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»Wendezeit«, noch vor Weihnachten
Ein rechtes Netzwerk aus Reichsbürgern, ehemaligen Soldaten und AfD-Mitgliedern soll einen Angriff auf den Bundestag vorbereitet haben.
Erfurt, vier Wochen vor den Durchsuchungen: Björn Höcke steht bei der »Deutschland Zuerst!«-Demonstration auf der Bühne. Neben ihm treten auch Martin Kohlmann von den neonazistisch dominierten »Freien Sachsen«, Jürgen Elsässer vom Magazin »Compact« und Lutz Bachmann von Pegida auf. Man beschwört eine Vernetzung des gemeinsamen »Widerstands«. Die »Globalisten«, so kündigt es Höcke siegesgewiss an, »werde man zu Fall bringen«.
Die »Volksopposition«, wie er die zusammengewürfelte Bewegung nennt, reicht von alternativen Esoteriker*innen bis zum Rechtsterror. Im Sammelbecken der Pandemieleugner*innen, Verschwörungsideolog*innen und extrem Rechten wächst seit langem der militante Handlungsdruck. Dutzende Anschläge, beispielsweise auf Bahnstrecken, Impfzentren und das Robert-Koch-Institut, sind die Folge. Auch in Morden entlädt sich die Gewaltbereitschaft der Szene. Politik und Gesellschaft haben die vier Tötungsdelikte im brandenburgischen Senzing und den Mord an einem Tankstellenmitarbeiter im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein jedoch schnell wieder verdrängt.
Dieser Winter sollte für die Szene endlich die ersehnte »Wendezeit« bringen, nicht zuletzt wegen der Knappheit von Gas, der gestiegenen Energiepreise und der deshalb erwarteten Konflikte. »Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt, denn die größten Probleme von heute sind ihr anzulasten«, hatte Höcke in seinem Buch »Nie zweimal in denselben Fluss« schon 2018 angekündigt. Wahlerfolge der AfD seien dafür nicht ausreichend: »Wichtig wäre noch eine weitere Front aus den frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates heraus.«
In der Pandemieleugner*innenszene haben von Anfang an Polizeibeamt*innen (»Polizisten für Aufklärung«) sowie Soldaten und Reservisten mitgemischt. Zu den Verdächtigen des Verschwörernetzwerks, gegen die nun ermittelt wird, gehören neben der Mindener Oberkommissarin Ivonne G. und zwei Polizisten aus Niedersachsen eine ganze Reihe Soldaten aus Spezialeinheiten der Bundeswehr. Mit dem mutmaßlichen Rädelsführer Rüdiger von P. ist darunter auch der ehemalige Kommandant des Fallschirmjägerbataillons 251 in Calw, aus dem einst das Kommando Spezialkräfte (KSK) hervorging, sowie mit Andreas M. ein aktives Mitglied dieser Eliteeinheit der Bundeswehr.
Schon in den Umsturzplänen des rechten Netzwerks von André »Hannibal« S. war die Calwer KSK-Kaserne Rekrutierungsort und Stützpunkt. Der nun Festgenommene Peter W. aus Fichtelberg bei Bayreuth diente in den 90er Jahren unter Rüdiger von P. im Fallschirmjägerbataillon 251, anschließend soll auch er dem KSK angehört haben. Im April hatte die Polizei im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die sogenannten Vereinten Patrioten den früheren Wohnsitz von W. durchsucht und eine Schusswaffe beschlagnahmt. Das bundesweite Netzwerk der »Vereinten Patrioten« soll eine gewaltsame Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach aus einem Fernsehstudio geplant haben. Auf mehreren Homepages bietet W. Survivaltrainings in der Rhön an. Fotos belegen ein Schießtraining mit scharfen Waffen auf einem Schießstand und das Training für Geisel- und Gefangennahmen bei seinen Kursen im Wald.
Der jetzt festgenommene Oberst a.D. Maximilian Eder, Stammredner bei Coronademonstrationen im ganzen Bundesgebiet, gehörte früher dem Stab des KSK an. Ende November postet er in seinem Telegram-Kanal: »Ich habe noch genügend Kontakte nach Calw.« Ein paar Tage später kündigt er in einer Adventsbotschaft aus dem »Fronturlaub« in Kroatien einen »Zeitenumbruch« an. »Ich hoffe sehr, dass dies vor Weihnachten 2022 geschieht«, heißt es im dazugehörigen Video. Einer Nachbarin im niederbayerischen Eppenschlag kündigt er aus Split telefonisch an, dass die Polizei in der nächsten Woche vorbeikommen könnte. Vier Tage vor der Razzia redet Eder, per Handy zugeschaltet, bei einer Kundgebung der Münchner Pandemieleugner*innenszene. Am Tag der Durchsuchungen postet er morgens aus seinem Hotel noch eine Nachricht: »Es wird sich demnächst alles drehen: Die bisherigen Staatsanwälte und Richter sowie die zuständigen Leiter der Gesundheitsämter samt Vorgesetzten werden sich bald auf der Anklagebank in Nürnberg 2.0 wiederfinden.«
Das Netzwerk, gegen das ermittelt wird, spiegelt in seiner Zusammensetzung den Gemischtwarenladen wider, den die in Ansätzen faschistische Bewegung aus Pandemieleugner*innen und extrem Rechten am Ende des Jahres 2022 darstellt.
Es reicht vom Frankfurter Bankier Heinrich Prinz Reuß (in dessen Jagdschloss Waidmannsheil sich die Verschwörer getroffen haben sollen) über Wolfram S., den Vorsitzenden der neonazistischen »Gedächtnisstätte Guthmannshausen« in Thüringen, Siegmund C. aus der Oberpfalz (dessen Name auch im Hack des »Migrantenschreck«-Waffenversands aufaucht), den mittelfränkischen »Gremium«-Rocker Thomas T. bis zum aus München stammenden Starkoch Frank H. Mit der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann und dem früheren Olbernhauer Stadtrat Christian Wendler gehören mindestens zwei AfD-Mitglieder zum Kreis der Beschuldigten.
Die Szene reagiert indes überwiegend solidarisch: Im Kanal von »Klardenken Schwaben« heißt es zu Heinrich Prinz Reuß: »Wahrscheinlich hat er die falschen Menschen gekannt und zu viel Wahrheiten ausgesprochen.« Im »Freiheitsboten Würzburg« fordert man »Freiheit für Prinz Heinrich«. Die AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg veröffentlicht eine Stellungnahme ihres Abgeordneten Hans-Jürgen Goßner, in der es heißt: »Polizeieinsatz gegen einen Popanz – ein Schelm, der Böses dabei denkt.« Die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst twittert, »es ist nur eine Frage der Zeit, bis jeder Oppositionelle, Andersdenkende und Andersmeinende Besuch vom SEK bekommt.« Ihr Fraktionskollege Petr Bystron postet: »Diese Razzia ist der größte Machtmissbrauch in der Geschichte der Bundesrepublik und eine massive Einschüchterung der gesamten Opposition.« Und Björn Höcke? Der bleibt in Sachen Systemsturz zuversichtlich-selbstbewusst. In seinem Telegram-Kanal schreibt er am Tag nach den Razzien: »Handwerker wissen: Nach fest kommt locker. Zweifellos wurde mit dieser Inszenierung die Schraube überdreht. Ich habe das Gefühl, dass jetzt alles sehr schnell geht.«
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