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  • Asylpolitik in Brandenburg

Rausgerissen

Abgeschoben ohne Warnung, ohne Pass – ein Beispiel für Brandenburgs strikte Ausländerbehörden

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.

Am 25. Oktober muss Vanessa* ihre Duldung verlängern. Wie alle paar Monate. Die Kenianerin wartet in der Ausländerbehörde Beeskow im Landkreis Oder-Spree. Zwei weitere Frauen aus Kenia haben ebenfalls einen Termin. Ein ganz normaler Tag, erzählt Vanessa im Nachhinein am Telefon. Erst als der Mitarbeiter nicht wie üblich sie allein, sondern alle drei Frauen gemeinsam aufruft, habe sie ein komisches Gefühl bekommen.

Aus dem komischen Gefühl wird Realität. Am frühen Morgen des 26. Oktober sitzen Vanessa und zwölf weitere Menschen in einem Abschiebeflug von Leipzig nach Nairobi, der Hauptstadt Kenias. In den rund 16 Stunden davor wurden sie allesamt von Polizist*innen in Behörden oder in Sammelunterkünften festgenommen. Die Handys wurden beschlagnahmt. Dann brachte man sie zum Flughafen Schönefeld in den Ausreisegewahrsam, um sie von dort im Bus zum Flughafen Leipzig/Halle zu karren, wo eine gecharterte Maschine der spanischen Fluggesellschaft Iberia für die etwa 80 Personen bereitstand. Denn für jede abgeschobene Person stehen fünf Polizist*innen bereit, um jede Sekunde des Fluges zu kontrollieren.

Vanessa sagt: »Ich durfte nicht mal allein auf die Toilette gehen. Ich wurde behandelt wie eine Kriminelle.« Auch Wochen später kann sie es nicht fassen. »Ich bin sehr verwirrt, ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet.« Die Zeit seit ihrer Abschiebung erlebt sie wie in Trance. »Die letzten drei Nächte konnte ich zum ersten Mal wieder schlafen.«

Brandenburgs Zentrale Ausländerbehörde (ZABH) bestätigt den Abschiebeflug. Leiter Olaf Jansen schreibt auf nd-Anfrage, dass fünf Frauen und vier Männer mit kenianischer Nationalität aus Brandenburg »zurückgeführt« wurden, vier weitere Betroffene aus anderen Bundesländern. Sie sollen allesamt »für die Rückführung vorgesehen« gewesen sein. Das heißt: Der ZABH zufolge hatten die Betroffenen keinen gültigen Aufenthaltstitel, sondern zum Beispiel nur Duldungen. Die werden ausgestellt, wenn ein Asylantrag abgelehnt und die Asylbewerberin damit »ausreisepflichtig« wird. Weil aber eine Abschiebung unter anderem eine Identitätsfeststellung erfordert, »duldet« Deutschland die Menschen mit negativem Asylbescheid, aber ohne Papiere – bis sich die Papiersituation ändert.

Das wiederum tritt etwa ein, wenn ein Reisepass bei der Ausländerbehörde landet. Für diejenigen ohne Pass wird in Zusammenarbeit mit den Botschaften der Abschiebeländer ein sogenannter Laissez-Passer ausgestellt. Ein Vorgehen, das sehr umstritten ist. »Es macht deutlich, dass offenbar jedes Mittel recht ist, um Abschiebehindernisse zu beseitigen«, sagt Vincent da Silva vom Flüchtlingsrat Brandenburg. »Dabei wird ohne Skrupel auf sehr intransparente Maßnahmen zurückgegriffen, die einerseits kaum kontrolliert werden können, andererseits aber das Leben von Menschen in drastischem Maße verändern.«

Auch in Vanessas Fall arbeitete die kenianische Botschaft mit undurchsichtigen Methoden. Im April erhielt sie eine Ladung, erzählt die Mitte 20-Jährige. »Ich habe einfach einen Brief bekommen, dass ich kommen soll, ohne Erklärung. Dort wollten sie mich nur sehen und haben gefragt, seit wann ich in Deutschland lebe, das war’s«, erinnert sie sich. Ohne ihr Wissen bestätigte die Botschaft ihre kenianische Nationalität. Ihre Duldung änderte sich dadurch nicht, der Vermerk »Identität ungeklärt« blieb bestehen. »Ich konnte deshalb nicht arbeiten oder eine Ausbildung anfangen. Aber sie können mich trotzdem abschieben. Das macht doch keinen Sinn.«

