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Steiniger Weg zum Solardach
Mieterstromprojekte gelten als wichtiger Schritt in Richtung Energiewende. Doch die Hürden bei der Umsetzung sind hoch
Ein Viertel der Berliner Stromerzeugung soll in nicht allzu ferner Zukunft klimaneutral durch Solarenergie von den Dächern der Hauptstadt abgedeckt werden – das zumindest ist das Ziel des vor zweieinhalb Jahren vom Senat beschlossenen Masterplans Solarcity. Ursprünglich war von 2050 die Rede, im rot-grün-roten Koalitionsvertrag vom vergangenen Jahr hieß es dann, man wolle das 25-Prozent-Ausbauziel »möglichst schon 2035 erreichen«. Schönes Ziel, allerdings ist man in Berlin von der Zielmarke noch so richtig weit entfernt. Aktuell decken die 11.414 Berliner Solaranlagen nur 2,4 Prozent der jährlichen Stromerzeugung der Stadt ab. Bis 2035 auf 25 Prozent zu kommen, sei also durchaus »ehrgeizig«, sagt dann auch Matthias Kuder, Sprecher der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, zu »nd«.
Die Ausbaugeschwindigkeit habe in den vergangenen Jahren zwar immer weiter zugenommen. Gleichwohl gebe es in diesem Zusammenhang »diverse Hürden«, erklärt Paul Kästner, der bei den Berliner Stadtwerken für die Öko- und Mieterstromvermarktung zuständig ist. Ende Oktober ging eine Photovoltaikanlage der Stadtwerke auf einem achtgeschossigen Neubau der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag an der Lichtenberger Rhinstraße 143 an den Start, ein sogenanntes Mieterstromprojekt.
Die Idee dahinter ist simpel: Der auf dem Dach erzeugte Strom wird im selben Haus verbraucht. In Fall der Rhinstraße hat die Anlage eine Spitzenleistung von 100 Kilowatt-Peak – die Einheit bezeichnet den höchstmöglichen Energieertrag in Kilowatt bei optimaler Sonneneinstrahlung. Sollten die Mieter*innen mehr Strom verbrauchen, als die Photovoltaikanlage liefert, wird extern dazugekauft.
Insgesamt 18 solcher Mieterstromprojekte auf 136 Wohngebäuden betreiben die Stadtwerke in Berlin, davon 16 mit Solarstrom und zwei mit Blockheizkraftwerken. Die Gewobag kooperiert bei 27 Projekten, die aber auch mit anderen Partnern wie Vattenfall, der Gasag oder Naturstrom umgesetzt werden. Hier kommen vor allem Blockheizkraftwerke zum Einsatz; das Gebäude an der Rhinstraße ist das fünfte mit hauseigener Photovoltaikanlage. »Mit den Mieterstromanlagen haben wir als landeseigene Wohnungsbaugesellschaft und die Mieter*innen eine Möglichkeit, direkt an der Energiewende mitzuwirken«, erklärt Gewobag-Sprecherin Julia Scholz auf nd-Anfrage.
Beim Projekt an der Rhinstraße habe sich knapp die Hälfte der bereits eingezogenen Mieter*innen für den Mieterstromvertrag entschieden, insgesamt 112 Haushalte. Das Problem: Im Schnitt beteiligen sich laut den Stadtwerken nur etwa 30 Prozent einer Mieterschaft am Mieterstromprojekt. Und dies, obwohl sich eine Beteiligung für die Mieter*innen rechnet, umso stärker und größer die hauseigene Photovoltaikanlage ist, da beim Strom am oder auf dem eigenen Haus Netzentgelte und -umlagen, Stromsteuern und Konzessionsabgaben wegfallen. »Man ist unabhängig von Energieexporten, von der Börse und Spekulation«, sagt Paul Kästner von den Stadtwerken. Dennoch wollten viele Mieter*innen ihren alten Vertrag behalten oder wählten noch günstigere Alternativen.
