Rettung neu aufstellen

Grüne legen Entwurf für Rettungsdienste-Gesetz vor, um Notlage zu beenden

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist die Woche der Rettungsdienste. Zunächst gibt Rechnungshofpräsidentin Karin Klingen bei der Vorstellung des Berichts für das Jahr 2021 am Mittwoch weiteren Anlass zur entsprechenden Diskussion. Sie kritisiert in Bezug auf die desolate Lage der Notfallhelfer*innen in der Hauptstadt »das Fehlen koordinierter Planungen« und »zu wenig gesamtstädtische Steuerung«. »Strukturelle und organisatorische Änderungen sind dringend notwendig«, forderte Klingen. Denn: »Rein rechnerisch fehlen nach den Feststellungen des Rechnungshofs über 1000 Stellen und 66 Rettungswagen«.

Die Notfallhelfer haben selbst die größte Not: Fast täglich ruft der Berliner Rettungsdienst in den vergangen Jahren den Ausnahmezustand aus. Dieser tritt ein, wenn die Rettungswagen zu 80 Prozent ausgelastet sind und die vorgegebene Zeit von zehn Minuten, bis ein Rettungswagen am Unfall- oder Notfallort eintreffen soll, nicht mehr eingehalten werden kann.

Erst am Montag hatte es im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses noch eine aufgewühlte Debatte um den Vorschlag der Innensenatorin Iris Spranger (SPD) gegeben, dass als kurzfristige Maßnahme nicht nur ausschließlich Notfallsanitäter*innen die Ärzt*innen zu den Einsätzen fahren sollten, sondern dies auch von Rettungssanitäter*innen übernommen werden könnte, die eine geringere Qualifikation haben.

Für Silke Gebel, Vorsitzende der Grünenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, und ihre Fraktionskolleg*innen Vasili Franco und Catherina Pieroth eine rote Linie: »Gesetzliche Standards abzusenken, halten wir für brandgefährlich«, erklärt Gebel am Mittwoch in einer Pressekonferenz, in der ihre Fraktion nicht nur ein umfassendes Positionspapier zur Lage der Rettungsdienste, sondern auch einen neuen Entwurf für das Rettungsdienstegesetz vorlegt, das das zuletzt im Jahr 1993 verabschiedete ablösen soll.

Statt auf Notfallsanitäter*innen zu verzichten, müsse man per Ausbildungsoffensive und Erneuerung des Berufsbildes die Tätigkeit attraktiver machen, als sie sich derzeit darstellt. Auf medizinische Qualifikationen in Situationen zu verzichten, in der immer auch unvorhergesehene Eingriffe vorgenommen werden müssten, zum Beispiel, weil anwesende Notärzt*innen Anschlüsse zur Versorgung von Verletzten legen müssen, sei fahrlässig. Die Situation im Rettungswagen sei mit der auf einer Intensivstation vergleichbar.

Während Iris Spranger am Montag erklärt hatte, abseits der Notreform könne man im nächsten Jahr über »längerfristige Maßnahmen nachdenken«, wollen die Grünen sich damit nicht zufriedengeben und stattdessen vorangehen. Sie wollen ein besseres Management und eine bedarfsgerechte Personalplanung und bringen ihre Koalitionspartnerin SPD damit wahlkampfbetont unter Zugzwang. Klar dürfte sein: Die Grünen besetzen das Thema Verwaltungsreform gerade komplett für sich. Und rennen damit offene Türen ein.

Würden, so wie es Sprangers Vorschlag vorsieht, dringend nötige medizinische Qualifikationen unterminiert, laufe man Gefahr, dass die Menschen schlecht versorgt in den Rettungsstellen ankommen, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, Catherina Pieroth. Das dürfe nicht sein – zumal auch die Kliniken der Hauptstadt unter Personalnot und Überlastung leiden. Werden deren Rettungsstellen dann geschlossen, müssten Rettungsfahrzeuge zum Teil horrend weite Wege durch die Stadt zurücklegen müssen, bis Patient*innen aufgenommen werden können. Würde allerdings zukünftig zunächst schneller geklärt, ob nicht auch ganz andere Akteure bei der Versorgung von als Notfall geltenden Patient*innen zuständig sein könnten, entfalle möglicherweise ein großer Teil der Rettungsfahrten, so die Grünen-Politiker*innen. Diskutiert werden müsse dies alles schnell an einem Runden Tisch, sowohl mit Innen- und Gesundheitsverwaltung, Feuerwehr, Rettungsdienst, Hilfsorganisationen, Krankenhäusern, Krankenkassen, Krankentransportunternehmen und Kassenärztlicher Vereinigung.

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