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Fußball Morgana
Die Weltmeisterschaft in Katar wirkt in Doha während des Eröffnungsspiels wie ein gigantisches Trugbild in der Wüste
Plötzlich wird es laut, eine Gruppe von Männern bewegt sich zu psychedelisch anmutender Musik tanzend auf Dohas Corniche entlang. Wegen der Fußball-WM ist die Küstenpromenade von Katars Hauptstadt besonders festlich geschmückt. Im Hintergrund sieht man die bunt beleuchteten und glitzernden Hochglanzfassaden der Wolkenkratzer, vor einem tanzen diese Männer unter Lichterketten. Sie wirken wie in Trance. Einige tragen Fußball-Trikots aus aller Herren Länder, einer sogar sämtliche Flaggen der 32 WM-Teilnehmerländer an seinem Hut.
Der Mann mit dem Flaggen-Hut scheint der Vortänzer zu sein, alle anderen Männer scharen sich um ihn. Ihre Ausgelassenheit wirkt ansteckend. Viele Schaulustige filmen die Szenerie mit ihren Handys und verbreiten die Videos vermutlich in den sozialen Netzwerken und damit rasend schnell in der ganzen Welt. Was bei den Empfängern ankommt: Da ist ja richtig was los in Doha, was für eine Partystimmung! Ist vielleicht genau das der Sinn dieser Tanzdarbietung? Sollen die Männer für schöne Bilder und besondere Eindrücke sorgen? Oder sind sie gerade ehrlich so begeistert, dass die WM an diesem Sonntagabend mit dem Spiel zwischen Gastgeber Katar und Ecuador eröffnet wird?
Es sind derartige Fragen, die man sich hier ständig stellt. Immer wieder geht es um die zentrale Frage: Was ist echt und was ist inszeniert? Vieles, was man hier zu sehen bekommt, kann man kaum glauben. Manches, weil es offensichtlich nicht der Wahrheit entspricht. Anderes, weil es zwar real ist, aber trotzdem unfassbar wirkt. Das gilt auch für diese WM insgesamt. Sie erscheint wie ein gigantisches Trugbild in der Wüste, wie eine Fata Morgana. Oder eher wie eine Fifa Morgana oder noch eher wie eine Fußball Morgana, weil ja alle mitgemacht haben, weit über den Weltverband hinaus. Es ging bis ganz nach oben in der Politik und sogar Justiz, in Europa und in den USA.
Die ganze Welt hat dieses Turnier ernsthaft abgenickt, oft genug in der Rolle als wohl fürstlich bezahlte Lobbyisten. Auch diese Frage muss man sich hier in Doha unweigerlich stellen, während viel Kritik auf Katar einprasselt, unter anderem wegen der Menschenrechtssituation: Schauen hier nicht auch viele einflussreiche Menschen aus der westlichen Welt in einen Spiegel und müssten sie darin nicht die eigene Gier erblicken, die eigene Korrumpierbarkeit?
Die ersten drei Fans, die man nach der Landung am Vorabend in Doha entdeckt hatte, begegneten einem in der von Gastarbeitern erbauten Metro und trugen Trikots sowie weitere Devotionalien aus Brasilien, Portugal und Argentinien. Die drei jungen Männer erzählten, sie seien Inder und lebten in Doha. Sie fügten sich ins Bild der Berichte über sogenannte Fake-Fans, die gegen Geld für Stimmung sorgen sollen. Am nächsten Vormittag, am Tag des Eröffnungsspiels, ging es von Doha aus anderthalb Stunden mit dem Auto durch die flache Ödnis bis zum Trainingsstadion der deutschen Nationalelf. Das Stadion sieht aus wie eine Burg aus dem Mittelalter, es wurde aber erst 2011 erbaut. Auf dem Weg dorthin entdeckte man immer wieder Bauwerke und WM-Stadien, die in der Ferne, im Wüstenstaub der flirrenden Luft, aussehen wie Ufos. Oder ist man hier sogar auf einem anderen Planeten gelandet? Es ist oft einfach nicht zu glauben, was man sieht, und das geht auch abends nach der Rückkehr beim Spaziergang durch Doha so weiter, während des Eröffnungsspiels.
Im Hotelviertel unweit von Katars National Museum ist es eine Stunde vor dem Anpfiff sehr ruhig. An einer Hotelfassade hängen zwei riesige Banner in den katarischen Landesfarben. WM-Euphorie durch Fans aus aller Welt? Gibt es hier aber nicht, weil man hier keine Fans sieht. Vermutlich, weil den meisten die Hotelpreise zu hoch waren. Auf dem Weg Richtung Corniche ändert sich das Bild. Vor dem Fünf-Sterne-Hotel Fraser Suites, in dem die Nacht vom 2. auf den 3. Dezember gerade für rund 1600 Euro zu haben wäre, steht eine Menschentraube. Es sind einige Dutzend Menschen, überwiegend Gastarbeiter. Sie schauen auf zwei Fernseher, die das Luxushotel für seine Gäste draußen im Sitzbereich aufgestellt hat. Das Hotelpersonal drängt die Gastarbeiter zurück.
Etwas weiter beginnt die Corniche, hier ist richtig was los. Tausende Menschen flanieren über die Promenade. Eine riesige Leinwand wurde hier aufgebaut. Es läuft Werbung für Luxusartikel in gestochen scharfen Bildern. Auf dem Rasen am Rand sitzen Frauen und picknicken. Überall sind Shops und Attraktionen, an den Hochhausfassaden hängen riesige WM-Werbebanner. Hier kommen die Menschen, die in Katar leben, mit Touristen und internationalen Fans zusammen. Kurz vor dem Souq Waqif, dem Markt in der Altstadt, die gar keine Altstadt ist, sondern nachgebaut wurde, entdeckt man sogar zwei eindeutig echte Fans aus Wales. Doch Fußball-Touristen aus Europa sind an diesem Abend in Doha eher die Ausnahme. Eher schon sieht man Südamerikaner und Afrikaner.
Im ziemlich leergefegten Souq Waqif spielt das Eröffnungsspiel, welches Ecuador 2:0 gewinnt, so gut wie keine Rolle. Einmal abgesehen von den TV-Studios, die hier aufgebaut sind, um schöne Bilder von den neu errichteten Altstadtfassaden in alle Welt zu transportieren. Und abgesehen von den Kamerateams, die hier auf einem zentralen Platz im Souq stehen. Auf die Bitte eines Reporters hin fangen ein paar Fans an, zu singen und zu jubeln. Das gibt schöne Bilder. Was für eine Stimmung, ganz schön was los in Katar! Auch so entsteht die Fußball Morgana.
Lesen Sie alle unsere Beiträge zur Fußball-WM in Katar unter: dasnd.de/katar
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