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- »Grump« von Mika Kaurismäki
Deutsch-finnisches Grauen
Ende gut, alles furchtbar. »Grump« von Mika Kaurismäki entwirft eine heimelig-reaktionäre Welt voller Klischees
Der Film, um den es im Folgenden gehen wird, hat genau eineinhalb gute Minuten. Ein alter Mann (Heikki Kinnunen) fährt in seinem roten Ford Escort über einen Feldweg, und seine Erinnerungen vermischen sich mit der Realität – ein kurzer Moment der Irritation, ein Unfall. Dieser wird die Handlung des Films »Grump« von Mika Kaurismäki, dem Bruder von Aki Kaurismäki, ins Rollen bringen. Oder besser: zum absoluten Stillstand. Aber der Reihe nach.
Der Ford Escort hat einen Totalschaden, der alte Mann namens Grump möchte ihn unbedingt durch das gleiche Modell ersetzen, welches er mit Hilfe seines Nachbarn Kohlemainen (Silu Seppälä) in Deutschland ausfindig macht. Grump macht sich also auf den Weg, begleitet von lauter unglücklichen Vorkommnissen, die amüsant unterstreichen sollen, wie wenig er noch mit der modernen Welt in Berührung steht. Schließlich bewohnt er von Mitmenschen isoliert seinen Hof im finnischen Hinterland, seine Frau ist schon länger verstorben, seine Söhne Pekka (Ville Tiihonen) und Hessu (Likka Forss) leben enfremdet in der Stadt.
Die geschilderten Unglücks-Episoden sind jedoch leider überhaupt nicht amüsant oder absurd, sondern ergehen sich in schlimmstem Boomer-Humor. So gibt die Bank kein Bargeld mehr, die Flugkontrollen sind sehr streng geworden, und in Deutschland kommt es zu einem Missverständnis in Bezug auf die Doppeldeutigkeit des Begriffs »Escort«. Dieses führt Grump weiter zu seinem älteren Bruder Tarmo (Kari Vaananen), der sich schon vor Jahrzehnten von der Idiotie des Landlebens verabschiedet hat und mit dem Campingwagen durch die Weltgeschichte reist. Nun ist er in einem »Aussteigercamp« in Hamburg gelandet.
Grump und Tarmo hatten wegen rührseliger Verstrickungsgeschichten in ihrer Vergangenheit den Kontakt abgebrochen, aber im Camp der Aussteigerinnen und Aussteiger, die allesamt aus der lohnabhängigen Mittelklasse stammen und sich den »Ausstieg« wohl gut leisten können, finden die beiden wieder zueinander. Der eine konservativ-verschlossen, der andere offen-hippiesk, aber einig ist man sich darin, dass die neuen Zeiten und die neuen Generationen einfach ein bisschen verrückt sind. Veganismus, Handys, Städte: Material für Witze, die garantiert niemanden, der diesen Film sieht, zum Lachen bringen. Am Ende des Tages sitzt Samu Haber (Kenner des deutschen Casting-Unwesens lesen richtig, alle anderen mögen das Internet bedienen) am Lagerfeuer und singt kitschige Grütze über die Familie und das Leben. Doch selbst diese Schwundstufe von Freiheit, die im »Aussteigercamp« zelebriert wird, ist den Machern des Films offenbar zu radikal und kann daher nicht das glückliche Ziel einer Hauptfigur bilden.
So ist der nach Maßstäben eines Werbeprospekts einer Outdoor-Firma »freie« Tarno nur auf der Flucht vor der Auseinandersetzung mit seiner Tochter Maria (Rosalie Thomas), die er, wie ihre Mutter, vor Jahren im Stich gelassen hat. Komplett unempathisch reiten die beiden alten Brüder nun also bei Maria ein, was erst einmal, kaum verwunderlich, auf Abwehr ihrerseits stößt. Doch wie das Drehbuch es will, hat Tarno eine Herzkrankheit, und solche Schicksalsschläge der Natur heilen in der Kulturindustrie meist alle sozialen Wunden. Während Grump und Tarno also ihren Roadtrip durch Deutschland machen, der in Bildern erzählt wird, die direkt aus den Tourismus-Abteilungen der jeweiligen Wirtschaftsministerien der bereisten Bundesländer stammen könnten, müssen sich die Grumps Söhne um den Hof kümmern.
Auch hier wird Herzerwärmendes ans Tageslicht gebracht, und die harte körperliche Arbeit auf der väterlichen Scholle führt zu weiteren vermeintlich tiefen Erkenntnissen. Der gar nicht mehr so junge Finanz-Yuppie Pekka versöhnt sich wieder mit seiner Frau, nachdem er ihr gemeinsames Vermögen verzockt hat, und der Vorstadt-Papa Hessu merkt, dass seine Bestimmung darin liegt, zu seinen durch die schreckliche Digitalität halb verblödeten Kindern ein gesundes Verhältnis aufzubauen.
Am Ende des Films sitzt die ganze Bagage auf dem Hof Grumps, ein Jahr ist vergangen. Tarmo hat sein Herzleiden natürlich überstanden; er, Tochter Maria und Enkel Max sind nun zu Besuch. Pekka und Frau haben nach einem »Sabbatical« ein neues (Anlage)Objekt der Begierde gefunden: eine eigene Zikadenfarm auf dem väterlichen Hof – die »Nahrung der Zukunft«, wie sie meinen. Hessu und seine Frau haben ein weiteres Kind bekommen, das Glück in der Einfamilienhaushölle ist für ein paar weitere Jahre gerettet. Die Brüderhorden haben also über den (strengen, abwesenden) Vater triumphiert, im postmodernen Kapitalismus nicht mehr – wie bei Sigmund Freud – über den symbolischen Mord, sondern in der einfühlsamen Auseinandersetzung damit, was er einem und man sich gegenseitig angetan hat.
Man sitzt im Garten und erfreut sich an den »ganz einfachen« Dingen. Die bürgerliche Familie 2.0 braucht keinen gestrengen Vater mehr und keinen bestimmten Kern, nur das Netzwerk zählt. Natürlich immer in den Eigentums- und Produktionsverhältnissen der kapitalistischen Produktionsweise und unter ihren Zwängen. Und apropos Brüderhorde: Das Frauenbild dieses Films ist erschreckend. Entweder taucht die Frau hier als Gebärmaschine oder als geldgeiler Girl Boss auf, der geläutert werden muss. Zwar wird Maria als alleinerziehende und beruflich erfolgreiche Mutter vorgestellt, die Figur bleibt aber blass und existiert nur in Bezug auf ihren verkorksten Vater. Im Grunde bleibt dieser neue Familientypus also erzreaktionär. »Grump« ist die auf die Leinwand gebrachte Horrorvision eines Zusammenlebens, die entsteht, wenn Förderbürokraten und Marktschieler die Köpfe zusammenstecken. Es gibt bessere Mittwochabendfilme in der ARD.
»Grump«, Deutschland/Finnland 2022. Regie: Mika Kaurismäki; Buch: Daniela Hakulinen, Tuomas Kyrö. Mit: Heikki Kinnunen, Kari Vaananen, Ville Tiihonen. 109 Min. Jetzt im Kino.
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