- Politik
- Energiepolitik
Wasserstoff statt Diamanten
Deutschland und Namibia wollen bei einem zukunftsträchtigen Energieträger eng zusammenarbeiten
Namibia erfreut sich in Europa zunehmender Beliebtheit: Die EU-Kommission hat mit der Regierung in Windhoek eine strategische Partnerschaft geschlossen, die Europäische Zentralbank schult Personal der Notenbank, und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ernannte im Sommer seinen Staatssekretär zum »Sonderbeauftragten für die deutsch-namibische Klima- und Energiekooperation«. Kurz zuvor hatten der Grünen-Politiker und Namibias Energieminister Tom Alweendo ein Kooperationsabkommen für eine künftige Wasserstoffwirtschaft geschlossen. »Es gibt kaum einen besseren Ort auf der ganzen Welt, um mithilfe von Wind- und Solarenergie grünen Wasserstoff herzustellen«, geriet Habeck ins Schwärmen. Windräder an Land würden dort noch höhere Strommengen erzeugen als Offshore-Anlagen in der Nordsee.
Vertieft werden soll die Zusammenarbeit im Rahmen einer am Sonntag beginnenden fünftägigen Reise des Wirtschaftsministers nach Namibia und Südafrika. Auf der ersten Station in Windhoek ist ein Treffen mit Staatspräsident Hage Gottfried Geingob geplant.
Namibia ist das am zweitdünnsten besiedelte Land der Erde. Auf einer Fläche zweieinhalbmal so groß wie Deutschland leben lediglich 2,5 Millionen Menschen. Das Land will die starke Abhängigkeit von bisherigen Rohstoffexporten reduzieren: von Diamanten, Uran und Kupfer. Beim durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen liegt Namibia in Afrika unter den Top Ten, verzeichnet aber wie viele Rohstoffstaaten ein gewaltiges Einkommensgefälle. »Trotz staatlicher Sozialprogramme konnte weder dieses historische Erbe der Apartheid überwunden, noch konnten ausreichend produktive Arbeitsplätze geschaffen werden«, lautet die Einschätzung der deutschen Außenhandelsorganisation GTAI. Investitionen dort gelten als hoch riskant. In der Rangfolge der deutschen Handelspartner steht Namibia weit hinten auf Rang 107.
Doch dabei soll es nicht bleiben. In ihren »Prosperitätsplan Harambee II« von 2021 bis 2025 hat die Regierungspartei Swapo – sie ging aus der marxistisch orientierten Befreiungsbewegung hervor – die Produktion von grünem Wasserstoff und Ammoniak als strategische Industrie aufgenommen. Was bestens zur ehrgeizigen deutschen Wasserstoff-Strategie passt. »Namibia wird grünes Ammoniak produzieren, das wir für die Dekarbonisierung unserer Industrie dringend benötigen«, äußerte Habecks Sonderbeauftragter Rainer Baake. Ammoniak ist ein bedeutender Grundstoff, vornehmlich in der chemischen Industrie.
Aber die Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyse erfordert gewaltige Mengen an Wasser, das im Wüstenstaat knapp ist. Daher ist eine mit erneuerbaren Energien betriebene Meerwasserentsalzungsanlage in der Nähe der Stadt Lüderitz geplant. Die Anlage soll gleichzeitig dazu dienen, die örtliche Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. »Da Wasserstoff kostengünstig nur mit Pipelines und nicht mit Schiffen transportiert werden kann, plant Namibia die Weiterverarbeitung von Wasserstoff zu Ammoniak«, heißt es aus Habecks Ministerium. Für die Verschiffung des grünen Ammoniaks voraussichtlich nach Hamburg wird eine neue Hafenanlage geplant.
Es gilt als eines der größten Wasserstoffprojekte der Welt – nach namibischen Medienberichten sollen mehr als 9 Milliarden Euro investiert werden. Bei Energieexperten stößt es indes nicht nur auf Zustimmung, denn es gibt Umwandlungsverluste, die bei Produktion, Transport und eventueller Rückverstromung von Ammoniak entstehen. Für andere hat es einen neokolonialen Beigeschmack, wenn knappe Flächen, Wasser und Rohstoffe für die Transformation der europäischen Industrie reserviert werden.
Derweil nimmt das Projekt erste Konturen an. Die Ausschreibung für die Entwicklung einer ersten Ausbaustufe hat das Unternehmen Hyphen gewonnen, ein Zusammenschluss des deutschen Entwicklers Enertrag und des südafrikanischen Investors Nicolas Holding. Dem namibischen Staat soll eine Beteiligung angeboten werden. Das Investitionsvolumen für die erste Ausbaustufe entspreche »in etwa« dem derzeitigen Bruttoinlandsprodukt von Namibia, sagt Habeck.
Während der Bauphase sollen 15 000 neue Arbeitsplätze entstehen, im Betrieb werden angeblich 3000 Beschäftigte benötigt. Viele Einheimische dürften darunter nicht zu finden sein, meinen die GTAI-Experten: »Unmittelbare Beschäftigungseffekte für die Bevölkerung sind nicht zu erwarten.« Auch sei die Verdrängung entwicklungsrelevanter Vorhaben durch das Wasserstoffprojekt »nicht thematisiert« worden.
Heute hängt Namibia am überlasteten Stromnetz des Nachbarn Südafrika und damit an dessen Kohlestrom. Das Land hat indes selbst große Wind- und Solarenergiepotenziale und möchte noch in diesem Jahrzehnt zum ersten afrikanischen Land mit 100 Prozent erneuerbaren Energien im Stromsektor werden. Das ist jedoch Zukunftsmusik. Der Streit um die sogenannte Versöhnungsvereinbarung, mit der die Bundesregierung für den Genozid 1904 bis 1908 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika Opfer finanziell entschädigen will, zeigt, dass auch innenpolitische Auseinandersetzungen etwa über »Landraub« oder lokalen Umweltschutz das Megaprojekt ausbremsen könnten.
Aus Sicht der Bundesregierung geht es dagegen um eine Win-win-Situation. Etwa von Deutschland aus erfolge der Technologietransfer in Staaten, die regenerative Energie im Überfluss produzieren könnten. Diese wiederum exportierten den von den Industrienationen benötigten grünen Wasserstoff. Im Rahmen der deutschen Wasserstoff-Strategie werden strategische Allianzen unter anderem mit Kanada, Australien und Marokko geknüpft. Auch Namibias nördlicher Nachbar Angola will seine Abhängigkeit von bisherigen Rohstoffexporten, hier Erdöl, mittels Wasserstoff reduzieren. Der staatliche Energiekonzern Sonangol und die beiden deutschen Firmen Gauff Engineering und Conjuncta unterzeichneten im Juni eine Absichtserklärung für den Bau einer Fabrik, die ab 2024 grünes Ammoniak für den Export produzieren soll.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!