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In der deutschen Hauptstadt öffnet das erste Cold War Museum in Deutschland, ein ehrgeiziges, aber noch unvollendetes Projekt

Zwei Konterparts im Kalten Krieg: Nikita S. Chruschtschow und John F. Kennedy
Zwei Konterparts im Kalten Krieg: Nikita S. Chruschtschow und John F. Kennedy

Das passt. Eisige Kälte zur Eröffnung des deutschlandweit ersten Museums zum Kalten Krieg. Zugegeben, ein müder Witz. Die notorische Teetrinkerin nahm allerdings dankbar den freundlicherweise von den Gastgebern zur Begrüßung dargebotenen Kaffee entgegen. Um sich zu erwärmen. Und aufzuwärmen für das, was kommen möge – in dieser neuen Attraktion in Berlin, Unter den Linden. Es war übrigens kein Muckefuck. Warum eigentlich nicht? Schmeckt zwar nicht, hätte aber gepasst.

Ja, es gibt in Berlin schon den Checkpoint Charly, ein Spionage-Museum und das Alliierten-Museum. Doch unter der Hausnummer 14 in der vom wiedererstandenen Hohenzollern-Schloss aufs Brandenburger Tor zulaufenden Prachtstraße der alten und neuen deutschen Hauptstadt soll der vier Jahrzehnte währende, viel zu oft mörderisch-militärisch ausgetragene Konflikt zwischen den beiden kontroversen Gesellschaftsordnungen, Kapitalismus dort und Sozialismus hier, in seiner globalen Komplexität generationenübergreifend und generationenverbindend veranschaulicht werden. So die Intention des Museumsgründers Carsten Kollmeier, der Berlin schon mit dem Spy Museum, einem Samurai- und Dalí-Museum beglückte. Auch der Standort seiner neuen Schöpfung hätte nicht trefflicher gewählt sein können: in der einstigen Metropole des Kalten Krieges, unweit von den Botschaften der Russischen Föderation, der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Und: auf einer Touristenmeile.

Zunächst ein Film: Ein sowjetischer Kosmonaut, erkennbar am orangenfarbenen Raumanzug, und ein US-Astronaut im weißen Space Suit durchstreifen Berlin – vom sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park bis zur Siegessäule, gekrönt mit der von den Berlinern spöttisch »Goldelse« genannten Triumphgöttin, zwischen der ehemaligen CIA-Lauschstation Teufelsberg zurück zur East Side Gallery. Die Weltraumfahrer springen in die U-Bahn, Skateboarden und machen Selfies mit hip-hoppenden Jugendlichen. Lustig.

Nicht lustig: »Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter.« So lautete eine Weisheit des Kalten Kieges. Im Eingangsbereich des Cold War Museums, einzigartig auch europaweit, hängt im Foyer das Modell einer einst auf Kuba stationierten sowjetischen Interkontinentalrakete. Die Entdeckung dieser ballistischen Waffen, die Ziele in bis zu 15 000 Kilometern Entfernung treffen konnten, durch US-amerikanische Spionageflugzeuge im Oktober 1962 hatte die Welt an den Abgrund eines nuklearen Konflikts gebracht. Zum Schluss der Ausstellung darf sich der Besucher erneut gruseln, beim Anblick von »Fat Man«, einer Nachbildung jener Bombe, die am 9. August 1945 über Nagasaki ausgeklinkt wurde, 70 000 Menschenleben auslöschte und das Zeitalter eines latent drohenden Atomkrieges eröffnete.

»Experience two sides of the same story« (Erlebe zwei Seiten derselben Geschichte) lautet die Einladung der Ausstellungsmacher unter Chefkurator Peter Ridder. Man will kein verstaubtes Museum, sondern ein lebendiges, interaktives, modernes sein, durch das Senior mit Junior wandelt und das ständig mit neuen Inhalten bereichert wird. Was dank digitaler Technik, Screenshots, Videos und per Code abrufbaren Hintergrundmaterialien relativ rasch zu bewerkstelligen sei. Mit Virtual-Reality-Brille können sich die Besucher in die Zeit des Kalten Krieges zurückbeamen. Versprochen werden Erkenntnisgewinn, Spannung und Abenteuer. »Education and Entertainment«, umreißt Bernd Stöver, Geschichtsprofessor an der Universität Potsdam und Vorsitzender des Museumsbeirats, das Konzept.

