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»Allyship bedeutet, eine klare Haltung zu haben«
Methu Thavarasa über Kommunikation, Diskriminierung und die Schwierigkeit, mit weißen Menschen ernsthaft über Rassismus zu diskutieren
Methu, du bist Argumentationstrainer*in mit Schwerpunkt Antirassismus. Wenn ich mir eine Situation vorstelle, in der ich selbst attackiert werde oder jemand anderes angegriffen wird, frage ich mich: Helfen da Argumente überhaupt?
Methu Thavarasa lebt in Berlin, gibt Empowerment-Trainings für Menschen mit Rassismuserfahrung und ist Moderator*in. Seit 2017 widmet Methu sich politischer Bildungsarbeit für Erwachsene und an Schulen, mit Trainings, Fortbildungen und Vorträgen zu Themen wie Kommunikation gegen Rechtspopulismus, Antirassismus oder Allyship (dt. Verbündet-Sein).
Mir ist in erster Linie wichtig, Sprachlosigkeit zu verstehen, um dann zu gucken, welche Handlungen in diskriminierenden Situationen überhaupt möglich sind, um diese Sprachlosigkeit zu überwinden. Die meisten Leute, die vor mir sitzen, sind weiße Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind. Ich gebe auch Empowerment-Trainings für von Rassismus betroffene Menschen. Aber egal was ich mache, ich durchleuchte alles macht- und herrschaftskritisch, was nicht einfach ist, weil Menschen oft zu mir kommen und konkret wissen wollen, wie sie mit Argumenten gegen Diskriminierung vorgehen können. Aber es gibt eben nicht diese drei Punkte, diesen Plan. Deshalb nenne ich meine Arbeit mittlerweile Kommunikationstraining oder Haltungstraining.
Die Bezeichnung Argumentationstraining ist also irreführend?
Es geht darum, die eigene Haltung und die eigene Position in der Gesellschaft zu reflektieren. Ich sage den Teilnehmenden immer: Wenn ihr euch ernsthaft mit Kommunikation gegen Diskriminierung auseinandersetzen möchtet, dann müsst ihr bei euch anfangen. Ich bin Eelam Tamil*in (Anm. d. Redaktion: vom Völkermord betroffene Bevölkerungsgruppe in Sri Lanka), in Deutschland geboren und sozialisiert. Meine Eltern sind Mitte der 1980er Jahre aus Sri Lanka geflüchtet. Flucht und Migration sind Themen, die mich geprägt haben. Diese Anteile tragen dazu bei, wie ich meine Workshops aufziehe. Dafür musste ich mich zuerst mit meiner eigenen Sprachlosigkeit auseinandersetzen.
Kannst du eine Situation beschreiben, in der du sprachlos warst?
Ich habe mal im Theater gearbeitet. Einmal hat der Pförtner, als ich den Schlüssel geholt habe, gesagt, ich würde so toll Deutsch sprechen. Ich dachte erst: guter Witz. Doch das ging weiter, er fand das sogar süß. Ich habe mich aufgeregt, aber meinst du, ich hätte was gesagt? Nein. Ich konnte nicht. Das ist ein banales Beispiel, solche Alltagsrassismen begegnen mir aber jeden Tag. Irgendwann hatte ich die Schnauze voll. Ich musste mich fragen, warum ich in manchen Situationen sprachlos werde, warum ich wie eingefroren bin.
Wie beobachtest du diese Sprachlosigkeit bei anderen?
Es ist kein Geheimnis mehr, dass Deutschland nicht nur ein Rassismusproblem hat, sondern auf Strukturen aufbaut, die rassistisch sind. Aber in meinen Zwanzigern hatte ich keinen blassen Schimmer, was ich durch mein eigenes Nichtverhalten und Aushalten unterstütze. So geht es vielen Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Es ist so normalisiert, dass es nicht auffällt. In meinen Trainings geht es also darum, klarzumachen: Ihr seht vielleicht nicht einmal alles.
Das klingt so, als läge ein Teil der Verantwortung bei den Betroffenen.
Nein. Auf keinen Fall. Das sind Überlebensmechanismen. Menschen müssen sie reproduzieren, um den Kopf über Wasser zu halten. Was ich damit sagen möchte, ist, dass ich verstehen kann, wenn Betroffene das nicht sehen. Deshalb ist der erste Schritt zu klären, was Diskriminierung überhaupt ist, generell und individuell. Um dann zu lernen, sie zu benennen, zu beobachten, was sie auslöst. Im Körper, in der Stimme, im Auftreten.
Viele deiner Workshops richten sich an weiße Menschen. Welche Herausforderungen bringt das mit sich?
