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  • Film »Die Schwimmerinnen«

Horror im Schlauchboot

Der biografische Film »Die Schwimmerinnen« erzählt von einer einzigartigen Sportkarriere – und vom Albtraum der Flucht aus Syrien

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Nathalie Issa als Yusra Mardini (links) und Manal Issa als Sara Mardini im Film „»Die Schwimmerinnen«“
Nathalie Issa als Yusra Mardini (links) und Manal Issa als Sara Mardini im Film „»Die Schwimmerinnen«“

Biopics über Leistungssportler*innen, in denen die politischen und sozialen Rahmenbedingungen geschildert werden, unter denen People of Color und Menschen mit einem Fluchthintergrund ihren Sport betreiben, auch darüber, welche Kämpfe sie dabei ausfechten müssen, erleben gerade vermehrt eine filmische Aufarbeitung. Der Blockbuster »King Richard« über die Tennisspielerinnen Venus und Serena Williams, für den Will Smith den Oscar erhielt, erzählt vom Kampf gegen klassistische und rassistische Ausschlussmechanismen im Tennissport. Colin Kaepernick, Quarterback und Intim-Feind von Donald Trump, erzählt in der sehenswerten Netflix-Serie »Colin in Black and White« von Rassismus im amerikanischen Football. Und mit »Die Schwimmerinnen« ist nun Sally El Hosainis Film über die aus Syrien geflohene und in Deutschland lebende Schwimmerin Yusra Mardini und ihre Schwester Sara bei Netflix zu sehen, nachdem der Film schon seit zwei Wochen in einigen ausgewählten Kinos läuft.

»Die Schwimmerinnen« ist ein eindrucksvoller, mitunter ziemlich verstörender Film, der wirklich unter die Haut geht und einem sonst für die Thematik schwer zu sensibilisierenden Massenpublikum eindrücklich zeigt, wie brutal, unmenschlich und mörderisch die Flucht in einem Schlauchboot über das Mittelmeer von der Türkei nach Lesbos ist, die Zigtausende Flüchtende wegen Europas unmenschlichen Grenzregimes durchmachen müssen.

Als erfahrene Schwimmerinnen springen Yusra und Sara Mardini während der Überfahrt in einem langsam im nächtlichen Mittelmeer versinkenden, mit flüchtenden Menschen überbelegten Schlauchboot sogar in die Fluten und schaffen es, sich und andere so zu retten. Dass dieser Horror der Überfahrt im Schlauchboot ein Schicksal ist, das unzählige Menschen seit Jahren und auch in Zukunft durchmachen müssen und dem viele zum Opfer fallen, ist den beiden jungen Frauen, als sie später Asyl in Deutschland beantragen, stets bewusst.

»Die Schwimmerinnen« erzählt die Geschichte der beiden aus Damaskus stammenden Schwestern Yusra (Nathalie Issa) und Sara Mardini (Manal Issa), die 2015 vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Europa flohen: Beide werden in Damaskus von ihrem Vater (Ali Suliman), einem ehemaligen syrischen Schwimmsportler, trainiert und haben bereits an diversen Meisterschaften teilgenommen. Die erfolgreiche Yusra macht sich Hoffnungen, bei den Olympischen Spielen starten zu können. Der Film zeigt, wie sich das Leben der Familie in Damaskus im Zuge des Krieges dramatisch verändert, bis eines Tages sogar eine Bombe ins Dach der Schwimmhalle einschlägt, während die jungen Athletinnen dort trainieren.

Genauso wie Freunde aus ihrem Umfeld beschließen die beiden Schwestern schließlich nach Deutschland zu fliehen, in der Hoffnung, später ihre Familie nachkommen lassen zu können. Als sie nach ihrer lebensgefährlichen Flucht über die Türkei, die Balkanroute, über Ungarn und Österreich nach Berlin kommen, leben sie in der Sammelunterkunft im Flughafen Tempelhof. Nach einiger Zeit suchen sie sich einen Schwimmverein und kommen schließlich zu den Wasserfreunden Spandau, wo sie mit Sven Spannekrebs (Matthias Schweighöfer) trainieren. Yusra, die Jüngere der beiden, qualifiziert sich schließlich für das Refugee Olympic Team und kann ihren großen sportlichen Traum wahr machen: Sie nimmt an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janiero teil.

In Sally El Hosainis Film geht es zwar immer wieder um das Schwimmen und die Karriere der beiden Schwestern, vor allem von Yusra, aber der Leistungssport ist nicht das eigentliche, zentrale Thema. In dem über zwei Stunden dauernden und in keinem Moment langatmigen Film wird vielmehr vom Leben der Familie in Damaskus erzählt, vom abendlichen Ausgehen, bevor der Krieg beginnt, von Demonstrationen gegen das Assad-Regime – der größte Teil des Films aber behandelt die Flucht. Dabei folgt er den Schwestern und ihrem Cousin Nizar (Ahmed Malek), mit dem sie sich gemeinsam auf den Weg nach Deutschland machen.

Immer wieder geht es um die Solidarität der Flüchtenden untereinander, die sich unterwegs treffen, Freundschaften schließen und Bündnisse schmieden. Diese berührenden Momente fängt der Film stellenweise fast dokumentarisch, unaufgeregt, aber mit ungemein viel Empathie ein. Er zeigt jedoch auch ganz direkt den Horror der Flucht, das Verlorensein, die Sehnsucht nach den Zurückgelassenen, die Schrecken der Grenzzäune, die Polizei, die Schlepper*innen, die Angst vor den Lkw und Booten, in denen die Menschen zusammengezwängt werden, die alles zersetzende und lähmende Bürokratie beim Asylantrag in Deutschland und die traumatisierende Situation in Sammelunterkünften.

»Die Schwimmerinnen« inszeniert auf beeindruckende Weise eines der unzähligen Geflüchteten-Schicksale aus dem Sommer 2015, der hierzulande seit Jahren als Referenzpunkt rechter und rassistischer Politdiskurse dient, und setzt der Hetze und dem gängigen Bild des »Fluchtsommers 2015« eine empowernde Geschichte entgegen.

»Die Schwimmerinnen«, USA/UK 2022. Regie: Sally El Hosaini; Buch: Jack Thorne und Sally El Hosaini. Mit: Nathalie Issa, Manal Issa, Matthias Schweighöfer, Ali Suliman, Ahmed Malek. 134 Min. Auf Netflix.

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