Für die originelle Aus- und Einkleidung der 1600 Quadratmeter umfassenden Ausstellungsfläche in dem Gebäude, in dem sich nachwendig ein Autohaus eingenistet hatte, konnte der russische Architekt Sergei Tchoban gewonnen werden. Eine gute Wahl. Einerseits, weil er 1962 in der Sowjetunion geboren worden ist, somit sehr gut weiß, worum es geht, und er andererseits ein international renommierter Spezialist für modernes Museumdesign ist. Tchoban hat unter anderem für den Vatikan gearbeitet, der – wie hier nebenbei angemerkt sei – gleichfalls ein Global Player im Kalten Krieg war und nicht unwesentlich am Zusammenbruch des »Ostblocks« mitgewirkt hatte. Erinnert sei an den polnischen Papst, Johannes Paul II., mit bürgerlichem Namen Karol Józef Wojtyła geheißen. Originell Tchobans Idee, ein überdimensioniertes Schachbrett in die Ausstellung zu integrieren. Dies erinnert zum einen an die legendären Spiele zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski und symbolisiert zum anderen die keine Bauernopfer scheuende Rivalität der hochgerüsteten Supermächte im Kalten Krieg.

Hinter der Interkontinentalrakete fällt ein stilisierter »Eiserner Vorhang« von der Decke herab, von Schüssen durchlöchert und mit den Konterfeis prominenter Politiker des Kalten Krieges bestückt – von Harry S. Truman, in dessen Amtszeit die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki fielen, der den Europa spaltenden Marschall-Plan durchgesetzt und mit seiner Rede vor dem US-Kongress im März 1947 der Sowjetunion den Kampf angesagt hatte, über John F. Kennedy bis hin zu Ronald Reagan, jenen US-Präsidenten, der am 12. Juni 1987 am Brandenburger Tor von Westberliner Seite aus dem sowjetischen Partei- und Staatschef Michael S. Gorbatschow zurief: »Tear down this wall!« (Reißen Sie diese Mauer nieder). Als östliche Pendants sind Josef W. Stalin, Mao Tse-tung, Nikita S. Chruschtschow, der sich im Juni 1961 in Wien von JFK den Freischein zum Bau der Berliner Mauer einholte, sowie der bereits erwähnte letzte KPdSU-Generalsekretär abgebildet. Es fehlt Willy Brandt, der mit seiner Neuen Ostpolitik maßgeblich zu einer Phase der Entspannung zwischen Ost und West beigetragen hat. Der transparente Vorhang im Cold War Museum ist von einer ukrainischen Künstlerin gestaltet worden. Passt. Zeugt der heiße Krieg in ihrer Heimat nicht davon, dass der Kalte Krieg mitnichten beendet ist? Obgleich er nicht mehr zwischen zwei konträren Gesellschaftssystemen tobt, so aber doch noch zwischen zwei Großmächten und deren Verbündeten.

Die Ausstellung setzt im Jahr 1947 ein. Obwohl eine wesentliche Zäsur bereits die Rede des ehemaligen britischen Premiers Winston Churchill am 5. März 1946 im US-amerikanischen Fulton war, der schon vom »Eisernen Vorhang« sprach, der sich zwischen Ost und West senken werde (ein Bild, das im Februar ’45 auch NS-Propagandaminister Goebbels verwandte). Das Hauptaugenmerk der Exposition liegt auf Aufrüstung und Abschreckung, weltweite Spionage sowie Stellvertreterkriege, wobei Afrika und Lateinamerika als Schauplätze und Schlachtfelder der Systemauseinandersetzung nicht in den Blick geraten. Dies werde noch nachgeholt, versichert Stöver dem »nd«. In einer Vitrine sind ein tschechisches AK47-Sturmgewehr und eine US-Panzerabwehrwaffe, die Bazooka, zu sehen, von der Bundeskanzler Olaf Scholz besonders beeindruckt zu sein scheint. Handzettel liegen aus, die einst Bürger und Bürgerinnen Handlungsanweisungen für einen atomaren Erstschlag vermitteln sollten. Chefkurator Peter Ridder macht die Damen und Herren der Presse, die am Dienstag schon mal vorab die Ausstellung besichtigen durften, auf den »heißen Draht« aufmerksam, der nach der Kuba-Krise zwischen den beiden Supermächten USA und UdSSR installiert worden ist.

Ein nachgestelltes Wohnzimmer aus DDR-Zeiten im Schick der 60er/70er Jahre soll symbolisieren, dass der Kalte Krieg bis in die Privatsphäre eindrang, »auch Familien entzweite«, so Stöver. Die scheinbare Behaglichkeit der »guten Stube« kontrastiert zu den Schreckensbildern aus dem Korea- und Vietnamkrieg auf Bildschirmen an gegenüberliegenden Stellwänden, darunter vom Massaker in Son My (My Lai) am 16. März 1968. Hinter Glas befinden sich seinerzeit von Vietnamesen aus dem Blech abgeschossener US-Bomber gefertigte Alltagsgegenstände, wie etwa ein Kamm. Berichtet wird über die vielfältigsten Aktionen der internationalen Friedensbewegung, darunter die Ostermärsche.

