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Knockout in Katar

Hochmut kommt vor dem Übermut: bei den Mikrofonartisten der deutschen WM-Berichterstattung

  • Jürgen Roth
  • Lesedauer: 6 Min.

Nun haben wir drei erquickliche Wochen der Observation der hiesigen TV-medialen Präsentation des populärsten und pekuniär einträglichsten Sportspiels des schönsten Planeten des besten aller Sonnensysteme, äh, »würg« (»Mad«), uff – hinter uns; und stehen oder sitzen vor einem in sportlicher und insbesondere noetischer Hinsicht imposanten Trümmerhaufen.

Zwar war Katrin Müller-Hohenstein, der schärfsten Waffe des ZDF in Sachen Zeitvernichtung und Nichtigkeitsgequirle, zu Beginn des Turniers, am 22. November, in einem unbedachten Augenblick in Anbetracht einer mindestens obszönen WM entfahren: »Es ist doch Wahnsinn, in welchen Zeiten wir leben!« Doch Gott sei Dank schnatterte sie hernach wieder beneidenswert zuverlässig und richtungweisend unbekümmert vor sich hin, denn »die Toren, das heißt die unermeßliche Majorität« (Arthur Schopenhauer) in sämtlichen Fernsehanstalten dieser Republik, sind wahrlich »unerschütterlich« (Hoffmann von Fallersleben) – gesegnet mit Ignoranz, Indolenz und Lernunfähigkeit.

Die Kommentatorin Claudia Neumann zum Beispiel hat – das sei anerkennend hervorgehoben – einen gänzlich neuen Sound, einen wahrhaft rabiat innovativen »Stil« in die Welt gepresst. Mit welcher Inbrunst sie die Sprache niederstreckt – es nötigt unsereinem Respekt ab, ja, es zwingt uns zur Demut. Die anbetungswürdig abgestumpfte Dame pflegt eine geradezu extraterrestrische Syntax und schneidet mit dem Messer der edlen Frau Grammatica im Dienste einer vollendet zurechtgeschnitzten Zunge sämtliche Artikel und einen Haufen weiterer störender und häßlicher Satzelemente weg: »Ergebnisse waren nicht so, wie man sich das vorgestellt hatte.« – »Kurz vor Nominierungsfrist …« – »Erste Torlospartie haben wir heute schon gesehen.« Als Doppelwummser mit obendrein ohne Prädikat: »Bessere Spielanlage Mexiko« – oder auch mit zudem ohne Personalpronomen und Hilfsverb (»hat«): »Seine Aufgabe erfüllt als Mentalitätsspieler.« (Das Possessivpronomen hatte sie übersehen. »Aufgabe erfüllt als Mentalitätsspieler« wäre noch knalliger gewesen.)

Hier ist nichts manipuliert, nichts kompromittierend entkontextualisiert zitiert. Ausnahmslos jeder, wirklich: jeder ihrer Sätze klappert abgenagt im Atemwind. Auch Numerus, Genus, Präpositionen: ois für die Restmülltonne, und sind die Satzglieder aus Versehen mal halbwegs korrekt versammelt, ächzen die schiefen Wortbilder zum Erbarmen.

Sprachliche Schlaglöcher pflastern Claudia Neumanns Weg an die Spitze der deutschen Mikrofonartisten, und staunend fragen wir uns, wie sehr man den Ausdruck verachten, wie tumb man sein muss, um im Deutschen solche Perioden basteln zu können, mit denen wir ohne Unterlaß »angetextet« (Neumann) werden. Vom französischen Stürmer Antoine Griezmann erwartet sie, »dass er die Versorgungsbrücke mal belebt«. – »Sie [die Tunesier] lassen die Franzosen nicht ihren Glanz auspacken.« Gleichwohl: »Der Favorit aktiviert eine Angriffswelle nach der anderen.« Am Ende aber scheitern die Welschen an ihrem »Übermut«. Richtig wäre – na? Genau: »Hochmut« gewesen, was der röhrenden Buchstabenmaschine indes herzlich egal ist. (Nicht einmal die Redakteure des ZDF merken es und wiederholen den Passus später mehrmals, statt ihn unter den Schneidetisch fallen zu lassen.)

Während des Achtelfinales zwischen Japan und Kroatien am 5. Dezember unterrichtete uns Claudia Neumann über (ohne »die« natürlich) »absolute Nachsitzerfahrung bei den Kroaten«. Kurz darauf: »Er hat absolut Fokus gespielt« – und: »Die Japaner sind hochwertig unterwegs.« Bravo! Eine vollständige Aussage! Bloß sogleich: »Die Warmmachzone jetzt natürlich aktiviert auf beiden Seiten.«

