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Die Bahn-Infrastruktur ist ausgereizt
Vor fünf Jahren ist das Ausbauprogramm i2030 gestartet – nun trägt es erste, sehr kleine Früchte
Fast enthusiastisch blickt Berlins Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) auf den am 11. Dezember anstehenden Fahrplanwechsel. »Zusätzliche Strecken, Taktverdichtungen, Kapazitätsausbau durch mehr Wagen« bringe das neue »Netz Elbe-Spree« für die Region. Bis zu drei Züge pro Stunde werden künftig auf dem RE1 zwischen Frankfurt (Oder), Berlin, Potsdam und Brandenburg/Havel verkehren, der RE2 nach Cottbus erhält endlich mehr Wagen, eine neue Linie RE8 sorgt für vier statt bisher drei Regionalzüge pro Stunde zwischen Berlin und Nauen – das sind unter anderem die herausragendsten Verbesserungen für Pendler in der Region.
»Das Ganze ist ein sehr komplexes Projekt gewesen, für das es erstmals auch eine Machbarkeitsstudie als Grundlage gab, weil wir es insgesamt im Bahnknoten Berlin mit einer sehr gut genutzten Infrastruktur zu tun haben, die auch an vielen Stellen an ihre Grenzen kommt«, sagt Jarasch bei der Sitzung des Mobilitätsausschusses des Abgeordnetenhauses am Mittwoch. Sie erhoffe sich, dass deutlich mehr Pendlerinnen und Pendler »ihr Auto stehen lassen und sich entscheiden, dann doch mit der Bahn zu kommen«. Denn mit dem dichteren Netz, zusammen mit dem 49-Euro-Ticket, dem deutschlandweit gültigen Nahverkehrs-Abo, das voraussichtlich 2023 kommt, werde es ein »deutlich verbessertes Angebot« geben.
Tatsächlich materialisieren sich zum Fahrplanwechsel auch erstmals Projekte aus dem Eisenbahn-Infrastrukturprogramm i2030. Vor fünf Jahren unterzeichneten der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), die Verkehrsministerinnen der beiden Länder sowie die Deutsche Bahn die Vereinbarung. Berlin und Brandenburg finanzieren die Planung von Eisenbahnkorridoren vor, die ausgebaut werden müssen, um das Angebot im Nahverkehr verdichten zu können, so die Idee. Sobald Geld vom Bund da ist, kann sofort die Realisierung solcher sogenannten Schubladenprojekte angegangen werden.
Ein paar Meter Bahnsteigverlängerungen an einigen Stationen entlang des RE1-Ostastes zwischen Berlin und Frankfurt (Oder), die nun gebaut worden sind, damit die ab dem Fahrplanwechsel längeren Züge auch halten können, sind es, die Sebastian Ulrich befriedigt sagen lassen: »i2030 ist aus der Papierphase herausgekommen.« Der VBB-Programmleiter des Ausbauvorhabens sagt das am Montagabend beim Eisenbahnwesen-Seminar der Technischen Universität Berlin. Im Frühjahr 2023 soll in Königs Wusterhausen ein neues Wendegleis für die dort endenden Regionalbahnen in Betrieb gehen. Bisher blockieren sie die Durchfahrt von und nach Cottbus.
Es sind kleine Anfänge eines Riesenprojekts. Bis zu 180 Kilometer Strecke und 100 Bahnhöfe sollen reaktiviert, aus- oder neugebaut werden. Rund 8,5 Milliarden Euro an Planungs- und Baukosten sind veranschlagt – eine Zahl, die angesichts der rasanten Baukostensteigerungen wohl überholt ist, wie Sebastian Ulrich einräumt.
Immerhin 130 Millionen Euro für Planungskosten sind bereits von den Ländern bereitgestellt worden. Unter anderem für die Reaktivierung der Berliner Siemensbahn von Jungfernheide nach Gartenfeld sowie zusätzliche Gleise, Weichen und Signale bei der S-Bahn – oder den bis zu sechsgleisigen Ausbau der Strecke von Berlin-Spandau nach Nauen. »Der Bund hat zunehmend sehr großes Interesse an der Strecke, was uns sehr entgegenkommt, was die Finanzierung angeht«, sagt Ulrich. Schließlich geht es dabei auch um die ICE-Strecken nach Hamburg und Hannover.
Dass dringend etwas passieren muss, ist klar. »Wir kriegen den vierten Zug pro Stunde nach Nauen, aber alles humpelt sich so zusammen«, beschreibt Sebastian Ulrich das Problem, dass wegen der Streckenauslastung kein gleichmäßiger Takt möglich ist. Teilweise brauchen Regionalzüge künftig auch mehrere Minuten länger als bisher, weil ein größerer zeitlicher Puffer an manchen Bahnhöfen notwendig ist, um den Verkehr abwickeln zu können.
