• Kultur
  • »Bessere Zeiten« auf Youtube

Wagenknechts wöchentliche Video-Propaganda

Die Linkspolitikerin teilt auf der Videoplattform Youtube aus – und das sehr erfolgreich

Ruhig sitzt sie vor einer babyblauen Wand, die schwarzen Haare wie üblich zurückgekämmt und hochgesteckt, der Blick ernst: Diese Frau macht unmissverständlich klar, dass sie bereit zum Angriff ist. Ihr Ziel: wahlweise die Bundesregierung, die Biden-Administration in Washington oder die Grünen um Annalena Bearbock und Robert Habeck. Wie im Bundestag, als diese Politikerin der Ampel vor noch nicht allzu langer Zeit in einer Rede unterstellt hat, die »dümmste Regierung Europas« zu sein. Sahra Wagenknecht macht keine Gefangenen – auch nicht in ihrem Videoformat »Bessere Zeiten – Wagenknechts Wochenschau«, das donnerstags unter anderem auf Youtube ausgespielt wird.

Das Format ist eine Mischung aus »Tagesschau«, »Bild-TV« und nordkoreanischem Nachrichtenfernsehen. Seriosität oder Neutralität geht anders. Aber die will Wagenknecht in den Videos auch nicht vorgeben. Sie ist Vollblutpolitikerin mit Hang zu Übertreibung und Populismus, eine differenzierte Sicht ist ihr fremd. Wagenknecht ist eine umstrittene Agitationsmaschine, die ihre Ansichten vorzugsweise in konservativen Medien (»Welt«, »Bild«, »FAZ«) äußert. Und auf ihrem eigenen Youtube-Kanal.

Aus dem Netz gefischt
Weitere Beiträge dieser Rubrik finden Sie unter: www.dasnd.de/gefischt

In ihren Videos setzt sich Sahra Wagenknecht mit aktuellen Themen auseinander: mit der Gaspreisbremse, dem Krieg in der Ukraine, der deutschen Wirtschaftspolitik, der Inflation und dem Zustand von Bündnis 90/Die Grünen, die ihr besonders am Herzen zu liegen scheinen. Ihrer Auffassung nach sind Habeck und Kollegen »olivgrüne Menschenrechtskrieger« und »verlogene Heuchler«. Der Ton macht bekanntlich die Musik – und der ist in den Videos mal konfrontativ, mal spöttisch und mal besorgt. In den rund 25-minütigen Videos trägt die Linkspolitikerin in oberlehrerhafter Manier ihre Sicht der Dinge vor. Wagenknecht goes Guido Knopp sozusagen.

Wagenknecht spielt wie nur wenige auf der Klaviatur der Propaganda. Und aktuell sind die Grünen ein dankenswertes Ziel linker Ideologen. Oder für diejenigen, die sich dafür halten. Denn kaum jemand ist mit so viel Euphorie in die Sanktionsspirale mit Russland eingestiegen wie Habeck und Kollegen. Wagenknecht will daraus Kapital schlagen. Deshalb nennt sie die Grünen die »gefährlichste Partei im Bundestag« – um sie als Verursacher der gegenwärtigen Preisexplosion zu brandmarken. Dass sie dabei bewusst die AfD »übersehen« hat, die seit Jahren die politische Debatte in den Parlamenten vergiftet, hat zu Recht Kopfschütteln und Übelkeit in den eigenen Reihen ausgelöst.

Wagenknecht möchte die Bevölkerung möglichst schnell entlasten. Zumindest das hat sie mit der Parteispitze um Martin Schirdewan und Janine Wissler noch gemeinsam. Dazu müssen Wagenknechts Auffassung nach die Gas- und Ölimporte aus Russland wieder aufgenommen werden. Es seien vor allem die Sanktionen des Westens gegenüber Moskau, die die Inflation in Deutschland antreiben. Dass Omi sich bald die Butter auf dem Brot nicht mehr leisten kann, ist nach dieser Lesart die Schuld der Nato-Staaten. Profiteur dieser Entwicklung, da lässt Wagenknecht keine Zweifel aufkommen, sei Washington. Präsident Joe Biden macht Amerika im Sinne seines Vorgängers Donald Trum wieder »great again«. Während europäische Staaten auf eine Rezession zusteuern, wachse die US-Wirtschaft, meint die Politikerin. Dass das alles ohne den russischen Angriff auf die Ukraine so nicht möglich gewesen wäre, verschweigt sie. Denn eins ist seit dem 24. Februar dieses Jahres klar: Kremlchef Wladimir Putin ist ein Kriegstreiber. So wie diverse US-Präsidenten auch.

Make America Great Again - wie US-Handelskriege & Sanktionen uns ruinieren

Die Youtube-Videos konnte inzwischen eine enorme Reichweite erreichen. Die Folge »Rettet uns die Gaspreisbremse?« zum Beispiel hat bisher rund 835.000 Klicks, »Sehenden Auges in die Katastrophe? Wie die USA den Frieden verhindern« rund 1,1 Millionen Aufrufe, und »Selbstgemachte Energiekrise: Könnte Nordstream II uns helfen?« sahen 585.000 Menschen. Der Kanal selbst hat 609.000 Abonnenten. Zum Vergleich: Der Youtube-Kanal der Linksfraktion im Bundestag kommt auf 65.800 Abonnenten, der der Linken hat 28.200 Abonnenten. Auch auf Twitter, wo Wagenknecht am Ende der Woche eine Kurzfassung des jeweils aktuellen Videos postet, hat sie (644.000 Follower) gegenüber Fraktion (109.000 Follower) und Partei (350.000 Follower) die Nase vorn. Zumindest in diesem Punkt ist die 53-Jährige nicht mehr auf die Infrastruktur der Partei angewiesen.

Sahra Wagenknecht hat verstanden, wie Politik auf Social Media in aufgeregten Zeiten wie diesen funktioniert: Nämlich mit zugespitzten Meinungen und Analysen. Und mit klaren Feindbildern. Schade nur, dass sie in jüngster Vergangenheit politisch ein ums andere Mal falsch abgebogen ist.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.