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Botschafter zweiter Klasse

Spieler mit Einwandererbiografie bilden den Kern des katarischen Teams. Vollwertige Katarer sind sie nicht

  • Ronny Blaschke, Doha
  • Lesedauer: 6 Min.
Akram Afif gilt als Hoffnungsträger der katarischen Nationalmannschaft – ein vollwertiger Staatsbürger ist er nicht.
Akram Afif gilt als Hoffnungsträger der katarischen Nationalmannschaft – ein vollwertiger Staatsbürger ist er nicht.

Die Basis des katarischen Fußballs liegt in der Aspire Zone, in einem der modernsten Sportzentren der Welt. Wer das Gelände im Westen von Doha zu Fuß umrunden will, benötigt mehr als eine Stunde. Im Inneren öffnet sich ein schier endloser Parcours aus überdachten Trainingsplätzen und klimatisierten Fitnessräumen. Dazwischen Labore, gläserne Bürokomplexe und ganze Etagen für Trainingslehre, Medizin und Physiotherapie.

In den Gängen sind Fotos und Zitate berühmter Fußballer angebracht: Maradona, Pelé, Messi. Dazwischen fällt ein Spieler in burgunderrotem Trikot auf. Das Foto zeigt ihn nach einem Tor mit ausgebreiteten Armen, umringt von fröhlichen Mitspielern. Akram Afif gilt als erfolgreichster Nationalspieler Katars, mit 26 Toren in 89 Länderspielen. Katarische Medien porträtieren Afif als Hoffnungsträger für die heimische WM, die der Gastgeber am Sonntag gegen Ecuador mit einer 0:2-Niederlage eröffnete. Doch diese Zuversicht kann auch in Gleichgültigkeit umschlagen. Akram Afif symbolisiert auch die Staatsbürgerschaftshierarchie des kleinen Golfstaates. Solange er dem Image der Herrscherfamilie von Nutzen ist, darf er sich als vollwertiger Katarer fühlen. Doch diese Beziehung ist fragil.

Akram Afif wurde 1996 in Doha geboren, sein Vater stammt aus Somalia, seine Mutter aus dem Jemen. Wie Afifs Eltern zog es in den vergangenen Jahrzehnten Hunderttausende Menschen aus Entwicklungsländern zum Arbeiten an den Persischen Golf. Akram Afif machte früh auf sein Fußballtalent aufmerksam. Er spielte als Kind für lokale Klubs in Doha und wechselte 2009 in die Aspire Academy. Dort blieb er – mit kurzen Unterbrechungen – fast fünf Jahre.

Rund um die WM-Vergabe nach Katar im Jahr 2010 wuchs in Doha die Sorge vor einer sportlichen Blamage im eigenen Land. Kurzfristige Einbürgerungen ausländischer Spieler für das katarische Nationalteam waren nicht mehr möglich. Die Fifa hatte inzwischen ihre Zulassungsbedingungen verschärft, übrigens auch wegen Katar: 2004 wollte das Emirat die brasilianischen Spieler Dedê, Ailton und Leonardo einbürgern, doch der Weltverband lehnte ab. Fortan mussten Spieler nun mindestens fünf Jahre in ihrem neuen Land gelebt haben.

»Katar konzentrierte sich auf junge Talente, die noch für kein Jugendnationalteam gespielt haben«, berichtet der Nahost-Forscher Robert Chatterjee, der in einem gerade erschienenen Buch auch die katarische Fußballgeschichte nachzeichnet. Die Außenstelle von Aspire im Senegal sichtete Zehntausende afrikanische Spieler – nur einige Dutzend wurden jährlich nach Doha eingeladen. Dreißig von ihnen spielten dann zeitweilig in Belgien beim KAS Eupen, einem Verein, der seit 2012 in katarischem Besitz ist. Dort sollten sie Spielpraxis sammeln und sich für europäische Spitzenklubs empfehlen, doch niemand setzte sich langfristig durch. Auch Akram Afif kam 2017 für einige Monate nach Eupen, in 15 Ligaspielen schoss er ein Tor.

Wenige Jahre vor der WM hatte Katar keine wettbewerbsfähige Mannschaft. Das änderte sich mit der Ernennung von Félix Sánchez zum Nationaltrainer. Der Spanier hatte selbst nicht auf höchstem Niveau gespielt, aber er lernte seine Grundlagen als Jugendtrainer beim FC Barcelona. Bereits 2006 wechselte Sánchez zu Aspire nach Doha, wo er verschiedene Nachwuchsteams trainierte und 2017 das A-Nationalteam übernahm. Sánchez kennt die meisten Spieler seit ihrer frühen Jugend. Gut ein Drittel von ihnen hat Wurzeln außerhalb Katars, ihre Eltern und Großeltern stammen aus Somalia, Jemen, Algerien oder dem Sudan.