»Hunderttausende Menschen können mit der S-Bahn westlich von Spandau abgeholt werden«, sagt der VBB-Mann über die Perspektive für die Strecke ins Havelland. »Die Busse fahren derzeit Stoßstange an Stoßstange«, so die aktuelle Situation vor dem Bahnhof Spandau. Das dürfte auch auf absehbare Zeit so bleiben. Eine Fertigstellung wird erst in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre erwartet.
Vom politischen Beschluss bis zur Realisierung vergehen in Deutschland bei großen Infrastrukturprojekten in der Regel 20 Jahre. Selbst etwas scheinbar Simples wie die Wiederinbetriebnahme einer größtenteils vorhandenen Strecke wie bei der Siemensbahn wird erst für das Jahr 2029 angepeilt.
»Man verschenkt viel Zeit, indem man die Öffentlichkeit spät beteiligt. Wenn die Einwände erst kurz vor der Genehmigung kommen, muss im Zweifelsfall sehr aufwendig und zeitintensiv umgeplant werden«, sagt Lasse Hansen am Dienstagabend bei einem Online-Vortrag des Berliner Verkehrspolitischen Informationsvereins. Ein bis zwei Jahre ließen sich nach Ansicht des Bauingenieurs, der auch an der Uni lehrt, nach bei frühzeitigerer Beteiligung bei der Planung sparen.
Noch in diesem Jahr soll die Finanzierungsvereinbarung für die Planung des Wiederaufbaus der Potsdamer Stammbahn als Regionalbahn unterzeichnet werden. Die Verbindung von Potsdam und Berlin über Zehlendorf soll den ganzen Bahnknoten entlasten, auch durch eine Weiterführung eines Zweiges entlang der südlichen Ringbahn über das Süd- zum Ostkreuz.
Für zahlreiche weitere Korridore müssen die Finanzierungsvereinbarungen für die konkretere Planung noch geschlossen – und vor allem die Mittel aufgetrieben werden. »Wir müssen nach den Preisentwicklungen allein dieses Jahr eine Bestandsaufnahme machen, wie realistisch der Finanzierungsrahmen noch ist«, sagt Sven Heinemann zu »nd«. Er ist vermögenspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Denn neben der Stammbahn sind dieses Jahr zu den verbindlich weiter zu verfolgenden Projekten auch der Ausbau und die Teil-Elektrifizierung des Prignitz-Expresses RE6 sowie die Verlängerung der S75 von Wartenberg zunächst bis zur Sellheimbrücke an der Grenze von Karow und Blankenburg hinzugekommen. »Dieses Paket muss zusammenbleiben und höchste Priorität haben«, sagt Heinemann. Die Realisierung dürfte günstig werden, schließlich ist das Gleisplanum bereits in den 1990er Jahren vorbereitet worden. Die vollständige Realisierung wurde damals wegen zurückgestellter Baupläne abgebrochen.
Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB fordert, dass eine bereits von der Koalition ins Auge gefasste Finanzierungsquelle genutzt wird: Teile einer 313 Millionen Euro schweren Rücklage im Sonderfonds Siwana für den Kauf von Zügen für zwei Drittel des S-Bahnnetzes. »Das Geld liegt als totes Kapital im Fonds und wird angesichts der Inflation immer weniger wert. Man könnte Teile davon bedenkenlos nutzen, denn die neuen Fahrzeuge werden sowieso über die Regionalisierungsmittel des Bundes finanziert«, sagt Wieseke zu »nd«.
Immerhin soll diesen Freitag die nächste Phase des S-Bahn-Vergabeverfahrens für die Nord-Süd-Linien durch den Tunnel und die Ost-West-Linien über die Stadtbahn weitergehen. Ab dann sollen die Unterlagen für die Bieter »sukzessive hochgeladen« werden, teilt die Mobilitätsverwaltung auf nd-Anfrage mit. Zwei Jahre später als ursprünglich geplant. Acht Monate haben die Unternehmen dann Zeit, um ihre finalen Angebote abzugeben. Ob eine geplante erste Betriebsaufnahme Ende 2027 noch realistisch ist, steht damit in den Sternen. Der Schienenfahrzeughersteller Alstom hatte vor der Vergabekammer bereits Rüge gegen das Verfahren eingelegt. Die ist Anfang November abgewiesen worden. Inzwischen ist nach nd-Informationen eine Klage vor dem Berliner Kammergericht eingegangen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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