, Lindemann auf die »Beschränktheit« seiner »intellektuellen Kapazitäten« hinzuweisen. Eine Einschätzung, mit der Förster im Parlament nicht allein steht.

Trotzdem gelang es Lindemann im September vergangenen Jahres, das Direktmandat von 2016 zu verteidigen – wenn auch mit starken Verlusten und nach offizieller Zählung nur 70 Stimmen vor dem SPD-Kandidaten Gordon Lemm, inzwischen Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, und knapp 290 Stimmen vor Björn Tielebein. Allein: Im Rest der Stadt hat sich das Klischee verfestigt von der Ostberliner Plattenbausiedlung am Stadtrand, wo die Abgehängten wohnen, die braune Politclowns wählen.

Der Marzahner Linke-Politiker Tielebein sagt: »Dass es hier eine große Unzufriedenheit gibt, liegt auf der Hand. Im besten Fall ist die soziale Lage stabil schlecht.« Das allein greife aber als Erklärung für den Erfolg der Rechtsextremen im einstigen Linke-Land zu kurz. »Das Problem ist, dass es einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Nichtwählerinnen und Nichtwählern gibt. Und da müssen wir als Demokraten ansetzen«, so Tielebein, der als Linkfraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf auch hier mit einer für Berliner Verhältnisse überdurchschnittlich großen Rechten konfrontiert ist.

»Natürlich wollen wir mit aller Kraft verhindern, dass die AfD noch einmal den Wahlkreis gewinnt«, sagt Landesvorsitzende Katina Schubert. Ihre Strategie: »Wir werden die Menschen dadurch abholen, dass wir vor Ort sind und die Probleme vor Ort kennen. Wir sind die Garanten dafür, dass die Berlinerinnen und Berliner sicher durch den Krisenwinter kommen. Und das werden wir sowohl im Innenstadtbereich als auch in den Außenbezirken sehr deutlich machen.«

Präsenz zeigen: Genau aus diesem Grund hatte sich fast die gesamte Linksfraktion im Abgeordnetenhaus bereits am Dienstagnachmittag in Marzahn-Nord getroffen, um das Kulturhochhaus an der Wittenberger Straße, den gerade erst neu gestalteten Clara-Zetkin-Park und das kleine deutsch-russische Tschechow-Theater an der Märkischen Allee zu besichtigen. Und um den Marzahnerinnen und Marzahnern zuzuhören.

Etwa Marina Bikádi vom Kulturhochhaus, einem Projekt mit Kinderfreizeiteinrichtung im Keller, einem »Hochhauscafé« für die Eltern und einer Pension für Touristen. Bikádi berichtet den Linke-Abgeordneten von der bescheidenen Personalausstattung, den Sorgen um die steigenden Energiekosten und der Unsicherheit der geflüchteten Familien, die im Hochhaus untergekommen sind. Durchaus stolz ist sie, dass die vor Jahren eröffnete Pension im 11. Stock keine Luftnummer geworden ist. »Wir haben gesagt: Glaubt nicht, was ihr alles in den Medien lest und hört, dass alles hier so schrecklich, langweilig, eintönig ist. Kommt einfach mal zu uns nach Marzahn. Das klappt ganz gut.«

An einem Thema kommt auch der Betriebsausflug der Linksfraktion an diesem Nachmittag nicht vorbei: der AfD im Allgemeinen und dem Abgeordneten Gunnar Lindemann im Besonderen. So nennt Fritz Gläser vom Alternativen Stadtteilaktiv als eine Ursache für den Aufstieg der Rechten und die Politikverdrossenheit im Kiez auch den desaströsen Umgang mit Bürgerbeiteiligungsversuchen.

Anwohnern, die etwas ändern wollten im Kiez, würden vom Land, aber auch vom Bezirk Steine in den Weg gelegt, da nehme er Die Linke nicht aus. Das sorge für Frust. »Viele werden einfach verprellt. Vor allem aber treiben wir mit solchem Verwaltungshandeln den Rechten die Leute in die Arme«, sagt Gläser, selbst Genosse. Motto: »Dann zeigen wir denen jetzt mal den Mittelfinger und wählen AfD.«

Moritz Marc von der Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung Marzahn-Hellersdorf spricht sogar von einem »verlorenen Gebiet«, das Demokratinnen und Demokraten »wieder zurückerobern« müssen. Auch Projektleiter Marc sagt: »Wir wissen alle, dass es leider Menschen gibt hier vor Ort, die sich radikalisieren. Wir wissen aber ebenfalls alle, dass die Wahlbeteiligung in Marzahn-Hellersdorf sehr niedrig ist.«

Dass die Wahl vom 26. September 2021 Mitte Februar kommenden Jahres wiederholt werden muss, bietet daher für Die Linke im Bezirk tatsächlich auch die Chance, mehr herauszuholen als beim letzten Urnengang – sofern die Partei denn in der Lage ist, ihr Wählerpotenzial zu mobilisieren. Linke-Direktkandidat Björn Tielebein baut darauf, dass das gelingen und seine Partei in Marzahn-Nord vorn liegen kann. »Wir sind die ganze Zeit vor Ort und packen die Themen an, die von dem eigentlichen Wahlkreisabgeordneten liegen gelassen werden.« Das, so die Hoffnung, werde sich auszahlen.

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