»Das Team verdeutlicht die zunehmende Migration aus ärmeren arabischen Ländern an den Golf«, sagt der Journalist Maher Mezahi, der sich mit dem Fußball im Nahen Osten beschäftigt. »Auch viele Mediziner, Ingenieure oder Gasexperten versprechen sich in Katar eine bessere Bildung und Medizin für ihre Familien.« Félix Sánchez hob das Nationalteam auf ein neues Niveau. Seine Leitfiguren spielen nicht im fernen Europa, sondern in der heimischen Liga, insbesondere bei Al Sadd. Der Serienmeister wurde lange von Xavier Hernández trainiert, bevor dieser zu seinem alten Klub zurückkehrte, zum FC Barcelona.

Ihren Durchbruch feierte die katarische Auswahl bei der Asienmeisterschaft 2019 in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Erst beim 3:1-Finalsieg gegen Japan kassierte sie ihr erstes Gegentor während des Turniers. Torschützenkönig wurde der katarische Stürmer Almoez Ali, geboren im sudanesischen Khartum. Akram Afif wurde später zu Asiens Spieler des Jahres ernannt. Der einzige Leistungsträger Katars, der in Europa geboren wurde, in Portugal, war Pedro Correia, genannt Ró-Ró. Katarische Politiker werteten die Asienmeisterschaft als Sinnbild für ihr aufstrebendes Land. Was sie nicht erwähnten: Auch prominente Spieler sind keine vollwertigen Staatsbürger. Von den 23 Spielern des Asienmeisters hatten 17 befristete Aufenthaltsgenehmigungen für Katar.

Das Fundament dafür ist das Staatsangehörigkeitsgesetz von 2005, das die Bevölkerung in Gruppen unterteilt. Katarer, die ihre lokale Familiengeschichte mindestens bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen können, dürfen sich als »Einheimische« oder »Vollbürger« bezeichnen. Wer seine Abstammung für die Zeit nach den 1930ern nachweisen kann, zählt zur Kategorie der »eingebürgerten« Katarer. Diejenigen, die diesen Beweis nicht erbringen können, müssen auf eine Einladung des Emirs hoffen. Diese Vergabe der Staatsbürgerschaft gilt innerhalb der Clanstrukturen als willkürlich.

Für Arbeitsmigranten aus Südasien oder arabischen Staaten ist die Chance auf eine vollwertige Staatsbürgerschaft fast aussichtslos, das gilt auch für ihre Kinder und Enkelkinder, die in Doha geboren wurden. »Sportler, die Katar vertreten, erhalten befristete Dokumente«, erläutert Danyel Reiche von der Georgetown University in Doha. Mit diesen »Missionspässen« gelten sie als »eingebürgert«, haben aber weiterhin auch die Staatsbürgerschaft ihres Herkunftslandes.

Bei besonderen Verdiensten kann der Status dauerhaft aufgewertet werden. Ein Beispiel: 2015 unterlag Katar bei der heimischen Handball-WM mit einer Auswahl aus europäisch-stämmigen Spielern erst im Finale. Etliche Spieler wurden danach vollwertig eingebürgert. Doch auch sie dürfen erst fünf Jahre danach im öffentlichen Sektor arbeiten. Ein Wahlrecht für den Schura-Rat, die beratende Versammlung des Emirs, haben sie nicht. Es heißt, dass pro Jahr nicht mehr als fünfzig Menschen eine solche Einbürgerung erhalten dürfen.

Von den rund 2,7 Millionen Einwohnern kommen lediglich 300 000 katarische Staatsbürger in den Genuss aller Bürgerrechte. Die Einheimischen müssen für Energie, Wasser, Bildung und Gesundheitsvorsorge nichts bezahlen. Auf Wunsch erhalten sie Stipendien und Jobs im öffentlichen Sektor, überdies auch Zuschüsse für Grundstücke und Firmengründungen. Viele Katarer betrachten einen Zustrom von Einwanderern in ihr Sozialsystem als Gefahr für ihre Stammesstrukturen und religiösen Traditionen. Während der Pandemie, als einige Branchen in eine Krise abglitten, wurden etliche Aufenthaltsgenehmigungen von qualifizierten Fachkräften gekündigt. Etliche Einwohner, die in Katar aufgewachsen sind, mussten das Land verlassen.

In vielen Ländern verdeutlichen die Fußballnationalteams die Migrationsbewegungen der vergangenen Jahrzehnte. Eine Studie von niederländischen Forschern zeigt, dass der Anteil von Spielern, die im Ausland geboren wurden, bei Weltmeisterschaften relativ stabil ist. Zwischen 1930 und 2018 lag dieser Anteil zwischen acht und zwölf Prozent. Eine Staatsbürgerschaftshierarchie wie in Katar ist jedoch selten. Spieler wie Akram Afif können in dieser Hierarchie aufsteigen. Die Bedingung dafür: Erfolg bei dieser Weltmeisterschaft.

Lesen Sie alle unsere Beiträge zur Fußball-WM in Katar unter: dasnd.de/katar

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