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Nummer ziehen und diskriminiert werden
Auch bei Behördengängen sind Sinti und Roma mit Rassismus konfrontiert
Milena Ademović kann eine lange Liste aufzählen: unnötige Dokumente, die verlangt werden, Briefe, die in Behörden verloren gehen oder Kindergeldanträge, auf deren Bearbeitung die Eltern, die zu ihr kommen, ein Jahr lang warten müssen. »Deshalb sind wir da«, sagt Ademović, die als Sozialarbeiterin bei der Weddinger Beratungsstelle Kulturen im Kiez auch Sinti und Roma bei ihren Behördengängen unterstützt.
Diese Begleitung mache einen Unterschied, erzählt sie bei einer Veranstaltungsreihe des Berliner Bündnisses gegen Antiziganismus und für Roma*-Empowerment (Bare). Wenn sie sinnbildlich mit der »Visitenkarte« der Beratungstelle ins Jobcenter geht, dann sind beispielsweise irrelevante Dokumente auf einmal nicht mehr nötig, auf die das Amt vorher bestanden hatte. »Aus vielen Städten hört man, dass in Jobcentern eine massive Diskriminierung von Rom*nja stattfindet«, sagt auch der Soziologe Tobias Neuburger, der zum institutionellen Antiziganismus, also der Diskriminierung von Sinti und Roma beispielsweise durch Behörden, forscht. All diese Fälle, die Ademović beschreibt, seien ihm in seiner Forschung auch begegnet.
Immer wieder würden bei Leistungen, auf die ein Anspruch besteht, Hürden geschaffen, so Neuburger: Unwichtige Dokumente werden nachgefragt oder solche, von denen Ämter schon wissen würden, dass sie schwer zu besorgen sind wie Geburtsurkunden, die beispielsweise in Herkunftsländern wie Rumänien nicht ausgestellt werden. »Die Bearbeitung von Kindergeldanträgen kann so bis zum Sankt Nimmerleinstag herausgeschoben werden«, sagt Neuburger. Institutioneller Antiziganismus zeichne sich deshalb nicht nur durch eine Unfähigkeit, sondern explizit auch eine Professionalität aus, wenn eben systematisch verzögert und verhindert werde.
Genau für solche Fälle der Diskriminierung durch Behörden gibt es in Berlin seit 2020 das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), das im Unterschied zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz des Bundes auch öffentliche Stellen in den Blick nimmt. Verbunden ist damit auch ein Klagerecht, nach dem sich Betroffene von Diskriminierung durch staatliche Stellen von Organisationen vor Gericht vertreten lassen können.
Mit Inkrafttreten des Landesantidiskriminierungsgesetzes wurde auch eine Ombudsstelle eingerichtet, an die sich Betroffene wenden können. Über 1000 Fälle sind dort bisher eingegangen. »Solche Zahlen sind bedingt aussagekräftig. Sie zeigen nur, wer zur Ombudsstelle kommt, darüber, wer sich nicht traut oder wie groß Diskriminierungen verbreitet sind, sagen sie nichts«, gibt die Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung, Saraya Gomis, zu Bedenken.
Sie geht davon aus, dass noch viel passieren muss, bis Roma und Sinti sich in gleichem Maß an die Ombudsstelle wenden wie andere diskriminierte Gruppen das tun. Zugänglicher soll die Ombudsstelle demnächst werden, wenn sie aus dem Verwaltungsgebäude der Senatsverwaltung für Justiz in eigene Räume in Moabit zieht. Dann könnte auch eine längst fertig erdachte Werbekampagne starten, die auf die Ombudsstelle aufmerksam machen soll und die bisher nicht zum Einsatz kam, weil die Stelle lange Zeit nur mit einer Person unterbesetzt war.
Um Antiziganismus nachhaltig zu bekämpfen, werden Ombudsstellen allein aber nicht reichen. Zu tief liegen dessen Wurzeln in Deutschland. »Es gibt bestimmte Kontinuitäten, die nicht am 8. Mai 1945 endeten, die aber auch nicht erst 1933 begonnen haben«, sagt Tobias Neuburger mit Blick auf die Diskriminierung von Sinti und Roma. Dennoch gebe es immer wieder den Versuch, den Antiziganismus »in die Geschichte zu bannen«. Wie es der Fall ist, wenn ein Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma eingeweiht wird, aber wenig später eine Asylrechtsverschärfung verabschiedet wird, die sich maßgeblich gegen den Schutz von Roma richtet.
Um deren Diskriminierung in Behörden zu begegnen, müsste nach Ansicht von Neuburger in einem ersten Schritt eine unabhängige Beschwerdestelle eingerichtet werden. Einen ganz praktischen Vorschlag hat auch Milena Ademović. Sie wünscht sich, dass auch Roma in den Behörden angestellt werden. Dass diese für die Arbeit nicht qualifiziert wären, will sie nicht gelten lassen: »Wenn die jetzigen Angestellten ausreichend qualifiziert wären, würden sie ihre Arbeit gut machen und wir als Sozialarbeiter müssten nicht immer Widersprüche schreiben, weil ihnen Fehler unterlaufen.«
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