• Sport
  • Fußball-WM in Katar

Gelassener Vogel

Niclas Füllkrug schießt die DFB-Elf zum 1:1-Remis gegen Spanien. Im Gruppenfinale gegen Costa Rica geht es nun ums Weiterkommen

  • Maik Rosner, al-Chaur
  • Lesedauer: 5 Min.
Torjäger Niclas Füllkrug (l.) verbesserte mit seinem Treffer die deutsche Ausgangslage für einen Einzug ins WM-Achtelfinale.
Torjäger Niclas Füllkrug (l.) verbesserte mit seinem Treffer die deutsche Ausgangslage für einen Einzug ins WM-Achtelfinale.

Als Niclas Füllkrug von Thomas Müller entdeckt wurde, räumte der Weltmeister von 2014 freiwillig seinen Platz. »Fülle komm, übernimm hier«, sagte Müller zu seinem Kollegen. Dann stand der Stürmer von Werder Bremen also da und sollte von seinem erstaunlichen Weg zum Retter der deutschen Nationalmannschaft und ihrer WM-Perspektiven berichten. Doch Füllkrug fand es erst einmal angemessen, dem Trubel um seine Person und sein wichtiges Tor zum 1:1 (0:0) gegen Spanien mit großer Gelassenheit zu begegnen.

Von Aufregung über seinen ersten großen Moment auf der Weltbühne des Fußballs war nichts zu spüren. So cool wie vor dem Tor stand Füllkrug nun auch vor den Mikrofonen. In aller Ruhe sprach der Stürmer über seinen Ausgleich, der der deutschen Nationalelf eine gute Chance aufs Erreichen des Achtelfinales eingebracht hatte. Füllkrug klang, als sei es für ihn das Normalste der Welt, die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) bei einer WM in der Spur gehalten zu haben.

Ob es schöner sei, bei einer WM ein Tor zu schießen als für den Bundesliga-Aufsteiger Werder Bremen? »Nein«, antwortete Füllkrug, »ich glaube, es war wichtig, dass irgendjemand den Knoten hat platzen lassen.« Es sei ja nicht das erste Tor gewesen, das er geschossen habe, erinnerte Füllkrug, »auch nicht das erste wichtige«. Und es sei doch so: »Dieses eine Tor bringt mir relativ wenig, wenn wir die Gruppenphase nicht überstehen.« So nüchtern könne er das betrachten? Klar, sagte Füllkrug, es sei doch noch gar nichts erreicht, zumal nach der 1:2-Niederlage gegen Japan im ersten Gruppenspiel. »Wir brauchen jetzt auch keine Riesenfreudensprünge zu machen über ein 1:1 gegen Spanien.« Das wichtigste Spiel stehe erst noch bevor. Gemeint war das Gruppenfinale gegen Costa Rica am Donnerstag, das Deutschland gewinnen muss, um ins Achtelfinale einzuziehen. Zudem bedarf es eines passenden Ergebnisses im Spiel zwischen Spanien und Japan. Die einfachste Rechnung lautet: Gewinnt Spanien ebenfalls, kommt Deutschland weiter.

Es war einerseits erstaunlich, mit welcher Gelassenheit Füllkrug in der Nacht von Sonntag auf Montag die Geschehnisse im Bauch des al-Bayt-Stadions im Nordosten Katars einordnete. Andererseits ist der 29-Jährige ja dafür bekannt, sachlich und unaufgeregt auf die Dinge zu blicken. So betrachtet er auch seine fast märchenhafte Geschichte von einem Stürmer, der vor rund einem halben Jahr noch in der zweiten Liga kickte und nun als Retter für die deutsche Nationalmannschaft bei einer WM in Erscheinung trat. »Es freut mich, dass es kein Hindernis ist, bei einem Aufsteiger zu spielen«, sagte Füllkrug und ließ eine Aufzählung folgen, die seinen Stellenwert für die Mannschaft von Bundestrainer Hansi Flick treffend zusammenfasste. »Ich freue mich, dass ich hier Fuß fasse, dass ich sofort einen Stempel hinterlassen kann, dass ich der Mannschaft helfen kann, dass die Mannschaft auch das Gefühl hat, dass es gut ist, dass ich dabei bin.« So könne es weitergehen. »Ich glaube, dass dann noch ein paar Tore dazukommen«, sagte Füllkrug nach seinem zweiten Tor im dritten Länderspieleinsatz.

In Bremen war er ausgebildet worden, über Fürth, Nürnberg und seine Geburtsstadt Hannover kam Füllkrug 2019 wieder zurück zu Werder. Nun hatte er gerade einmal 13 Minuten nach seiner Einwechselung Jamal Musiala den Ball vom Fuß genommen und instinktsicher zum 1:1 vollendet (83.). Zuvor hatte Álvaro Morata Spanien in Führung gebracht (62.) gegen eine deutsche Elf, die sich das Remis mit einem sehr ordentlichen Auftritt mehr als verdient hatte. »Niclas gibt uns etwas nach vorne, was wir so nicht haben«, lobte Innenverteidiger Antonio Rüdiger den Zug zum Tor und die kühle Abschlussqualität des Angreifers. »Er hat mit seiner Entschlossenheit gezeigt, wie man Tore schießt«, sagte Flick, »er gibt der Mannschaft sehr viel, nicht nur das Tor. Er ist ein sehr guter Junge mit dem Herz am rechten Fleck. Wir sind sehr froh, dass er dabei ist.«

Von den üblichen Überhöhungen, die umgehend einsetzten, hält Füllkrug wenig. Stattdessen erlaubt er sich zwischen all den Eitelkeiten in seiner Branche auch Momente der Selbstironie. Als »die hässlichen Vögel« hatte er sich und seinen Bremer Sturmpartner Marvin Ducksch beispielsweise vor knapp einem Jahr bezeichnet. Nun findet sein Markenzeichen, seine Zahnlücke, sogar weltweit Beachtung und damit auch sein Spitzname »Lücke«. Doch auch der zunehmende Trubel um seine Person dürfte Füllkrug kaum aus der Ruhe bringen.

Für Flick stellt sich vor dem Spiel gegen Costa Rica die Frage, ob er seinen einzigen echten Mittelstürmer im 26 Spieler umfassenden Kader von Anfang an bringen sollte, ob er also noch mehr Mut zu »Lücke« zeigen sollte. Näher äußern wollte sich der Bundestrainer dazu nicht. Aber sein Lob deutete an, dass Füllkrug künftig womöglich mehr sein könnte als ein Joker. Dann müsste Müller nicht nur in den Mediengesprächen, sondern auch auf dem Rasen seinen Platz für Füllkrug räumen. Und zwar von Anfang an.

Lesen Sie alle unsere Beiträge zur Fußball-WM in Katar unter: dasnd.de/katar

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.