Ausführlich wird der Wettstreit im Sport dargestellt, die DDR ist mit ihren »Goldjungs und Goldmädels« im Turnen, Rudern, auf dem Eis und im Schwimmstadion, auf Skibrettern und im Bob präsent. Man kann Katarina Witt, »das schönste Gesicht des Sozialismus« (Erich Honecker), bewundern und Marathonläufer Waldemar Cierpinski noch einmal bejubeln. Eine Eintrittskarte, einsam und allein in einem Glaskasten, erinnert an die Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980, vom Westen wegen des Einmarsches der Sowjetarmee in Afghanistan boykottiert, worauf der Osten vier Jahre später mit dem Boykott der Spiele in Los Angeles antwortete.

Großen Raum nimmt der Wettlauf in den Kosmos ein: Space Race. Das Technik-Museum in Speyer stellte Leihgaben zur Verfügung, darunter die Raumanzüge, mit denen Juri Gagarin und ein Jahr nach ihm John Glenn in den Orbit gestartet waren. »Die Sowjets hatten die Nase vorn«, sagt Harald Braun. Der Leiter der größten Raumfahrtausstellung Europas, der eigens zur Eröffnung des Cold War Museums in Berlin aus Rheinland-Pfalz angereist ist, listet auf: »Der Sputnik, das erste Lebewesen im All, der erste Mensch im All, die erste Frau im All und der erste im All frei schwebende Mensch.« In der DDR sozialisierte Bürger kennen die Namen: Laika, die Hündin, die einem traurigen Schicksal im All überlassen wurde, dann Gagarin, Valentina Tereschkowa und Alexej Leonow. Braun ist stolz, Herr über 700 Exponate in Speyer zu sein. Sein Erweckungserlebnis, das ihn zu einem Fan und Experten der Raumfahrt werden ließ, war das Apollo-Sojus-Projekt (in der Ausstellung mit einem Modell der Ankoppelung beider Raumfähren erinnert), das mitten im Kalten Krieg startete: 1975, in jenem Jahr, in dem die KSZE-Schlussakte in Helsinki unterzeichnet worden ist. »Auf Erden bekriegte man sich, im All kam man gut miteinander aus«, sagt Braun. Das von Reagan 1983, in einer Hochphase des Kalten Krieges, verkündete SDI-Programm, umgangssprachlich »Star Wars« (Krieg der Sterne) genannt, bezeichnet er als »Idiotie, ein Hirngespinst, das zum Glück nicht funktionierte«. Auf die »nd«-Frage, was er vom neu aufgelegten Mondprogramm der USA halte, antwortet Braun: »Das finde ich sehr gut.«

Überraschender- oder eher bezeichnenderweise unterhält das Speyer-Museum keine Kontakte zum Raumfahrt-Museum in der vogtländischen Stadt Morgenröthe-Rautenkranz, in der Sigmund Jähn geboren worden ist: »Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR«, wie das »Neue Deutschland« am 27. August 1978 auf Seite 1 titelte.

Verwunderlich auch, dass die Bereiche Kultur und Medien, in denen der Kalte Krieg nicht minder heftig wütete, im Cold War Museum völlig ausgespart sind. Nun ja, es versteht sich als ein unvollendetes, das stetig bereichert werden will. Als wohltuend zu verzeichnen ist jedenfalls, dass hier nicht von »Guten« und »Bösen« die Rede ist, auf ideologisierte Kommentierungen verzichtet wird, einzig wissenschaftliche Standards gelten sollen. Vielleicht, weil es sich hier nicht um ein staatliches historisches Museum mit Missionierungseifer handelt, sondern um ein privates. Von »nd« befragt, wer die Sieger, wer die Verlierer des 1991 mit dem Zerfall der Sowjetunion für beendet erklärten Kalten Krieges seien, antwortet der Historiker Bernd Stöver, geboren im geschichtsträchtigen Jahr 1961, salomonisch: »Es kommt immer auf die jeweilige Sicht an.«

Das Cold War Museum öffnet an diesem Samstag seine Pforten – die Besucher werden dreisprachig empfangen: »Welcome. Willkommen. Dobro Poschalowat.«

Cold War Museum, Unter den Linden 14, 10117 Berlin, Eintritt 16 €, erm. 12 u. 10 €.

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