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  • Drama »An einem schönen Morgen«

Auf Männer wartend

Im Drama »An einem schönen Morgen« zeigt die französische Regisseurin Mia Hansen-Løve eine Frau zwischen den Bedürfnissen zweier Männer

  • Judith Sieber
  • Lesedauer: 4 Min.
Léa Seydoux als Sandra in »An einem schönen Morgen«
Léa Seydoux als Sandra in »An einem schönen Morgen«

»An einem schönen Morgen«, so erfahren wir gegen Ende des Films, steht als Titel für eine ungeschriebene Autobiografie im Tagebuch des Vaters der weiblichen Hauptfigur. Der semibiografische Film der französischen Regisseurin Mia Hansen-Løve kreist jedoch um Sandra, gespielt von Léa Seydoux, die als Übersetzerin alleine mit ihrer jungen Tochter in Paris lebt. Ihr Leben wird von der Rolle als Mutter, einer monotonen Arbeit, aber vor allem durch zwei Männer geprägt: ihren Vater Georg (Pascal Greggory) und einen Liebhaber, Clément (Melvil Poupaud). Was Hansen-Løve zeigen möchte, ist die Gleichzeitigkeit zweier gegensätzlicher Gefühle und Lebensereignisse; die Krankheit des Vaters und sein Umzug in und zwischen Pflegeeinrichtungen einerseits und das Finden einer neuen Liebe andererseits. Die Sensibilität des Films, insbesondere die Verletzlichkeit der Hauptfigur, bricht sich mit den gesellschaftlichen Realitäten, die im Hintergrund ablaufen und zu denen die Figur keinen Zugang findet.

Sandras Vater, so lernen wir gleich zu Beginn, leidet an einer neurodegenerativen Erkrankung. Sein Sehvermögen und seine Gedächtnisleistung verschlechtern sich zunehmend. Die Tragik zeigt sich im Film aber nicht in seinem körperlichen Verfall, sondern darin, dass Georg als emeritierter Philosophieprofessor nicht mehr in der Lage ist zu lesen. Clément wird ebenso über seine Tätigkeit als Kosmochemiker eingeführt, als Sandra ihn nach einem zufälligen Wiedersehen im Park auf der Arbeit besucht. Nachdem er ihr diese und die wichtigsten Instrumente erklärt hat, küsst sie ihn unvermittelt. Damit beginnt eine schwierige Affäre, denn Clément ist noch in einer Beziehung mit einer anderen Frau. Sandra steht, als ein sich wiederholendes Motiv, auf ihn wartend in ihrer Wohnungstür.

Die romantische Weichheit des Films wird verstärkt von einem wiederkehrenden Klaviermotiv und auch dadurch, dass er auf 35-Millimeter-Film gedreht wurde. Die fast kitschige Untermalung steht in einem interessanten Kontrast zu den Szenen, in denen die Pflegeeinrichtungen, ihre Bewohner*innen und die Arbeit dort gezeigt werden. Der Notstand in den Einrichtungen ist zwar wiederkehrendes Gesprächsthema in Sandras Familie, doch bleibt eher im Hintergrund. In der Familie wird dagegen das Intellektuelle betont, das durch üppige Bücherregale und die Nennung von Philosoph*innen Ausdruck findet. Die Ausnahme, die das Klischee von Bürgerlichkeit wiederum bestätigt, ist der Einsatz von Georgs Ex-Frau in Klimaprotesten, was beim Abendessen unterhaltsames Gesprächsthema ist.

Sandra wird in der Umgebung der Pflegeheime haltlos und unsicher gezeigt. Eine der stärksten Szenen des Films spielt dort: Als Georg seiner Tochter anzeigt, dass er auf Toilette gebracht werden möchte, läuft diese umher, bis sie eine Pflegerin findet und ihr die Aufgabe überträgt. Es fällt auf, dass die Pflegekräfte meist People of Colour sind, während die Patient*innen wie auch Sandras Familie weiß sind. Doch während gerade schwarze Menschen die meiste Zeit im Hintergrund bleiben – wie in jeder Szene in öffentlichen Verkehrsmitteln –, konfrontiert die Pflegerin Sandra und hinterfragt ihre Passivität. Sie fragt, warum sie ihrem Vater nicht selbst auf Toilette helfe. Sandra antwortet, sie wisse es nicht, es sei ihr außerdem peinlich, und sie gesteht – seltsamerweise –, sie bewundere die Pflegerin. Diese entgegnet, während sie Georg hilft, dass das schade für Sandra sei. Hier zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Passivität und Klassenprivileg, das Sandra nicht erkennt. Die Pflegerin hilft auch ihren eigenen kranken Eltern, wie sie sagt.

Die Passivität Sandras, die zwischen den Bedürfnissen und Entscheidungen zweier Männer navigiert, wird filmisch mit ihrer Tätigkeit als Übersetzerin verknüpft, bei der sie abseits sitzt und keine eigene Stimme hat. Die Wünsche und Gedanken anderer überschreiben ihren Alltag, wie in einer Szene gegen Ende, als sie im Alltag gezeigt wird, während Tagebucheinträge des Vaters über Literatur gelesen werden. Den Effekt verstärkt der Titel des Films, der auf einen verlorenen Gedanken des Vaters verweist, der nichts mit Sandra zu tun hat. Leider schafft es der Film nicht, diese Widersprüche und gesellschaftspolitische Themen zu fassen, sondern er verdeckt sie vielmehr hinter einer romantischen Liebesgeschichte.

»An einem schönen Morgen«. Frankreich, Deutschland 2022. Regie und Buch: Mia Hansen-Løve. Mit: Léa Seydoux, Melvil Poupaud, Pascal Greggory, Nicole Garcia. 113 Min. Start: 8. Dezember.

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