Blackout in der Ukraine

Russland fliegt die massivsten Raketenangriffe seit Kriegsbeginn

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 3 Min.

Zunächst habe sie an eine Gasexplosion gedacht, erzählte eine Kiewerin ukrainischen Medien. Bis sie feststellen musste, dass eine russische Rakete in ihren Wohnblock eingeschlagen war. Insgesamt drei Wohnhäuser wurden am 15. November durch Raketenteile beschädigt, dabei kam mindestens eine Person ums Leben, erklärte der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Vitali Klitschko. Im Kiewer Umland wurde eine Frau auf einem Friedhof von Raketentrümmern tödlich verletzt. Beide wurden Opfer des massivsten Raketenangriffs auf die Ukraine seit dem Beginn des Krieges Ende Februar.

Am Dienstag hatten Russlands Streitkräfte fast 100 Raketen und Drohnen auf die kritische Infrastruktur der Ukraine abgefeuert, erklärte der Stellvertreter der Luftstreitkräfte Jurij Ihnat. Davon seien 73 von der Luftabwehr abgeschossen worden. Ein Erfolg, der westlichen Waffen zu verdanken sei, hieß es in Kiew. Dennoch zerstörten die russischen Raketen 15 Infrastrukturobjekte mit Folgen für die Menschen in der Ukraine, die über Stunden ohne Stromversorgung waren. In der westukrainischen Großstadt saßen nach lokalen Angaben 80 Prozent der Einwohner im Dunklen, im Gebiet Charkiw hatten über 900 000 Menschen keinen Strom, die Metro in der zweitgrößten ukrainischen Stadt musste zwischenzeitlich ihre Arbeit einstellen. Auch in der Großstadt Schytomir führten die Angriffe zu einem Blackout. In Kiew und anderen Regionen wurde der Strom zumindest zeitweise abgestellt.

Die Situation sei kritisch, schrieb der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, auf Telegram. Die Reparatur der zerstörten Energie-Infrastruktur werde wenige Tage bis einige Wochen in Anspruch nehmen, so Tymoschenko weiter. Bereits am Mittwoch verkündete Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft, dass die Mehrzahl der Stromkunden in den verschiedenen Regionen wieder an das Netz angeschlossen seien. Reparaturteams der Stromanbieter und des Katastrophenschutzes hätten dafür die ganze Nacht gearbeitet. »Ich möchte, dass Sie wissen, dass Sie für uns keine Kunden, sondern Menschen sind«, so Selenskyj und bat um etwas Geduld. Zehn Millionen Ukrainer hatten am Mittwoch noch immer keinen Strom. In mehreren Regionen gestalten sich die Reparaturarbeiten als schwierig, die Stadtverwaltung von Lwiw sprach davon, dass die völlige Instandsetzung bis zu einem Jahr dauern könnte.

Russland, das nach Berechnungen der Wirtschaftszeitung »Forbes« Raketen im Wert von 700 bis 900 Millionen US-Dollar verschoss, ging ungewöhnlich offen mit dem Angriff um. Nachdem das Verteidigungsministerium zunächst die Attacken leugnete, verkündete Sprecher Igor Konaschenkow einen erfolgreichen Angriff mit Präzisionswaffen. Alle Objekte seien getroffen, das Ziel erreicht worden. Dabei kamen auch Geran-2-Drohnen zum Einsatz, schrieb Sergej Obuchow, Duma-Abgeordneter der KPRF, auf Telegram und bestätigte damit als erster Offizieller Russlands, dass der Kreml Drohnen im Iran eingekauft hat. Über die Gründe für den massiven Angriff gehen die Expertenmeinungen auseinander. Möglich sei eine Reaktion auf den Auftritt Selenskyjs auf dem G20-Gipfel in Indonesien oder die UN-Resolution zu Reparationen. In der Nacht zum Dienstag hatte die Vollversammlung in New York erklärt, Russland müsse für die Folgen seines Krieges in der Ukraine zahlen.

Anders als das Verteidigungsministerium sieht Obuchow die Angriffe vom Dienstag nicht als Erfolg. Vielmehr würde man damit die Menschen in der Ukraine motivieren und mobilisieren, so der Kommunist. Um den »Gegner zu demotivieren«, brauche es viel mehr Angriffe. Westliche Beobachter bezweifeln, dass Russland dazu in der Lage ist. Die in Washington ansässige Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) geht davon aus, dass Moskau seine Vorräte an Präzisionswaffen zum Großteil aufgebraucht hat. Das ukrainische Verteidigungsministerium veröffentlichte am Mittwoch eine Grafik, der zufolge Russlands Arsenal von 1844 auf 609 Raketen geschrumpft sei. Moskau werde den Beschuss der ukrainischen kritischen Infrastruktur deswegen demnächst stark zurückfahren müssen, glauben ISW und Kiew.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -