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- Hochhaus-Baustellen in Berlin
Signa-Hochhaus ist ein Risiko für die U8
Eine weitere Baustelle am Alexanderplatz kommt U-Bahn-Tunneln gefährlich nahe
Wird nach dem Tunnel der U2 nun auch jener der U8 am Alexanderplatz durch eine Hochhaus-Baustelle gefährdet? Das legt zumindest die »nd« exklusiv vorliegende Antwort der Senatsmobilitätsverwaltung auf eine schriftliche Anfrage der stadtentwicklungspolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Katalin Gennburg, nahe.
Es geht um das geplante Hochhaus der vom österreichischen Milliardär René Benko gegründeten Signa-Gruppe, das an der Ecke Dircksen- und Karl-Liebknecht-Straße an das Galeria-Kaufhof-Haus angebaut werden soll. Nur wenige Meter davon entfernt verläuft der Streckentunnel der U8 Richtung Bahnhof Weinmeisterstraße. Für den Hochhausbau ist bereits ein Teil des Kaufhaus-Gebäudes abgerissen worden.
Im Juli hatte das Bezirksamt Mitte die Baugenehmigung für den 134-Meter-Turm erteilt, obwohl die sogenannte nachbarschaftliche Vereinbarung mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) noch nicht ausverhandelt ist. »Die Abstimmungen sind noch nicht final abgeschlossen, gegebenenfalls sind die sicherheitsrelevanten Rahmenbedingungen noch enger zu definieren. Es bedarf auch hier einer Vereinbarung der BVG und der Signa Holding zum Schutz der BVG-Anlagen«, teilt das Landesunternehmen in der Antwort auf die Anfrage von Katalin Gennburg mit.
Die Baugrube für einen schmalen Anbau an das Kaufhaus, der allerdings nur die Höhe des Bestandsbaus erreichen wird, reicht am anderen Ende wiederum bis zum Tunnel der U2 Richtung Pankow. Auf der Linie müssen nicht einmal 250 Meter entfernt vom Signa-Hochhaus noch mindestens bis Februar täglich Zehntausende Berliner die Folgen einer Havarie an der Hochhaus-Baustelle des französischen Immobilienkonzerns Covivio erdulden. Seit Anfang Oktober sind der halbe Bahnsteig und das zugehörige Gleis der U2 Richtung Pankow gesperrt. Wo zuvor im Berufsverkehr noch alle vier Minuten Züge auf der stark nachgefragten Verbindung verkehrten, ist nun auf dem verbliebenen Gleis nur noch ein Pendelzug viermal pro Stunde zwischen Senefelderplatz und Klosterstraße unterwegs.
»Es ist inakzeptabel, wie viel viel Rücksicht auf Investoreninteressen genommen worden ist. Diese Zeiten müssen endgültig vorbei sein. Es braucht die klare politische Entscheidung, dass kein Restrisiko für die kritischen Infrastrukturen hingenommen wird«, fordert Linke-Politikerin Katalin Gennburg.
Immerhin bleibt die BVG nicht auf dem wirtschaftlichen Schaden sitzen, weil mit Covivio besagte nachbarschaftliche Vereinbarung geschlossen worden ist. Laut Auskunft des BVG-Betriebsvorstands Rolf Erfurt muss der Konzern nicht nur die Reparatur des U-Bahntunnels bezahlen, der sich um mehrere Zentimeter gesetzt hatte. Für die Umstände rund um die Betriebseinschränkungen wie die entfallende Bezahlung der Betriebsleistung durch den Senat muss Covivio zudem täglich einen niedrigen fünfstelligen Betrag leisten, wie Erfurt kürzlich berichtete.
Ohne vertragliche Vereinbarung zwischen einem Investor oder Projektentwickler und der BVG sei »kein ausreichender Schutz der BVG-Anlagen zu erzielen«, teilte das Landesunternehmen kürzlich dem Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses auf entsprechende Fragen nach der Havarie am Alexanderplatz mit.
»Investoren weigern sich zuweilen, mit der BVG eine dem Schutzzweck entsprechende Vereinbarung zu treffen«, heißt es dort weiter. Vielfach seien Investoren schon an der BVG »vorbeigezogen« und hätten den Abschluss einer solchen Vereinbarung verweigert mit der Begründung, sie hätten schließlich eine Baugenehmigung und müssten keinerlei Abreden mit der BVG treffen. »Der BVG verbleibt in solchen Fällen dann lediglich die Möglichkeit der Geltendmachung von (schwachen) gesetzlichen Schadensersatzansprüchen, deren Voraussetzungen sie oft mühevoll beweisen muss«, beklagten die Verkehrsbetriebe.
Zum Schutz der Anlagen sei es daher »zwingend erforderlich, dass die Baubehörden bereits bei Erstellung der Bebauungspläne, spätestens jedoch im Baugenehmigungsverfahren im Rahmen der Erteilung der Baugenehmigung dem Investor/Projektentwickler den Abschluss einer vorherigen nachbarschaftlichen Vereinbarung mit der BVG zur Auflage machen, ohne die mit der Baumaßnahme nicht begonnen werden darf«, so das Landesunternehmen.
