- Sport
- Fußball-WM in Katar
Das diktatorische Verhalten der Fifa und des Gastgebers
Großer Druck und Unverständnis auf allen Seiten statt interkulturelle Verständigung
Ein junges Paar, beide so um die 30 Jahre, hatte sich fest an die Hände genommen. Sie war dezent geschminkt – in den iranischen Landesfarben. Er trug auch die grün-weiß-roten Erkennungszeichen an seinem T-Shirt. Kopfnickend bestätigen beide, aus Teheran angereist zu sein. Es war an diesem Montag noch mehr als drei Stunden bis zum Anpfiff des WM-Spiels zwischen England und Iran (6:2), als die beiden an der gesperrten Hauptstraße Al Waab in Doha mehrfach von Medienvertretern gefragt worden sind. Zu der WM. Und der Lage in ihrer Heimat.
Seine Antwort: »Das eine ist Fußball, das andere ist Politik. Wir wollen ein schönes Spiel sehen.« Sie lächelte verlegen; spürbar, dass er nicht die Wahrheit sagen wollte. Und erst recht wollten sie nicht ihr Gesicht in Fernsehkameras halten oder in Zeitungsartikeln mit ihren Namen erscheinen. Das iranische Regime hat Augen und Ohren auch in Katar.
Es sind Begebenheiten wie diese, die bei einer an vielen Stellen hochpolitischen Weltmeisterschaft beklemmend, bedrückend wirken. So befreiend es später auch war, dass Irans Nationalspieler beim Abspielen der Hymne der islamischen Republik eisern geschwiegen haben. Ein mutiges Zeichen – so stark, dass das iranische Staatsfernsehen die Übertragung unterbrach.
Doch in welchem Spannungsfeld sich diejenigen bewegen, die bei diesem Turnier eigentlich die Hauptrolle spielen sollen, gefiel Irans Nationaltrainer Carlos Queiroz ganz und gar nicht. Viele haben den portugiesischen Weltenbummler noch nie so wütend erlebt, wie in dem Zeltbau des Khalifa International Stadium. »Moralisten und Lehrer, lasst die Kids das Spiel spielen. Nehmt ihnen nicht den Spaß und die Fröhlichkeit.« Mit Kids hatte der 69-Jährige seine Kicker gemeint. »Sie wollen einfach für ihr Land Fußball spielen, wie es alle anderen Spieler auch können. Es ist nicht korrekt, sie Dinge zu fragen, für die sie nichts können.«
Tatsächlich scheint auf seinen Protagonisten ein für viele unvorstellbar großer Druck zu lasten. Jede Geste, jedes Statement wird politisch interpretiert. Seine Spieler ducken sich nicht weg, ganz im Gegenteil: Sie bringen mehr Mut auf als beispielsweise die Europäer, die von der Fifa für das Tragen der »One Love«-Binde sportlich hätten sanktioniert werden können. Iranische Akteure werden mit ihrer Solidarität für die Regimekritiker vielleicht vom Verband nachträglich gesperrt, womöglich deren Familien bedroht. Wer weiß das schon.
Das drückt die Stimmung bei der WM. Nicht nur bei den Iranern, auch bei England, Dänemark oder Deutschland. Überall dieselben Fragen an Trainer und Spieler. Gareth Soutgate wirkte fast ein bisschen ratlos, als der englische Nationalcoach in der Debatte um die Kapitänsbinde, auf der bei seinem Spielführer Harry Kane statt »One Love« dann »No Discrimination« stand, Stellung bezog: »Wir konnten da nicht involviert sein, vor allem die Spieler nicht. Das ist nicht ihre Aufgabe, das zu regeln.« Wenn die Debatten irgendetwas Gutes hätten, dann für künftige Generationen den Auftrag, besser miteinander zu kommunizieren, sagte Southgate, der mit Kasper Hjulmand gut befreundet ist. Sein dänischer Kollege hatte zuvor großes Unverständnis artikuliert, dass zwischenzeitlich die Verantwortung auf die Spieler abgeladen werden solle. Da stimmt tatsächlich was nicht.
Man stelle sich vor, in London würde ein Ärztekongress stattfinden und die Mediziner sollten die taktische Rolle von Englands Torjäger Harry Kane als hängende Spitze beurteilen. Oder in Berlin würden nach einer Bundestagssitzung die Politiker nach den Fehlern beim Verschieben der iranischen Viererkette gefragt. Niemand würde vernünftige Antworten erwarten. Wenn Fußballer dermaßen beladen werden, ist das einem Spiel nicht dienlich, das von Intuition und Emotionen lebt. Deswegen hat wohl auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf dem Nationalmannschaftskapitän Manuel Neuer einen aufmunternden Klaps auf dem Trainingsplatz gegeben. Weitermachen. Irgendwie.
An der verfahrenen Situation sind alle schuld. Der Weltverband Fifa, der beim Bierverkauf oder der Armbinde in letzter Minute vor dem Gastgeber Katar einknickt, der sich wohl im Vorlauf angewöhnt hatte, alle Spielregeln selbst zu machen. Das diktatorische Verhalten dieser beiden Player ist inakzeptabel. Am Montagabend kam gleich das nächste Verbot. »Das Wort ›Love‹ muss verschwinden«, sagte der belgische Verbandspräsident Peter Bossaert. »Es ist traurig, aber die Fifa lässt uns keine Wahl.« Demnach muss das Wort »Love«, das auf der Innenseite (!) der Ausweichtrikots eingearbeitet war, wieder entfernt werden.
Aber auch die viele Kritik ist in der »Empörungsspirale« – diesen Begriff wählte DFB-Mediendirektor Steffen Simon für die deutsche Medienschelte im Vorfeld sehr bewusst – nicht hilfreich. Doppelmoral scheint an der einen oder anderen Stelle sehr wohl durch. Zurück bleibt Unverständnis auf allen Seiten. Eigentlich könnte die erste WM in einem arabischen Land eine des Austausches verschiedener Kulturen, Religionen und Anschauungen sein. Der Fehlstart aber ist ein Lehrbeispiel, wie interkulturelle Verständigung nicht geht.
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