Für Anbieter wie die Stadtwerke sind die Projekte mit finanziellen Risiken verbunden. Denn wenn die Solaranlage mehr Strom erzeugt, als nachgefragt wird, muss der Überschuss ins Netz eingespeist werden. Dafür erhält der Erzeuger aktuell rund 7,5 Cent pro Kilowattstunde. Die Produktion kostet bei den relativ kleinen Dachflächen von Wohngebäuden allerdings über 15 Cent, weshalb die Stadtwerke in der Regel nur rund 30 Prozent einer Dachfläche mit Photovoltaikmodulen ausstatten, um an sonnigen Sommertagen keinen Verlust zu machen. »Wirklich effizient ist das aber nicht«, erklärt Kästner. Im Winter wird so schließlich weniger Strom produziert, als das Haus verbraucht und als die Dachfläche eigentlich hergeben würde.
Grund sei, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nicht zwischen Wohnhäusern und Gewerbetreibenden differenziert. Letzteren stehen meist, zum Beispiel auf großen Möbelhäusern, viel größere Flächen zur Verfügung, auf denen die Stromerzeugung deutlich günstiger ist. Um ein Mietshaus jedoch vollständig mit Photovoltaik auszustatten, brauche es »attraktive Bedingungen, um den Strom abzugeben«, sagt Kästner, etwa an die Nachbarhäuser, was bislang nicht ohne weiteres möglich ist. In dieser Hinsicht habe sich die Förderung von Mieterstrom nicht signifikant verbessert. Auch seien die Fördergelder bislang nicht an gestiegene Material- und Handwerkskosten angepasst worden. Die Gewobag kritisiert an dem EEG, dass die Abrechnung gegenüber Mieter*innen und die jährlichen Meldungen beim Netzbetreiber hohe bürokratische und finanzielle Hürden darstellten.
Eine Möglichkeit, um Mieterstromprojekte finanziell besser abzusichern, sehen die Stadtwerke in der Änderung der Grundversorgerverordnung (GVV). Mit der Grundversorgerregelung würden sich vermutlich mehr Mieter*innen beteiligen und dadurch auch mehr Anbieter Solardächer errichten. Die Stadtwerke gäben sich aufgrund ihres öffentlichen Auftrags zwar auch mit moderaten Einnahmeaussichten zufrieden. »Private Wohnungsunternehmen machen es aber nicht ohne Profit«, sagt Kästner. Und auf die sei man wiederum angewiesen, wolle man Hunderttausende Dächer in Berlin belegen, denn: »Ein Stadtwerk allein wird die Energiewende nicht schaffen.«
Auch die zuständige Senatsverwaltung erklärt auf nd-Anfrage, dass kleinere Projekte aufgrund zu hoher Hürden oft nicht umgesetzt würden. »Für die konsequente Solarwende brauchen wir aber alle Dächer. Darum müssen weitere Verbesserungen des Mieterstrommodells diskutiert werden«, sagt Matthias Kuder. Der Sprecher von Wirtschafts- und Energiesenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) schlägt ebenfalls eine Angleichung der Einspeisevergütung sowie bürokratische Erleichterungen vor.
Auf die Vergütungssätze des EEG hat das Land Berlin keinen Einfluss, durchaus aber auf den bürokratischen Aufwand. So schreibt die Berliner Bauordnung eine Genehmigungspflicht für Solaranlagen auf über 22 Metern Höhe vor. Das betreffe die meisten Gebäude ab neun Stockwerken, »also genau die, bei denen man ein tolles Verhältnis von Stromerzeugung und Versorgung hat«, sagt Kästner. Die Auslegung dieser Norm obliege den Bezirken. Die Stadtwerke hätten dabei bereits festgestellt, »dass sie in zwei Bezirken extrem unterschiedlich ausgelegt wurde und mit sehr unterschiedlichen Kosten verbunden war«, berichtet er.