Katalin Gennburg fordert ein berlinweites Moratorium für großvolumige Bauten an U-Bahntunneln. »Erst wenn auch ein Restrisiko ausgeschlossen werden kann, dürfen solche Vorhaben weiter betrieben werden.« Denn bereits 2012 und 2015 wurden Tunnel der U2 beim Bau des Shoppingcenters Mall of Berlin am Leipziger Platz und des Hotels »Motel One« an der Grunerstraße schwer beschädigt. »Fast alle innerstädtischen Tunnel sind an die 100 Jahre alt oder älter. Diese Senioren unter den Tunneln sollten mit Samthandschuhen angefasst werden«, sagt Gennburg zu »nd«.
»Sollten weitere Hochhausprojekte genehmigt werden, dann muss die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die komplette Projektkontrolle übernehmen«, fordert sie. »Denn solche hochspekulativen und hochkomplexen Bauvorhaben überfordern die bezirklichen Ämter massiv«, begründet Gennburg ihre Forderung.
Auch der Umgang mit der Havarie am Tunnel der U2 am Alexanderplatz wirft bei ihr Fragen auf. In der Antwort auf ihre Anfrage heißt es: »Die ersten relevanten Schäden im Bauwerk der U-Bahn, insbesondere Risse im Bahnsteigbereich der U2, wurden circa in der 29. Kalenderwoche bei Sichtkontrollen vor Ort festgestellt.« Dabei handelt es sich um die vorletzte Juliwoche dieses Jahres. Die Arbeiten an der Baustelle seien durch Covivio schließlich in der 31. Kalenderwoche eingestellt worden, »nachdem das Schadensbild durch ergänzende Vermessungen und Untersuchungen genauer beurteilt werden konnte«. Das war also zwei Monate, bevor das Gleis Richtung Pankow stillgelegt worden ist.
»Es wird zu klären sein, warum man sich nach Feststellung der Schäden zwei Wochen Zeit gelassen hat und warum nicht sofort ein Baustopp durch die Bauaufsicht Mitte erlassen worden ist«, sagt Katalin Gennburg. Zur zweiten Frage schreibt die Senatsmobilitätsverwaltung in ihrer Antwort: »Ein behördlicher Baustopp war zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig, da die Arbeiten auf der Baustelle durch Covivio und der Betrieb der U2 durch die BVG eigenverantwortlich eingestellt wurden.«
Das hält Gennburg für eine unbefriedigende Antwort und kündigt an: »Wir lassen rechtlich prüfen, welche möglichen Konsequenzen es hat, wenn ein Baustopp nicht von Amts wegen erlassen wird, sondern der Bauherr mehr oder minder freiwillig die Bautätigkeit einstellt. Das können beispielsweise Haftungs- und Schadenersatzfragen sein.« Sie will »ein behördliches Einschreiten mit klaren Auflagen, die uns im aktuellen Schadensfall schützen«.
Kurz zuvor hat der Stadtentwicklungsexperte der Grünen-Fraktion, Julian Schwarze, eine schriftliche Anfrage zu den möglichen Konsequenzen für U7 und U8 am Hermannplatz gestellt, wenn Signa das dortige Karstadt-Kaufhaus in Anlehnung an die historische Gestalt deutlich aufstocken und umbauen sollte. »Soweit ein vorhabenbezogener B-Plan baurechtliche Grundlage des in Rede stehenden Bauvorhabens ist, sollte schon hier eine Vereinbarung zwischen Signa und BVG zum Schutz der BVG-Einrichtungen gefordert werden und ohne eine solche der Signa das Baurecht versagt werden«, heißt es von den Verkehrsbetrieben in der Antwort.
Die Konsequenzen für den U-Bahn-Betrieb könnten drastisch sein, falls bei dem Bau die umfangreichen Tunnelanlagen beschädigt werden. Die BVG erwartet dann »gravierende Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung des Betriebs der U-Bahnlinien U7 und U8« und »gegebenenfalls auch auf weitere Teile des U-Bahn-Großprofil-Netzes«. Der Takt müsste wegen teilweise weiter entfernter Wendeanlagen auf längeren Abschnitten ausgedünnt werden, außerdem könnte die am Südast der U7 gelegene Betriebswerkstatt Britz vom Netz abgeschnitten sein. In ihr werden derzeit alle Züge der Linien U6 bis U9 gewartet. »Der U-Bahnbetrieb im Berliner Großprofilnetz ist darauf angewiesen, dass die Betriebswerkstätten ungehindert genutzt und zuverlässig angefahren werden können«, schreibt die BVG.
Bereits seit längerem spricht sich Linke-Stadtentwicklungsexpertin Katalin Gennburg vehement gegen den Bau des geplanten Hines-Hochhauses am Alexanderplatz aus, das direkt über dem Tunnel der U5 entstehen soll. Dort ist in jahrelanger Arbeit »mittels einer Machbarkeitsstudie« eine Bauvariante erstellt worden, »die für die BVG-Einrichtungen (U-Bahnanlagen neben dem Baugrundstück) sicherste Gründungsvariante darstellt«, wie es in der Antwort auf die Anfrage der Linke-Politikerin heißt. Diese sei »von Experten und Gutachtern beider Seiten geprüft und bestätigt und in einer Grundsatzvereinbarung zwischen BVG und Hines vertraglich geregelt« worden.
Auch diese Antwort befriedigt Katalin Gennburg nicht. »Es muss Schluss sein mit der Symbolpolitik der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihrem Gerede von ›Kooperation statt Konfrontation‹. Die Lebensadern der Stadt dürfen nicht auf dem Altar der Investoreninteressen geopfert werden.«
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