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Kampfansage in der Linken
Eine Initiative progressive Linke will die Auseinandersetzung mit den Positionen von Sahra Wagenknecht forcieren
Es dauerte keine Viertelstunde, bis der Name zum ersten Mal genannt wurde, den manche am liebsten nicht aussprechen würden: Sahra Wagenknecht. Die Linke-Politikerin war – natürlich – nicht anwesend beim Treffen der so genannten progressiven Linken am Sonnabend in Berlin, bei dem sich Linke-Mitglieder zusammenfanden, die gegen Wagenknechts Kurs in die Offensive kommen wollen. Dabei sollte es nicht um Personen gehen, sondern um inhaltliche Positionen, wie die Initiatoren vorher ausdrücklich betont hatten.
Aber wer über Linkskonservatismus reden und sich mit ihm auseinandersetzen will, der muss ganz unausweichlich auch über Wagenknecht sprechen, denn sie hat diesen Begriff eingeführt und entfaltet um ihn herum ihre ganz eigene Strategie. Manche sprechen inzwischen von einer Partei in der Partei – ein Zustand, über den sich viele Menschen Sorgen machen, auch vor dem Hintergrund miserabler Wahlergebnisse und Umfragewerte. Deshalb diskutierten nun »progressive Linke in und um die Partei«, so der holprige Untertitel der Veranstaltung, über Wege aus der Krise der Linkspartei. Dass Die Linke in einer tiefen Krise steckt, ist flügelübergreifend unumstritten, und darum, so hieß es in der Einladung zu dem Treffen, müssten sich progressive Linke gegen »die politisch schädliche Koexistenz mit linkskonservativen Bestrebungen« wehren. Oder, wie ein Teilnehmer sagte: »Irgendwo ist es für mich zu Ende mit pluralistische Linke.«
Was nicht Spaltung bedeuten soll, sondern eine »klare Richtungsentscheidung«, wie es im Entwurf einer Erklärung heißt, der lange debattiert wurde, aber dessen beschlossene Endfassung vorerst nicht vorlag. Auch Thomas Nord, einer der Initiatoren des Treffens, sagte, eine organisatorische Spaltung der Linken wäre weder nötig noch sinnvoll. Inhaltlich aber sei die Partei spätestens seit 2018 gespalten, als die Einen die Unteilbar-Bewegung für eine solidarische Gesellschaft unterstützen und die Anderen das Projekt Aufstehen von Wagenknecht und Oskar Lafontaine.
Den Unterschied brachte der Münchner Gewerkschafter Wolfgang Veiglhuber als Gast ohne Linke-Parteibuch so auf den Punkt: Wagenknecht übergehe völlig, dass die Gemeinsamkeit in der Arbeiterbewegung immer aus der Klassenlage entstanden ist und nicht aus einem »nationalen Wir«. Es sei »grundsätzlich falsch, den Kampf für die Interessen der Lohnabhängigen zu trennen vom Kampf gegen alle möglichen anderen Sauereien in dieser Gesellschaft«.
Das zielt auf eine zentrale These des Wagenknecht-Buchs »Die Selbstgerechten«, in dem sie der Linken vorwirft, das Soziale zu vernachlässigen und sich stattdessen auf identitätspolitische Themen zu kaprizieren. Christoph Spehr bezeichnete das aus der Bremer Erfahrung des linken Mitregierens im Senat der Hansestadt als Denunziation; der frühere Bundestagsabgeordnete Niema Movassat wies darauf hin, dass diese These vor allem rechts und rechts außen großen Anklang finde: »Sie betreibt damit als besonders kundige Stichwortgeberin das Geschäft der Rechten.« Bernd Friedrich aus Leipzig meinte zwar das Demonstrationsverhalten mancher Linker, aber man konnte es auch als Kritik an Wagenknechts Linie verstehen, als er sagte: »Wenn Rechte neben dir gehen, bist du auf dem falschen Weg.«
Wieviel Einfluss dieses Netzwerk, das sich progressive Linke nennt, auf die parteiinterne Auseinandersetzung nehmen kann, ist noch nicht absehbar. Es ist nicht gleichzusetzen mit traditionellen Parteistrukturen wie Reformerflügel oder Forum demokratischer Sozialismus, es lässt sich auch nicht in das neuere Strömungsgefüge der Linken einordnen. Hier treffen sich Leute aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen. Ein paar aktuelle und frühere Bundestagsabgeordnete und Vorstandsmitglieder waren da, eine Menge Basismitglieder. Die Parteivorsitzenden waren angefragt und sagten dem Vernehmen nach aus Termingründen ab; der Linke-Vorstand schickte auch keinen Abgesandten. Parteivize Lorenz Gösta-Beutin war sozusagen als Aktivist anwesend, aber nicht im Auftrag der Parteispitze.
Nach Ansicht der progressiven Linken gibt es viel aufzuräumen in der Linkspartei. Etwa bei der Frage, wer für die Partei spricht. Wer dauerhaft nicht bereit sei, Beschlüsse und Grundwerte der Linken zu respektieren, solle sie nirgends vertreten, heißt es im Beschlussentwurf. Die Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring illustrierte das mit der Bemerkung, sie wolle nicht weiterhin in jeder Sitzungswoche des Parlaments Angst vor der Rednerliste der Linksfraktion haben, »weil wir nicht wissen, wer welche Position vertreten wird«. Wagenknechts Linkskonservatismus wird in dem Beschlussentwurf als »dem Inhalt nach sozialkonservativer Nationalpopulismus für die vermeintliche Mehrheit der ›deutschen Bürger‹« bezeichnet.
Die progressive Linke will Bewegung in die Richtungsauseinandersetzung innerhalb der Linken bringen. Bisher schaut ein erheblicher Teil der Partei, inklusive viele Wagenknecht-Kritiker, vor allem darauf, ob und wann die ehemalige Fraktionsvorsitzende ihr Projekt zur vermeintlichen Abspaltung von der Linken vorantreibt. Im Frühjahr war für den Herbst eine Konferenz der so genannten populären Linken angekündigt, davon hörte man schon lange nichts mehr. Gerüchte über Pläne für eine eventuelle Neugründung dementiert Wagenknecht nicht definitiv, sondern lässt die Möglichkeit absichtsvoll im Raum stehen. »Wer über einen anderen Laden nachdenkt, sollte nicht für die Partei sprechen«, forderte Christoph Spehr.
Nun will die Initiative progressive Linke Druck auf die Linke-Führung machen, eine inhaltliche Klärung darüber herbeizuführen, dass sich die Partei zu ihren programmatischen Grundwerten bekennt. Das sei keine Frage von Schiedskommissionen, sagte Thomas Nord, sondern der grundsätzlichen Ausrichtung der Partei. Wagenknechts Buch »Die Selbstgerechten«, so heißt es in der Einladung zu dem Treffen, enthalte jedenfalls ein Gegenprogramm, dem laut der früheren Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach »inzwischen in eine ernsthafte Strömung nahesteht, deren Positionen anschlussfähig nach rechts sind«. Das wollen die progressiven Linken nicht hinnehmen. »Linke müssen progressiv sein«, sagte Niema Movassat, »oder sie sind nicht links.«
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