»Progressive« Linke machen Druck

Einige Parteimitglieder fordern Klarheit im Umgang mit Sahra Wagenknecht und ihrem Lager

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Aufruf zum Treffen der "Progressiven" wird Kritik an einer Person geübt, deren Name nicht genannt wird.
Im Aufruf zum Treffen der "Progressiven" wird Kritik an einer Person geübt, deren Name nicht genannt wird.

Seit Sahra Wagenknecht in einer Bundestagsrede dem Westen vorwarf, einen Wirtschaftskrieg gegen Russland vom Zaun gebrochen zu haben, hat die innerparteiliche Aufregung um die ehemalige Fraktionsvorsitzende der Linken ein bisher ungekanntes Maß erreicht. Nach wie vor steht die Frage im Raum, ob Wagenknecht und ihre Getreuen, darunter zum Beispiel die Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen und Klaus Ernst, die Linke verlassen und eine eigene Partei gründen könnten. Gleichzeitig ist unter den übrigen Genoss*innen umstritten, ob eine gemeinsame Zukunft mit dem Wagenknecht-Lager überhaupt möglich ist. Zu jenen, die daran nicht mehr glauben, gehören die Unterzeichner*innen des Aufrufs zu einem Vernetzungstreffen der »progressiven Linken«, das am Samstag in Berlin stattfinden soll.

Ohne ihren Namen zu nennen, üben die Verfasser*innen des Aufrufs deutliche Kritik an Wagenknecht: Mit der Veröffentlichung ihres Buches »Die Selbstgerechten« im April 2021 habe eine »politische Formation« (damit ist das Wagenknecht-Lager gemeint) ein »eigenes Gegenprogramm« erhalten. Dieses sei »unvereinbar« mit dem Programm der Linken. Der Versuch, beide Ausrichtungen in einer Partei zu vereinen, sei »gescheitert«. Mit Blick auf die anhaltenden Wahlniederlagen, zuletzt bei der Landtagswahl in Niedersachsen, resümieren die »progressiven Linken«: »Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Linken erfordert, die Koexistenz mit dem Linkskonservatismus in der Partei zu beenden.« Den Begriff »Linkskonservativ« hatte Wagenknecht in ihrem Buch selbst geprägt, in Abgrenzung zu den »Lifestyle-Linken«, die zwar gegen Rassismus und Klimawandel kämpfen würden, aber privilegiert seien und sich von der als traditionell charakterisierten Lebenswelt der sozial Benachteiligten entfremdet hätten. Kritiker*innen werfen Wagenknecht vor, verschiedene benachteiligte Gruppen gegeneinander auszuspielen.

Zu den Unterzeichner*innen des Aufrufs zählen Bewegungslinke wie der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin und die Leipziger Landespolitikerin Juliane Nagel ebenso wie Reformer*innen, darunter der ehemalige Bundestagsabgeordnete Thomas Nord und die Bundessprecherin des »Forums demokratischer Sozialismus«, Luise Neuhaus-Wartenberg. Als bloße Anti-Wagenknecht-Formation will diese die »progressive Linke« allerdings nicht verstanden wissen: »Ich will mich nicht an bestimmten Leuten abarbeiten. Mir geht es darum, den progressiven Charakter der Partei zu stärken.« Diese etwas vorsichtige Rhetorik mag auch strategisch motiviert sein: Man will verhindern, dass Wagenknecht die Erzählung aufbauen kann, sie würde aus der Partei gedrängt.

Umso deutlicher erscheinen die Gegensätze in einem Papier, über das sich die »Progressiven« am Wochenende verständigen wollen. In der »Berliner Erklärung«, die »nd« in einer Arbeitsfassung vorliegt, heißt es, hinter dem »Linkskonservatismus« verberge sich ein »sozialkonservativer Nationalpopulismus für die vermeintliche Mehrheit der ‚deutschen Bürger›, der in Stellung gebracht wird gegen Geflüchtete, queere Menschen, Klimabewegte und andere ‹skurrile Minderheiten‹«. Eine solche Haltung wolle man nicht mehr akzeptieren: »Wir wollen, dass in dieser Frage Klarheit geschaffen wird. Das ist eine Aufgabe aller Gremien, vor allem aber des Partei- und Fraktionsvorstands.« Diese Passage kann als Aufforderung verstanden werden, sich zu entscheiden, ob man das Wagenknecht-Lager als Teil der Linken weiterhin akzeptieren wolle. Auch die Bundestagsfraktion kommt schlecht weg: Die dort »hartnäckig tolerierte Koexistenz unvereinbarer Positionen« werde »zu Recht als unwählbare ‚Zerstrittenheit‹« reflektiert. In der Fraktion gibt es seit Jahren ein Machtbündnis aus Reformern um Dietmar Bartsch mit dem Wagenknecht-Lager.

Inhaltlich werden Positionen geschärft, die bereits auf dem Erfurter Parteitag beschlossen wurden und bereits eine Abkehr vom Wagenknecht-Flügel bedeuten: erstens die Verbindung von Sozial- und Klimapolitik inklusive Unterstützung der Klimaproteste, zweitens die Verurteilung des russischen Angriffskrieges, ohne die Nato in Mitverantwortung zu ziehen. Hinzu kommt eine pro-europäische Perspektive: Die Initiator*innen beziehen sich positiv auf die EU, regen aber auch Reformen an. Letzteres ist mit Blick auf die Europawahl 2024 besonders interessant. Der Wagenknecht-Getreue Diether Dehm hat gefordert, dass dem »Abbruchunternehmen« im Karl-Liebknecht-Haus zu dieser Wahl eine Kraft entgegentreten müsse. Dehm ist als scharfer EU-Kritiker bekannt. Es ist anzunehmen, dass besonders an diesem Punkt eine Zuspitzung des Konflikts bevorsteht.

Die Verbindung von Reformer*innen und Bewegungslinken ist indes nicht neu, auch die Parteispitze aus Martin Schirdewan und Janine Wissler setzt sich aus diesen Flügeln zusammen. Aber: Längst nicht alle Vertreter*innen der Strömungen unterstützen den Aufruf. Beispielsweise gibt es Ost-Reformer, die eine Parteigründung von Wagenknecht eher fürchten, weil viele ältere ostdeutsche Genoss*innen die Positionen der Ex-Fraktionschefin etwa zu Russland teilen. So kritisiert Wagenknecht den russischen Präsidenten Wladimir Putin – wenn überhaupt – eher beiläufig, ansonsten konzentriert sie sich auf die Nato und den Westen. Die Bewegungslinke Christine Buchholz sagt: »Die Zuspitzung auf den sogenannten ‚Linkskonservatismus› wird den Herausforderungen an die Linke nicht gerecht.« Sie kritisiert, dass die Initiator*innen auf andere Streitfragen gar nicht eingehen, etwa auf Forderungen von Linken nach Waffenlieferungen an die Ukraine.

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