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Otto Addo, Vermittler und Anführer
Ghanas Nationaltrainer Otto Addo kritisiert die europäische Sichtweise auf die WM in Katar
Es war seltsam, während der zurückliegenden Bundesligawochen immer wieder diesem WM-Trainer zu begegnen, der gar nicht wirkte wie ein Mann, der nun die große Bühne des Weltfußballs betritt. Otto Addo, Coach von Ghanas Nationalteam, das am Donnerstag mit einer 2:3-Niederlage gegen Portugal ins WM-Turnier einstieg, sitzt bei den Heimspielen von Borussia Dortmund auf der Pressetribüne. Er plaudert dort mit den Spielanalysten und Bekannten, bedient sich nicht am Menü für die Edelfans, sondern am Currywurst-Angebot für die Journalisten. Addo ist kein Typ, dem es gefällt, als VVIP durch Katar zu reisen, als Angehöriger der anlässlich dieser WM neu eingeführten Kategorie »Very Very Important Person«. Der 47-Jährige ist ein Mann, der bei diesem schwierigen Turnier, dem Aufeinandertreffen der Kulturen, eine vermittelnde Rolle einnehmen möchte.
Die mit Empörung aufgeladene und von einer Haltung der moralischen Überlegenheit geprägte Kritik aus Teilen Europas ist Addo unangenehm. Es sei zwar wichtig, auf Missstände in Katar hinzuweisen, sagt er, es handle sich jedoch um »eine sehr europäische Sichtweise, wenn man denkt, dass man selber viel besser ist«. Der gebürtige Hamburger mit ghanaischen Wurzeln weist darauf hin, dass »vor der Küste der EU, zu der auch Deutschland gehört«, täglich Menschen stürben, weil sie nicht aufgenommen würden. »Und sie flüchten aus wirtschaftlichen Gründen, die wir mitverursachen und in der Historie mitverursacht haben.«
Zwar hat seine Mannschaft gegen Portugal knapp verloren, trotzdem hofft Addo auf ein Außenseitermärchen bei der WM. Im zweiten Gruppenspiel gegen Südkorea an diesem Montag muss Ghana gewinnen, um ein Weiterkommen in der eigenen Hand zu haben. Addos Team ist zwar von allen WM-Teilnehmern am schlechtesten gerankt. »Aber das ist Fußball und eine Weltmeisterschaft, da ist wirklich sehr viel möglich, auch für uns«, sagt er. Die Ghanaer spielen mit einem Team ohne große Stars, der wertvollste Spieler ist Iñaki Williams von Athletic Bilbao, ein Baske, der auch schon eine Partie für Spanien absolviert hat, nun aber dank seinen familiären Wurzeln in Ghana eingebürgert wurde. Aus der Bundesliga gehört der Freiburger Daniel-Kofi Kyereh zum Kader, außerdem sind André und Jordan Ayew, die Söhne des legendären Abédi Pelé, dabei.
Grundsätzlich befindet sich das Team in einer Phase des Umbruchs, was sich auch im historisch schlechten Abschneiden beim Afrika-Cup im Januar niederschlug. Addo war seinerzeit Co-Trainer unter Milovan Rajevac, aber nicht bei dem Turnier dabei, weil sein Hauptberuf als Talentetrainer beim BVB das nicht zugelassen hat. Nach der missglückten Kontinentalmeisterschaft und der folgenden Entlassung Rajevacs standen jedoch die beiden Playoff-Spiele in der WM-Qualifikation an, die wichtigsten Partien der jüngeren Geschichte der Fußballnation, die 2018 die WM verpasst hatte. Einen Trainer ohne Verbindung zur Mannschaft wollte der Verband nicht unter Vertrag nehmen, also wurde Addo gefragt. »Ich habe natürlich sofort zugesagt«, erzählt er, aber unter der Bedingung, dass er seinen Job beim BVB nicht aufgeben müsse.
Ghana gelang der Playoff-Coup gegen die favorisierten Nigerianer – und Addo begann mit der WM-Vorbereitung, zumeist aus dem Homeoffice in Deutschland. Erst zum Turnierstart stieg er mit voller Kraft ein. Nach dem Spiel gegen Südkorea hält das Ende der Vorrunde noch eine ganz besondere Begegnung bereit. Bei der WM 2010 in Südafrika stand Ghana kurz davor, als erste afrikanische Nation in ein Halbfinale einzuziehen. Es stand 1:1, als Uruguays Luis Suárez in der 120. Minute einen Ball, der im Tor gelandet wäre, mit der Hand auf der Linie abwehrte. Suárez sah die rote Karte, die Ghanaer verschossen den Strafstoß und verloren im Elfmeterschießen. Nun könnte es die Möglichkeit zu einer Revanche geben, aber dieses Thema beschäftigt Addo allenfalls am Rande. Eher interessiert er sich für die mittelfristige Entwicklung des afrikanischen Fußballs.
Erstmals werden bei dieser WM alle fünf Teilnehmer aus Afrika von Trainern mit familiären Wurzeln im jeweiligen Land betreut. Das ist ein großer Fortschritt. Manches sei tatsächlich besser geworden, sagt Addo, »trotzdem bleibt es so, dass man in der Welt mit einer weißen Hautfarbe viel, viel mehr Chancen bekommt als mit einer dunklen Hautfarbe«. Auch er selbst träumt von mehr. Dass er nach der WM auf die Chance verzichte, dauerhaft Nationaltrainer in Ghana zu sein, und zum BVB zurückkehre, heiße nicht, dass er nicht gerne dauerhaft irgendwo Cheftrainer wäre. »Ich kann mir vieles vorstellen. Ich bin ein ambitionierter Mensch, der weiterkommen will und der auch die Herausforderung sucht, wenn sie sich ergibt.«
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