Dergestalt prasselte es unaufhörlich auf einen herab, bis man sich irgendwann versucht fühlte, die verfuckte Tastatur aus dem Fenster zu pfeffern. Daß die Fußballsprache so kaputt und verdreckt ist wie ein runtergerubbelter Topfschwamm, verdanken wir im Sinne der universellen Geschlechtergerechtigkeit allerdings ebensosehr den stark mehrheitlich zum Einsatz gekommenen und kommenden Gockeln. Die sind sich, von zwei, drei Abweichlern partiell abgesehen, gleichfalls für keine elende Stümperei, für keine verkrüppelte Verbalknüppelei und für keinen konventionalisierten Krampf zu schade. Florian Naß (ARD): »Die Emotionalität kommt ja auch noch.« Wir harren ihrer. Oliver Schmidt (ZDF): »Abstoß. Würde ich ’n grünes Licht dranmachen wollen.« Gutes Gelingen! Peter Großmann (ARD-Morgenmagazin): »Wir haben gesehen, dass beim ihm der Knoten geplatzt hat.« Oder hat er gepatzt, der Knoten? Sandro Wagner (ZDF-Co-Kommentator): »Sie müssen versuchen, einen strukturierteren längeren Ball zu spielen.« Thomas Broich (ARD-Experte): »Er hat ’ne unglaubliche Zündschnur mit beiden Füßen.« Bumm! Bumm! Tom Bartels (ARD): »Die USA lauert.« Oder Bartels’ Frage, »wie viel er sich nach wie vor wagt?«. Geschweige denn seine rätselhafte Feststellung: »Anderthalbmal nicht verletzt, das hilft.«

Wir haben uns nicht ausknocken gelassen, obwohl die Nackenschläge vor der Glotze eine unglaubliche Zündschnur an beiden Ohren gelegt hatten, die nach dem Vorrunden-Aus der »Mannschaft« (Bierhoff) schließlich beinahe geplatzt wäre. Vor dem ersten Ballkontakt hatte DFB-Präsident Bernd Neuendorf eine »Aufgabe, die superspannend ist«, ins Visier genommen. Nach dem Match gegen Japan grantelte Manuel »Binde« Neuer: »Wenn man keine Pässe mit Ansage nach vorne schickt, kommt die Retourkutsche.« Contra gab den in den Öffentlichkeitsbetrieben herumfuhrwerkenden Nörglern daraufhin Chefcoach Hansi Flick, der seinem Team »’ne große Mentalität« bescheinigte und am Vorabend der Auseinandersetzung mit Spanien der allzeit alerten Lea Wagner (ARD-Wüstenkundschafterin) ein Ja-doch-nein-Interview gewährte, das anheimelnd an Willy Brandts Nullgespräch mit Friedrich Nowottny aus dem Jahr 1972 erinnerte.

Da wir nicht 1972, als der Überlieferung nach die beste deutsche Elf der Geschichte triumphierte, sondern 2022 schreiben, war’s am 1. Dezember vorbei mit der »absoluten positiven Bereicherung« (Thomas Müller) durch Niclas Füllkrug; vorbei mit der »Posivität« (Sami Khedira) und mit der »Mannschafts-ID« (Jessy Wellmer), mit dem »Glücksstellungsspiel« (Almuth Schult) und mit der »Defensivlust« (Müller-Hohenstein), mit dem »All-in« in der »All-in-Phase« (O. Schmidt) des Championats.

Der Untergang der gesalbten Germanen war besiegelt, der zwischenzeitliche »sprunghafte Anstieg der Laune« (Dirk Schommertz, »Welt«-Fernsehen) einem flächendeckenden apokalyptischen Geraune gewichen, das aus sämtlichen Medienbunkern herausdampfte. Dass man jetzt »den ganzen Turnierverlauf durch den Kopf fahren lassen kann«, jammerte der Doha-Dirk, »betretene Mienen, Kopfschlagen allenthalben« machte N-TV aus. Per Mertesacker bemängelte bitterlich die fehlende »Kompromisslosigkeit, einfach einfach zu denken«, das Reichs-»Heute-Journal« eröffnete mit dem hingestotterten Anakoluth »Wenn ein ganzes Land tief enttäuscht wird, das ein Licht im dunklen Winter sucht …«. Lea W. (Seelenwüste) konstatierte in der »Tagesschau« konsterniert: »Die schwächste Phase der Nationalmannschaft geht mit ihnen nach Hause.«

Am vergangenen Sonntag wurde dann im »WM-Doppelpass« auf Sport1 endlich gebührend Rabatz angerührt. Moderator Florian König stänkerte gegen die Flauschi-Plauschi-Gesinnung der Bolzer und ihrer Vorgesetzten an, Chefreporter Patrick Berger langte wider »die Bierhoffisierung und Marketingisierung« hin (das meinte das »Kreieren« von Claims und blöden Sprüchen), Matze Knop verspottete das permanent gesellschaftlich geforderte Wertegesülze, und der redliche Markus Babbel erinnerte daran, dass zum Fußballspielen wesentlich gehöre, Fußball zu spielen. Am Mittwoch murrte die Lachmamsell Susan Link im ARD-»Morgenmagazin«: »Es stimmt doch nichts mehr.« »Und so«, ergänzen wir mit dem Alleszermalmer Arthur Schopenhauer, »wird es denn auch ferner bleiben.«

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