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  • »NSU 2.0«-Drohschreiben

Hohe Haftstrafe für rechte Hetze

Verfasser der »NSU 2.0«-Drohbriefe muss fast sechs Jahre ins Gefängnis

  • Joachim F. Tornau, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu Beginn ihrer Urteilsbegründung verließ Corinna Distler gedanklich den Gerichtssaal. Die Richterin erinnerte an die Worte, die draußen an der Fassade des Gebäudes prangen, in dem ihre Strafkammer neun Monate lang über die rechten Drohschreiben des »NSU 2.0« verhandelt hatte. »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, steht da in großen Lettern zu lesen – eine Skulptur, veranlasst einst von Fritz Bauer, dem Frankfurter Staatsanwalt und Vater der Auschwitz-Prozesse. »Er hätte wohl nicht gedacht, dass so viele Jahre nach seinem Tod noch rechtsextreme Straftaten in diesem Saal verhandelt werden«, sagte Distler. Und: »Dieser Prozess hat gezeigt, wie schrecklich es ist, wenn die Menschenwürde durch Sprache angetastet wird – insbesondere, wenn es aus dem Geheimen heraus geschieht.«

Der Mann, auf den diese Sätze gemünzt waren, muss nach dem Willen des Frankfurter Landgerichts nun für fünf Jahre und zehn Monate ins Gefängnis – wegen rund 80 Fällen der Bedrohung, der Beleidigung, der Volksverhetzung, der Androhung von Straftaten, des Verwendens verbotener NS-Symbole, der versuchten Nötigung und anderem. Nach 30 Verhandlungstagen zeigte sich die Strafkammer am Donnerstag überzeugt, dass der angeklagte Alexander M., 54 Jahre alt, für die Serie wüstester rassistischer, sexistischer und antisemitischer Schmähungen verantwortlich ist, mit der unter dem Label »NSU 2.0« zweieinhalb Jahre lang vor allem prominente, demokratisch engagierte Frauen überzogen worden waren. Und dass er dabei als Einzeltäter handelte. »Wir sind davon überzeugt«, sagte Distler, »dass sie die Drohschreiben alle allein geschrieben haben.«

In ihrer Urteilsbegründung legte die Strafkammervorsitzende die zahlreichen Indizien dar, die für die Schuld des arbeitslosen IT-Technikers aus dem Berliner Wedding sprechen. Von den vielfältigen Spuren auf seinem Computer bis zu der sehr besonderen Mischung aus juristischen Floskeln, NS-Jargon und rüdestem Unflat, die sich durch sämtliche Drohschreiben zog. »Es ist alles aus einem Guss«, befand die Richterin und schloss dabei ausdrücklich auch das erste Drohfax an die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız ein, mit dem die Drohserie im August 2018 begonnen hatte. Denn darüber war vor Gericht wie in der Öffentlichkeit aus guten Gründen besonders gestritten worden.

Das Fax, in dem der kleinen Tochter der Anwältin barbarische Gewalt angedroht wurde, enthielt private Daten, die kurz zuvor im 1. Frankfurter Polizeirevier abgerufen worden waren, bei einer ungewöhnlich ausführlichen Abfrage. Im Zuge der Ermittlungen flog dann nicht nur eine rechte Chatgruppe in diesem Revier auf, sondern es ergab sich auch der Verdacht, dass dieses erste Fax des »NSU 2.0« von einem Beamten des Reviers verschickt worden sein könnte. Dem erteilte das Gericht jetzt zwar eine Absage. Zugleich jedoch stellte es der hessischen Polizei nicht den Persilschein aus, den die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag gefordert hatte. Denn anders als die Anklagebehörde hielt es die Strafkammer nicht für erwiesen, dass Alexander M. die Frankfurter Polizei – und später auch noch Reviere andernorts – durch Anrufe als vermeintlicher Kollege genarrt habe. »Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass Sie das waren«, erklärte Distler. »Aber es bestehen Zweifel.« So sei durchaus auch möglich, dass Alexander M. die Daten von einem Polizisten über das Darknet bekommen habe. Das zu klären, sei aber einem anderen Prozess vorbehalten. Gegen den verdächtigen Beamten und eine Kollegin ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft noch.

Seda Başay-Yıldız, die die von einer Solidaritätskundgebung begleitete Urteilsverkündung zusammen mit den ebenfalls betroffenen Linken-Politikerinnen Janine Wissler und Martina Renner verfolgte, zeigte sich im Anschluss einerseits zufrieden: »Von diesem Urteil geht eine wichtige Signalwirkung für alle aus, die Hass und Hetze ausgesetzt sind.« Andererseits seien zentrale Fragen nach wie vor offen. »Der Angeklagte muss Hilfe gehabt haben«, meint die Anwältin. »Es hätte ein Polizist mit auf der Anklagebank sitzen müssen.«

Das sah auch die Bundestagsabgeordnete Martina Renner so. Sie forderte weitere Ermittlungen, geführt am besten nicht mehr von der hessischen Polizei, sondern von außen, etwa vom Bundeskriminalamt: »Ich erwarte mir da mehr Nachdruck und weniger Befangenheit.« Janine Wissler, die aus Hessen stammende Bundesvorsitzende der Linkspartei, über deren private Daten Alexander M. auch verfügt hatte, kritisierte Politik und Staatsanwaltschaft für ihr beständiges Leugnen grundlegender Missstände bei der hessischen Polizei. »Es ist doch nur Wunschdenken, wenn es heißt, es gebe keine rechten Netzwerke«, sagte Wissler. »Dieses reflexartige Verteidigen muss aufhören.«

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