Hunderttausende in Lebensgefahr

Ostafrika kämpft nach jahrelanger Dürre mit Lebensmittelknappheit, besonders Somalia

  • Mohamed Odowa und David Renke
  • Lesedauer: 4 Min.

Mittlerweile hat knapp die Hälfte der 16 Millionen Einwohner Somalias nicht mehr genug zu essen, 300 000 Menschen stehen nach Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA kurz vor dem Hungertod. Dennoch zögern die Vereinten Nationen, offiziell eine Hungersnot in dem verarmten Land am Horn von Afrika auszurufen, durch die dann schnelle humanitäre Hilfe für das Land mobilisiert werden könnte. Mehrere UN-definierte Indikatoren einer Hungersnot seien noch nicht erreicht, heißt es. Dafür müssten 30 Prozent der Kinder massiv unterernährt sein oder die Zahl der Menschen, die täglich verhungern, auf zwei Erwachsene oder vier Kinder pro 100 000 Einwohner steigen.

Für viele Menschen sei es dann jedoch zu spät, warnt die Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC), die in mehreren Flüchtlingslagern im Land tätig ist. Vor Kurzem erzählte eine somalische Mutter dem IRC, dass bereits zwei ihrer Kinder auf dem Weg zu einem solchen Lager das Leben verloren hätten. »Jetzt versuche ich sicherzustellen, dass mein letztes Kind die dringend benötigte Behandlung gegen akute Unterernährung erhalten kann.«

Auch IRC-Geschäftsführer Ralph Achenbach fordert schnelle Hilfen: »Wenn bis zu einer offiziellen Erklärung der Hungersnot gewartet wird, könnte das Hunderttausende von Menschenleben kosten. Das war der Preis der Untätigkeit während der tödlichen Hungersnot in Somalia 2011, bei der 260 000 Menschen – die Hälfte davon Kinder – starben.« Die Hälfte aller Todesfälle sei damals eingetreten, bevor die Hungersnot offiziell ausgerufen worden sei, so Achenbach.

Obwohl auch andere Länder in Ostafrika nach jahrelanger Dürre mit Lebensmittelknappheit kämpfen, ist die Lage in Somalia besonders kritisch. Denn dort verschärft die Terrormiliz Al-Schabaab die Lage der Menschen. Die UN gehen in ihren Prognosen davon aus, dass die von den Extremisten beherrschten Regionen im Süden des Landes als erste die Schwelle zur Hungersnot überschreiten werden. Denn dort können Bauern aus Angst ihre Felder nicht bestellen, und Einwohner trauen sich nicht auf die Straße, während die Terroristen wichtige Infrastruktur zerstören oder Angriffe auf Märkte verüben.

Im September überfiel Al-Schabaab einen Hilfskonvoi mit Nahrungsmitteln in der Provinz Hiiraan; dabei wurden 20 Menschen getötet, darunter Frauen und Kinder. »Auf dem Höhepunkt der humanitären Krise sprengen die Terroristen Brunnen in die Luft, verhindern Hilfstransporte und hindern Menschen daran, die von der Dürre am schlimmsten betroffenen Gebiete zu verlassen«, sagte Somalias Präsident Hassan Scheikh Mohamud wenig später vor der UN-Generalversammlung in New York.

Der Überfall war der Ausgangspunkt für eine ungewöhnliche Koalition zwischen den sonst auf Autonomie bedachten somalischen Dorf-Clans mit dem Militär. Es geht um zwei Ziele: die drakonische Herrschaft der islamistischen Terroristen zu beenden und die bevorstehende Hungersnot abzuwenden. Somalias Präsident hatte im Mai dieses Jahres, zum Beginn seiner Präsidentschaft versprochen, sein Land von Al-Schabaab zu befreien. Somalia wird bei seinem Kampf gegen die Terrormiliz von den USA und der Türkei unterstützt.

Der stellvertretende Informationsminister Abdirahman Yusuf sagt, Al-Schabaab nutze die Zivilisten im Kampf gegen das Militär als menschliche Schutzschilde. Viele Somalier flüchten daher in die Städte, um sich vor den Gefechten in den Dörfern in Sicherheit zu bringen – und vor den Racheakten der Extremisten. Ihre Felder und ihr Vieh müssen sie zurücklassen.

Auch in der Region Galguduud, wo Al-Schabaab noch immer etwa die Hälfte des Gebiets kontrolliert, haben die Extremisten die von der Dürre verursachte Nahrungsmittelkrise noch verschlimmert: In den vergangenen sechs Monaten zerstörten sie Brunnen, brannten Häuser ab und beschädigten Mobilfunkmasten. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, bezeichnete die Zerstörung von für die Menschen unentbehrlichen Brunnen als Kriegsverbrechen. Schon jetzt sind nach UN-Angaben 90 Prozent der Menschen von den Auswirkungen der Dürre betroffen. OCHA geht davon aus, dass Somalia im kommenden Jahr 2,27 Milliarden Dollar Hilfsgelder für 7,8 Millionen Menschen benötigen wird. dpa/nd

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