Es ist schwer, mit weißen Menschen über Rassismus zu sprechen. Ich stelle immer wieder fest, dass der Begriff Intersektionalität, also das Zusammenwirken verschiedener Formen struktureller Diskriminierung, als zu kompliziert geahndet wird. Nicht weil der Begriff zu akademisch wäre. Es liegt daran, dass weiße Deutsche eine Abwehr empfinden, sich mit Rassismus auf eine Weise auseinanderzusetzen, durch die sie erkennen müssten, dass sie von diesem System profitieren. Oft wird das Sprechen über Rassismus als Vorwurf gegen sich selbst interpretiert. Daraus ergibt sich zum Beispiel, Intersektionalität als Begriff überhaupt nicht zu verwenden, sondern stattdessen Mehrfachdiskriminierung zu benutzen.
Was stört dich an diesem Begriff?
Diskriminierung ist zu weich für die strukturelle Gewalt, die Menschen erfahren. Es gibt eine Abneigung, Rassismus als das zu bezeichnen, was er ist, nämlich Unterdrückung. Wenn wir diese beim Namen nennen würden, wäre jede Person aufgefordert zu handeln.
Wie bringst du Leute in deinen Trainings dazu, diese Gewalt zu erkennen?
Lass uns die Frage umdrehen und fragen: Wenn du nicht siehst, dass die Strukturen hier rassistisch sind, was ist dann mit dir falsch? Was fehlt, dass du nicht sensibel dafür bist? Wir müssen fragen: Welche Anlaufstellen braucht es, um Rassismus strukturell aufzuarbeiten, um Diskriminierung so klein wie möglich zu halten?
Um Diskriminierung »so klein wie möglich« zu halten? Das klingt nicht sehr optimistisch.
Nein. Wie realistisch ist das? Eine Welt zu entkolonialisieren, die komplett durchkolonialisiert ist? Dafür müsste die heteronormative, weiße Deutungshoheit bewusst abgelöst werden. Die Perspektiven mehrfach marginalisierter Menschen müssten berücksichtigt und ihre Bedürfnisse in alle gesellschaftlichen Strukturen übersetzt werden, für eine Gesellschaft, die wirklich offen und inklusiv ist. Hier kommt das Konzept von Allyship ins Spiel.
Allyship, also behelfsmäßig übersetzt: Verbündet-Sein …
Menschen, die durch Privilegien Ressourcen und Macht haben, müssen diese aktiv an Menschen abgeben, die marginalisiert sind. Der Begriff kommt aus der schwarzen Bewegung, er wird auch in der LGBTIQ+-Szene verwendet.
Du hast in einem Podcast gesagt, Allyship sei keine Selbstbezeichnung, sondern eine Forderung. Was meinst du damit?
Die Forderung richtet sich an Menschen, die rassistische Strukturen geschaffen haben. Es braucht sie, um diese Strukturen abzubauen. Es reicht nicht, sich nach einem rassistischen Vorfall rückblickend zu überlegen: Was hätte ich da machen, was hätte ich sagen können? Personen, die nicht direkt betroffen sind, dürfen sich nicht aus der Gleichung herausnehmen. Allyship bedeutet, eine klare Haltung zu haben, die Handeln einschließt. Sprich, eine nicht betroffene Person nutzt ihre Position und nimmt in Kauf, dass es unbequem werden könnte. Als rassifizierte Person kann ich mir das nicht aussuchen, als Nichtbetroffene schon. Allyship ist deshalb auch die Verantwortung, das System nicht durch Schweigen aufrechtzuerhalten.
Man könnte ja – aus sehr wohlwollender Perspektive – zumindest manches Schweigen damit erklären, dass es eine gewisse Vorsicht bei weißen Menschen gibt, aus Angst, etwas Falsches zu sagen oder sich in eine Situation einzumischen, in der es nicht gewollt ist.
Man kann sich nie sicher sein. BIPoC ist ja keine pauschale Kategorie. Das, was einer Person hilft, hilft einer anderen nicht. Das erfordert, dass man miteinander spricht. Wichtig ist, dass weiße Personen signalisieren: Hey, ich habe das gesehen. Das muss nicht verbal sein, das geht auch mit Körpersprache. Das kann man üben. Es kann trotzdem passieren, dass man über die Stränge schlägt, eine Entscheidung zu schnell trifft, ein Signal nicht mitbekommt. Das muss man aushalten. Wenn die betroffene Person dann keinen Bock mehr hat, mit dir zu reden, dann ist das so.
Antirassismus ist gesellschaftlich ein großes Thema. Beobachtest du eine Veränderung?
Sorry, da wird jetzt kein blumiges Ende kommen. Dafür bräuchte es viel mehr Situationen, in denen ich mitbekomme, dass Weiße Verantwortung übernehmen. Hoffnung hätte ich, wenn ich öfter gefragt würde, was ich brauche, um mich sicher zu fühlen.
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