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Hängepartie Hirschhof
Um eine Lösung für den genossenschaftlichen Ankauf der Kastanienallee 12 wird bis zum Ende gerungen
Es ist nicht der erste Tag, an dem die Mieter der Kastanienallee 12 zur symbolischen Uhrzeit um fünf Minuten vor zwölf vor ihrem Haus im Prenzlauer Berg stehen. Sie spielen ihr eigens komponiertes Lied »Franzi, give us some credit«, in dem sie von der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) den nötigen Kredit für die Rettung ihres Hauses fordern. Doch nach einer langen Hängepartie ist auch am Mittwochnachmittag noch nicht klar, ob all die Zeit und Energie, die die Hausgemeinschaft in den vergangenen Wochen und Monaten investiert hat, am Ende nicht vergebens war.
Bis zur letzten Minute wird um eine Lösung für den Komplex an der geschichtsträchtigen Adresse gerungen. Der Fall der K12, wie die Mieter ihr Haus nennen, ist mittlerweile stadtweit bekannt, weil die Hausgemeinschaft mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln immer wieder auf sich aufmerksam machte. Eine »typische Berliner Mischung« wohnt und arbeitet in den vier Gebäuden. »Eine solidarische Gemeinschaft«, die Angst um ihr Haus und ihre Wohnungen hat, nachdem die Eigentümerin verstorben ist. Doch anstatt das Haus meistbietend zu versteigern, zeigen sich die Erben willens, an eine Genossenschaft zu verkaufen. Die Versteigerung setzten sie aus und gaben der Hausgemeinschaft bis Ende November Zeit. Ein Glück, das viele Hausgemeinschaften nicht hatten.
Mit der Genossenschaft Selbstbau fanden die Mieter auch einen engagierten Partner. Was es noch braucht, sind die üblichen Darlehen aus Landesmitteln. Schon Ende Juni wurde der Förderantrag für die K12 eingereicht. »Wir haben eine Lösung auf dem Silbertablett präsentiert. Ankauf und Instandhaltungskosten sind mit zusammen rund 3 000 Euro je Quadratmeter günstiger, als es beim regulären genossenschaftlichen Bestandserwerb der Fall ist«, sagt Angela Dressler, eine enge Unterstützerin der Hausgemeinschaft. »Trotzdem haben wir den Eindruck, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht willens ist.« Erst der mediale Druck habe die Mühlen in Bewegung gesetzt.
Genossenschaftlichen Bestandserwerb zu fördern, ist eigentlich erklärtes Ziel der Landesregierung. Doch die K12 passt nicht in das Schema der Förderrichtlinien. Zum einen geht es um die Gewerbeflächen im Haus. Neben Mietwohnungen gibt es auch einige Ateliers. Die Fördermittel für Genossenschaften sind aber lediglich für den Erwerb von Wohnraum und nicht für Gewerbeflächen vorgesehen. Das nächste Problem ist der Zustand des Hauses. Öfen, Außenklos und bröckelnder Putz: Instandhaltungsmaßnahmen sind dringend notwendig. Die Richtlinien für die Förderung des genossenschaftlichen Ankaufs sehen aber nicht vor, dass die Mittel für die sogenannte nachgeholte Instandhaltung eingesetzt werden.
Die Mieter können nicht verstehen, wie man sich mit solchen »selbst auferlegten Richtlinien« aufhält. »Letztlich geht es um ein Darlehen für den genossenschaftlichen Ankauf eines Hauses. Um Geld, das zurückgezahlt wird«, sagt Jarmila Dürholt, Vorstandsvorsitzende des Hausvereins, mit Blick auf die gefüllten Töpfe. Der Frust ist groß.
»In den Verwaltungen sitzen keine kleinen Königinnen und Könige, die nach ihrem freien Ermessen entscheiden, sondern engagierte Personen, die aber an Regularien gebunden sind«, sagt Daniela Billig. Die Politikerin der Grünen-Abgeordnetenhausfraktion hat die Mieter der K12 unterstützt. Sie sieht das Problem darin, dass die Förderprogramme nicht kompatibel sind mit der Individualität der einzelnen Fälle. »Die Richtlinien müssen deshalb dringend überarbeitet werden, damit sie auch mit der Lebensrealität übereinstimmen«, sagt Billig.
Der zweigeteilte Ankauf von Wohnen und Gewerbe, der nun als Lösung von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung genannt wurde, sei schon einmal Thema gewesen, zwischenzeitlich aber wieder verworfen worden, berichtet Billig. Die Grünen-Politikerin ist sich sicher, dass es am Ende eine Lösung geben wird. »Es darf nicht passieren, dass die K12 versteigert wird.«
Wenn auf den letzten Metern eine Einigung gelinge, dann gelte ihr Dank nicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die ihren Fall ausgesessen habe, sondern den vielen Unterstützern, die sich für die K12 eingesetzt hätten, sagt Dürholt. Dass sie als Mieter erst Kampagnen starten und demonstrieren mussten, damit sich etwas bewegt, stößt ihr auf. »Wir haben auch Familien und Jobs. Die vergangenen Wochen und Monate haben an unseren Kräften gezehrt.«
Dabei hätten sie als Hausgemeinschaft noch Glück gehabt, so viel Aufmerksamkeit und Unterstützung zu erhalten, weil ihre Adresse auch mit einem geschichtsträchtigen Ort verbunden werde. Der Hirschhof hinter der Oderberger Straße und der Kastanienallee war in den 80er Jahren Entstehungsort einer kleinen Bürgerbewegung, die sich für den großen Hof einsetzte. Vor allem als Szenetreffpunkt der DDR-Opposition, wo Punk-Konzerte, Lesungen und Filmvorführungen in unmittelbarer Nähe zur Mauer stattfanden, ist der Hirschhof über die Bezirksgrenzen hinaus bekannt.
Nachdem die Häuser im wiedervereinigten Deutschland verkauft wurden, folgte in den 2000ern ein jahrelanger Rechtsstreit über die öffentliche Zugänglichkeit des Hofs. Die Eigentümer der Nachbarhäuser privatisierten ihren Teil des Hinterhofs. Wenn am Ende der genossenschaftliche Ankauf der K12 scheitern sollte, würde auch die letzte Erinnerung an die widerständige Geschichte des Hirschhofs verloren gehen.
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