Hinzu kommt, dass es nicht reicht, Neubauten wie an der Rhinstraße mit Solarmodulen auszustatten, sondern dass vor allem die Bestandsgebäude entsprechend saniert werden müssten, wobei die Ertüchtigung der Haustechnik sehr teuer werden kann. Laut Energieverwaltungssprecher Kuder soll sie aber durch das Förderprogramm Solar Plus bezuschusst werden.
Außerdem seien für Berlin ein Leitfaden zur Installation von Solaranlagen an denkmalgeschützten Gebäuden und Qualifizierungsmaßnahmen gegen den Fachkräftemangel in Planung. Zukünftig sollen die Themen Solarenergie und Klimaschutzberufe schon in den Schulunterricht eingebunden werden. In Vorbereitung seien ein Karrieretag, eine Fachkonferenz, ein berlinweiter Wettbewerb im Bereich Solarenergie und eine Werbekampagne für den Masterplan Solarcity, so Kuder.
Dennoch stehe die Branche durch das bundesweite EEG, das Berliner Solargesetz und nicht zuletzt die Energiekrise enorm unter Druck, sagt Kästner. Es fehle an Fachkräften, folglich gebe es lange Wartelisten für die Umsetzung von Solarprojekten. Das zeigen auch die Zahlen der Senatsenergieverwaltung: 2021 gab es insgesamt 2600 Anschlussanfragen für neue Photovoltaikanlagen bei der Stromnetz Berlin GmbH – ausgebaut wurden jedoch nur 1600. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es bereits 2300 Anfragen und ebenfalls 1600 Anschlüsse.
»Es geht zu langsam voran«, sagt Andreas Otto, der baupolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, auch mit Blick auf das Berliner Energiewende- und Klimaschutzgesetz. Das verpflichtet das Land und die Bezirke, alle öffentlichen Gebäude bis Ende 2024 mit Photovoltaikanlagen auszustatten. Fast alle Bezirke sowie landeseigene Unternehmen wie die Berliner Immobilienmanagement GmbH und die Berliner Stadtreinigung kooperieren dabei mit den Stadtwerken, die in diesem Rahmen seit 2016 über 150 Projekte umgesetzt haben.
Otto wollte jüngst von der Senatsumweltverwaltung wissen, wie der aktuelle Stand bezüglich der 257 öffentlichen Gebäude in Pankow ist. Die vom Bezirk übermittelte Antwort: Man könne hierzu keine statistischen Angaben machen, auch habe man mit Lieferproblemen und personellen Engpässen zu kämpfen. »Meine Anfrage ergab, dass man dort erst ganz am Anfang steht und es nicht mal einen Zeitplan gibt«, sagt Otto zu »nd«. Der in Pankow hierfür zuständige Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) müsse dringend seiner gesetzlichen Verpflichtung nachkommen. Dabei ist Pankow mit 4,5 Prozent seines Ausbauziels sogar auf Platz 4 im Vergleich der Berliner Bezirke. Vorreiter ist hier Marzahn-Hellersdorf mit 7,2 Prozent, ganz am Ende der Liste findet sich Charlottenburg-Wilmersdorf mit gerade mal 1,9 Prozent.
Folgt man einer Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, so liegt der Großteil des Solarpotenzials in der Hauptstadt jedoch ohnehin nicht auf öffentlichen Gebäuden. Während deren Dachflächen nur für eine installierte Leistung bis zu 600 Megawatt Sonnenenergie ausreichen, könnten auf Wohngebäuden etwa 3,5 und auf Gewerbegebäuden 2,3 Gigawatt installiert werden. »Das Potenzial kann nicht vollständig erschlossen werden, solange nicht wirtschaftliche Geschäftsmodelle für verschiedene Eigentumskonstellationen ermöglicht werden«, heißt es in der Studie. Im Klartext: Ohne Verbesserungen im Bereich Mieterstrom wird es für Berlin schwer, das 25-Prozent-Ziel des Masterplans Solarcity zu erreichen.
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