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Das politischste Spiel

Im letzten Gruppenspiel zwischen Iran und den USA geht es um viel mehr als das WM-Achtelfinale

  • Frank Hellmann, Doha
  • Lesedauer: 5 Min.
Bei der WM 1998 posierten die Fußballer Irans und der USA symbolisch aufgeladen gemeinsam für ein Teamfoto.
Bei der WM 1998 posierten die Fußballer Irans und der USA symbolisch aufgeladen gemeinsam für ein Teamfoto.

Es ist ein Ritual, das auf fast allen Trainingsplätzen in Katar zu beobachten ist. Die Bilder unter brennender Sonne oder strahlenden Flutlichtern ähneln sich: Nach dem Aufwärmen bilden die Spieler einen Kreis und zeigen damit Geschlossenheit. Nicht anders ist es bei der iranischen Nationalmannschaft, die auf dem Gelände des Al-Rayyan Sport Club diese Prozedur mit dem iranischen Ausruf »Bord! Bord! Bord!« abschließt: »Sieg! Sieg! Sieg!«

Nie schien das bedeutender als vor dem dritten Gruppenspiel zwischen Iran und USA an diesem Dienstag (20 Uhr/ARD). Es geht für beide um den Einzug ins WM-Achtelfinale, aber eigentlich steht mehr auf dem Spiel. Politisch, das war mit der Auslosung klar, würde keine Partie so aufgeladen sein wie dieses Duell.

Die Entwicklung der vergangenen Monate, Wochen und Tage hat die Brisanz des Aufeinandertreffens noch verstärkt. Der Iran bezeichnet die USA als den »Großen Satan«. Die diplomatischen Beziehungen sind seit 1980 abgebrochen. Der US-Verband entfernte nun aus der iranischen Flagge in den Posts seiner sozialen Kanäle für 24 Stunden jenes Symbol, das für das Wort »Allah« steht, um Solidarität mit den Frauen im Iran zu zeigen, hieß es.

»Nach 42 Jahren als Trainer glaube ich noch immer, dass ich Spiele ohne solche mentalen Tricks gewinnen kann«, entgegnete Carlos Queiroz, der als Nationaltrainer des Iran am Montag erkennbar bemüht war, Brücken über die Gräben zu bauen. Der Portugiese arbeitete in den 90er Jahren in den USA – und pries nun die »Fortschritte des US-Soccer«. Beide Teams sollten einfach eine »große Show« abliefern. Der in Mosambik geborene Queiroz erzählte vor einem für ihn »sehr speziellen Spiel« von seiner Heimat, in der ein Ball genüge, um arme Kinder abzulenken. Darum gehe es: »Wenn wir etwas aus diesem Event lernen müssen, dann die Aufgabe, für 90 Minuten ein Lächeln zu schenken.« Der 69-Jährige bekam in der Pressekonferenz Applaus.

Auch sein 20 Jahre jüngerer Kollege Gregg Berhalter möchte partout die Spannungen heraushalten, wenn im Al Thumama Stadium der Ball rollt: »Wir werden kämpfen, sie werden kämpfen. Das ist alles.«

Doch so einfach ist es in einer Begegnung voller Gegensätze eben nicht: Beim bislang einzigen WM-Duell besiegte Iran s1998 die USA (2:1), beide Teams hatten für ein gemeinsames Mannschaftsbild posiert. Die Torschützen Hamid Estili und Mehdi Mahdavikia stiegen zu Volkshelden auf. Hunderttausende feierten damals in Teheran, sogar einige Frauen tanzten mit. Doch der erzkonservative Klerus war entsetzt über solche Bilder mitten in einer Phase der Entspannung. Nach diesem Ereignis kehrte sich alles wieder um, wurden Politiker verhaftet, Reformen verhindert, Proteste niedergeschlagen.

Erneut ist offenkundig, dass die Machthaber der Islamischen Republik die Partie für ihre Propaganda missbrauchen wollen. Die Nationalspieler werden mit allen Mitteln auf Linie getrimmt. Nachdem sie bei der Nationalhymne vor der Lehrstunde gegen England (2:6) noch vor aller Welt geschwiegen hatten, bewegten die Akteure vor dem Last-Minute-Sieg gegen Wales (2:0) wieder die Lippen. In Deutschland lebende Aktivistinnen, die der Organisation Discover Football nahestehen, vermuten einen direkten Zusammenhang mit der Festnahme des Ex-Nationalspielers Vouira Ghafouri einen Tag vorher.

Der für seine regimekritische Haltung bekannte 35-Jährige, so der Vorwurf, habe das »Heiligtum Nationalmannschaft« beleidigt. Der Vorfall machte auch Profis wie Sardar Azmoun vom Bundesligisten Bayer Leverkusen klar, was drohen könnte. Ob Ghafouri freigelassen wurde, ist nicht gesichert. Den regierungsnahen Quellen ist zu misstrauen. In der Nacht zum Sonntag wurde zudem der Sportjournalist Mehdi Aminpour in seinem Haus verhaftet. Und er ist längst nicht der einzige. Selbst Berichterstatter in Katar erzählen von Einschüchterungen. Vergangenen Freitag feierte das Regime den Erfolg gegen Wales mit seinen repressiven Kräften. Die inszenierten Jubelposen führten bei der Protestbewegung zu noch mehr Hass auf die Mullahs.

Fußballanhänger sehnen sich nach den unbeschwerten Tagen zurück, als »Team Melli«, »Mannschaft des Volkes«, wirklich als verbindendes Element fungierte. Noch während der WM 2018 flogen den Fußballern die Herzen der Nation zu. Statt Anfeuerungsrufen bestimmen heute Protestrufe das Straßenbild: »Zan, Zengedi, Azadi« – Frau, Leben, Freiheit. Bei der WM zeigten einige Fans beim Auftaktspiel T-Shirts, auf denen »Woman. Life. Freedom« stand. Zuletzt mündeten derlei Bekenntnisse teilweise in Beschimpfungen im iranischen Lager, das genauso gespalten scheint wie das Land. Auf Twitter tauchten zudem Bilder einer Frau auf, die von WM-Ordnern abgehalten wurde, ein Trikot mit dem Namen der getöteten Mahsa Amini hochzuhalten. In ihr Gesicht hatte sie sich blutige Tränen geschminkt.

Das Erscheinungsbild prägen in Katar viele Exilanten, die schon in großer Zahl nach Russland gereist waren. Mehr als anderthalb Millionen davon leben inzwischen in den Vereinigten Staaten. Auch von ihnen wissen viele nicht, wem sie eigentlich den Sieg wünschen sollen. Bei einem Unentschieden würden übrigens die USA weiterkommen.

Lesen Sie alle unsere Beiträge zur Fußball-WM in Katar unter: dasnd.de/katar

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