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  • Fußball-WM in Katar

Boykott eines Alles-Fahrers

Warum der deutsche Fan Tobias Möhring auf seine erste WM seit 20 Jahren verzichtet

  • Matthias Koch, Doha
  • Lesedauer: 4 Min.
Einer, der eigentlich immer dabei ist, fehlt unter den deutschen Fans in Katar.
Einer, der eigentlich immer dabei ist, fehlt unter den deutschen Fans in Katar.

Es gab bei der Oma in Halle an der Saale Schnittchen zum Abendbrot, während am Sonntag bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar die deutsche Nationalmannschaft gegen Spanien ein 1:1-Unentschieden erkämpfen konnte. Enkel und Fußball-Fan Tobias Möhring sah die Partie nicht im Fernsehen. Der 41-jährige Angestellte informierte sich lediglich über das Internet, was rund 6000 Kilometer entfernt im Al-Bayt Stadium in Al-Khor geschah. »Ich fiebere jedoch schon mit«, sagt Möhring via Whatsapp-Call.

Aber diesmal ist er zum ersten Mal seit 20 Jahren bei einem großen Fußballturnier weder mittendrin noch dabei. Möhring hat sich schweren Herzens schon vor Monaten dazu entschlossen, nicht an den Persischen Golf zu reisen. Die Gründe liegen für ihn auf der Hand. »In Katar werden die Menschenrechte nicht eingehalten. Bei der Errichtung der Stadien gab es tote Bauarbeiter. Viele wurden nicht richtig entlohnt«, begründet er sein Fernbleiben. »Auch andere Weltmeisterschaften vorher wurden gekauft. Aber Katar ist kein Fußballland und hat keine Fußballtradition. Nach der WM wird es diesem Staat auch nicht besser gehen«, ist sich der Anhänger des 1. FC Union Berlin sicher.

Seit 2002 hat der gebürtige Hallenser, der nach vielen Arbeitsjahren in Stuttgart wieder in der Heimat lebt, keine Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft verpasst. Er ist eigentlich ein Alles-Fahrer, der die DFB-Elf auch an den noch so entferntesten Zipfel des Erdballs begleitet. Von 2004 bis zum Beginn der Corona-Pandemie hat Möhring jede Begegnung Deutschlands gesehen, weit über 100. Er gehörte auch zu den wenigen Deutschen, die es im Vorjahr zum EM-Achtelfinale gegen England (0:2) trotz strengster Corona-Auflagen ins Londoner Wembley-Stadion geschafft hatten.

Bei den Turnieren auf internationaler Ebene schaut sich Tobias Möhring auch gern Paarungen anderer Nationen an. Bei der WM 2010 in Südafrika kam er auf 36 Spiele. 2014 in Brasilien sah er 18 Paarungen live. 2018 in Russland flog er enttäuscht früher nach Hause, weil Deutschland schon nach der Vorrunde ausgeschieden war. Hinsichtlich der Reisekosten läppert sich so was – im Schnitt verschlingen diese 8000 bis 10 000 Euro pro Jahr. Aber Möhring fährt sehr gern mit. Sein schwarz-weißes Banner mit der schlichten Aufschrift »Halle/S.« gehört bei deutschen Länderspielen und Turnieren im Prinzip genauso dazu wie der Spielball.

Seit Jahren gehört Möhring auch zu einer kleinen Gruppe, die mit Billigung des DFB vor den Spielen mit deutscher Beteiligung die Transparente deutscher Anhänger und Fanklubs aufhängt. Diesmal wird er durch einen Fan des Halleschen FC vertreten, auch weil die Stadien in Katar tatsächlich durch gigantische Klimaanlagen künstlich heruntergekühlt werden. »Mit Klimaschutz hat das nichts zu tun«, prangert Möhring an.

Beim deutschen Testspiel im Oman am 16. November kurz vor der WM war er allerdings noch selbst vor Ort, obwohl das Land von einer Monarchie beherrscht wird. Demokratische Standards nach europäischen Maßstäben gibt es in Oman ebenfalls nicht. »Es handelte sich nicht um ein Turnier. Das Stadion existiert seit Jahrzehnten und wurde nicht einfach wie in Katar für sieben oder acht Spiele neu gebaut«, erklärt Möhring seine unterschiedliche Herangehensweise.

Nach der WM wird Möhring seine Reisetätigkeiten in Sachen Nationalelf wieder aufnehmen. Die nächste WM in den USA, Kanada und Mexiko hat er schon im Kopf. Und er träumt davon, dass die übernächsten Welttitelkämpfe in Argentinien und Uruguay stattfinden. Dort werde Fußball gelebt.

Bis dahin soll ihm sein Herzensklub Union Berlin noch viel Freude bereiten. »Ich erlebe gerade meine beste Zeit als Union-Fan. Das war schon geil«, sagt Möhring über den Verein, der als Fünfter der Bundesliga auch in der Europa League überwintert. Natürlich hat er alle Europacupspiele gesehen. Als Mitglied des Fanklubs Sachsenadler fährt er Anfang Januar mit den Eisernen ins Trainingslager nach Spanien.

Die Ultras der Köpenicker gehören zu den großen Kritikern der WM in Katar. Sie riefen dazu auf, stattdessen Alternativveranstaltungen wie Lesungen oder Podiumsdiskussionen zu besuchen. Die Mentalität der Fanszene Unions beeinflusste Möhring durchaus bei seiner Entscheidung, Katar zu boykottieren. Gern zitiert er in diesem Zusammenhang den Slogan, mit dem Union 2011 bei den eigenen Anhängern für den Kauf von Stadionaktien warb: »Wir verkaufen unsere Seele! Aber nicht an jeden.« Das gilt für Möhring auch in der Causa Katar und Fifa.

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