Dass die kenianische Botschaft mit den Ausländerbehörden derart kooperiert, ist neu und sorgt für Unsicherheit in der Geflüchteten-Community. Welches Herkunftsland zieht nach, welche Nationalitäten werden als nächstes »geklärt«? Anne Aradi vom International Women Space, einer selbstorganisierten Gruppe geflüchteter Frauen, erzählt von panischen Nachrichten aus den Geflüchtetenunterkünften, die sie seit der Sammelabschiebung erreichen. »Die Leute haben extreme Angst, manche trauen sich nicht, ihr Geld bei der Ausländerbehörde abzuholen.« Die Sozialhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wird in einigen Brandenburger Landkreisen nur bar ausgezahlt.

Vanessa kam 2019 nach Deutschland, ohne Pass – sie besaß auch nie einen. Im Erstaufnahmezentrum in Eisenhüttenstadt wurde 2020 ihr Asylantrag abgelehnt. Trotzdem verließ sie das Heim, knüpfte Kontakte nach Berlin und zog Anfang 2021 zu Freundinnen in eine WG. Auch die anderen Abgeschobenen hatten sich mitunter seit elf, zwölf Jahren ein Leben in Deutschland aufgebaut, erzählt Aradi. Ihre Gruppe hat über das eigene Netzwerk herausgefunden, dass manche bereits eine Ausbildung gemacht haben, andere befanden sich im Heiratsprozess. Auch eine schwangere Frau und ein Mann mit einem anerkannten Kind in Deutschland sollen abgeschoben worden sein, dazu ein ehrenamtlicher Mitarbeiter des Berliner Vereins Joliba, der dort seit Jahren Filmworkshops für geflüchtete und migrierte Kinder anbot. »Nichts ist wirklich sicher, ob du zur Schule oder zur Arbeit gehst, sie werden dich immer irgendwie finden«, beschreibt Aradi das Gefühl der Betroffenen. »Selbst wenn du noch im Verfahren bist, muss das nichts heißen.«

So wie bei Vanessa: Ihre Klage gegen ihren negativen Asylbescheid läuft noch, als die Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde sie festhalten. »Sie haben zu mir gesagt: ›Seitdem dein Asyl abgelehnt ist, musst du seine Koffer packen und gehen.‹« Vanessas Anwalt bestätigt dieses Vorgehen als rechtmäßig. Sei die Identität geklärt, könne ein laufendes Verfahren unterbrochen werden. Dass Vanessa im Vorfeld nicht informiert wurde, verstoße nicht gegen das Ausländerrecht. Es gibt zwar eine Informationsfrist von sieben bis 30 Tagen vor. Die lässt sich aber aussetzen, wenn der Verdacht besteht, die Person könnte sich der Maßnahme »entziehen«.

Rechtmäßig heißt nicht menschenwürdig. Da Silva vom Flüchtlingsrat hat den Eindruck, dass die Brandenburger Ausländerbehörden, die an der Sammelabschiebung beteiligt waren, mit ihrer strikten Abschiebepraxis und einem engen Ermessensspielraum ein Exempel statuieren wollen. »Menschen werden in die Illegalität getrieben, können sich nie sicher fühlen. Dass es um Abschreckung geht, liegt auf der Hand.«

Für Vanessa und die zwölf übrigen Menschen bedeutet diese Abschiebepolitik, dass sie sich an einem Ort wiederfinden, zu dem sie im Zweifel keine Bezüge mehr haben. »Ich weiß gar nicht, was ich hier machen soll. Ich habe keinen Job, keine Wohnung, nicht mal Kleidung«, sagt Vanessa. Derzeit komme sie bei ihrer Tante in Nairobi unter, doch mit Blick auf den Arbeitsmarkt sehe sie keine Perspektive. Dazu kommt das traumatische Erlebnis der Abschiebung selbst. »Mir geht es nicht gut. Ich hoffe, ich komme wieder auf die Beine.«

* Name von der Redaktion geändert

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