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Natur wartet auf Schutz
Bei wichtigen Regelungen für das Berliner Grün gibt es vor der Wiederholungswahl keine politische Lösung
Eine »unfrohe Weihnachtsbotschaft« wollten sie überbringen, sagt Britta Krehl vom Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung. Über 30 Anwohnerinitiativen berlinweit haben sich im Bündnis zusammengeschlossen. Sie setzen sich für den Erhalt von Grünflächen ein, für den, wie sie sagen, bisher zu wenig unternommen werde. Krehl und ihre Mitstreiter wollen am Donnerstag vor dem Abgeordnetenhaus demonstrieren, allen voran gegen die Politik von Bausenator Andreas Geisel (SPD). »Herr Geisels Betonkopfpolitik zerstört gesunde Wohnumgebungen«, sagt Krehl.
Immer mehr grüne Innenhöfe würden zugunsten des Wohnungsbaus infrage gestellt. Gerade bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen sorgen zahlreiche Nachverdichtungen für Anwohnerproteste. »Für ein Quartier in Marienfelde an der Beyrodtstraße hat Herr Geisel trotz gültigem Bebauungsplan der Degewo Sondergenehmigungen versprochen, damit diese hier einen Neubauklotz hinsetzen kann«, sagt Krehl. Mit der »Betonkopfpolitik« verschenke man auch die Chance, Städte zukunftsfähig zu machen. »Grüne Oasen sind die Antwort auf den Klimawandel.« Besonders alte Menschen litten unter der extremen Hitze, wenn sich die versiegelten Flächen in der Stadt aufheizten.
Die vorhandenen Grünflächen, die eine Abkühlung bieten sollen, leiden indes auch unter der Hitze in den Sommermonaten. Sie besser zu schützen, war eines der Ziele in der von der vorangegangenen Senatsumweltverwaltung ausgearbeiteten »Charta Stadtgrün«, mit der das Land auf eine bessere Pflege der Grünflächen verpflichtet werden sollte. »Bundesweit einmalig«, nennt Turgut Altuğ, der umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, die Charta. »Es wäre eine bis jetzt noch nie dagewesene, weitreichende Selbstverpflichtung für alle Berliner Verwaltungen.«
Die Betonung liegt auf »wäre«. Denn beschlossen wurde die Selbstverpflichtung bis heute nicht im Landesparlament. Obwohl bereits vom Vorgängersenat abgesegnet, scheiterte die Verabschiedung der »Charta Stadtgrün« im Abgeordnetenhaus am Ende der vergangenen Legislaturperiode. Die SPD störte sich daran, dass das Dokument vorsah, dass Grün- und Brachflächen grundsätzlich erhalten bleiben sollten, auch wenn dem Erhalt andere öffentlichen Interessen im Weg stünden. Im neuen Koalitionsvertrag setzte sich die SPD dann durch. Mit Grünen und Linken wurde zwar verabredet: »Die Charta Stadtgrün wird beschlossen und umgesetzt.« Doch die Sozialdemokraten konnten unter anderem hinsichtlich der Brachflächen den Zusatz einer Abwägung mit »entgegenstehenden anderen erheblichen öffentlichen Interessen« in den Koalitionsvertrag verhandeln.
Zwar stand die Charta dann auch im 100-Tage-Programm des Senats. Ein Beschluss im Parlament steht aber nach wie vor aus. Das liege an den Linken, sagt Grünen-Politiker Altuğ. »Die Fraktionen der Grünen und der SPD haben die Charta längst beschlossen.« Der Konflikt mit den Linken sei nicht mehr auf der Ebene der Fachpolitiker zu lösen. Stattdessen brauche es eine Entscheidung der Spitzen der Koalition. Der Grünen-Politiker nennt sie zwar nicht beim Namen, mit seiner Kritik gemeint ist aber vor allem die bau- und umweltpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katalin Gennburg. Diese ist nicht einverstanden mit den geänderten Formulierungen in der Charta, denen zufolge der Schutz von Flächen mit anderen Interessen abgewogen werden könnte. »Betonvergießen wird damit zum Generalvorbehalt«, sagt sie.
Grünen-Politiker Altuğ kann Gennburgs Blockade nicht nachvollziehen. Er sei mit der Vereinbarung der Koalitionsparteien auch »nicht ganz zufrieden«. »Aber selbst aus der Zivilgesellschaft bekomme ich die Rückmeldung, dass die Charta lieber in der so vereinbarten Fassung im Abgeordnetenhaus verabschiedet werden sollte als gar nicht«, sagt er. Gennburg wiederum sagt, dass Umweltschutzexperten, die an der Ausarbeitung der Charta beteiligt gewesen seien, ebenfalls die Änderungen kritisierten. Sowohl Gennburg als auch Altuğ bezweifeln, dass es noch vor der Wiederholungswahl im Februar eine Lösung geben wird.
Die Charta ist nicht das einzige ökologische Regelwerk, das unerledigt liegen bleiben wird. Ebenfalls kurz vor Ende der vergangenen Legislaturperiode verweigerte die SPD die Zustimmung zur Novelle der Bauordnung, die viel weitreichender ist als eine Selbstverpflichtung, weil sie ökologische Vorgaben für private Bauherren machen würde. Dass die Novelle auch in dieser Legislaturperiode noch nicht beschlossen wurde, begründete Bausenator Andreas Geisel bereits im Sommer damit, dass man die Baukostensteigerungen für die Unternehmen nicht zusätzlich mit ökologischen Vorgaben verschärfen wolle. Die Prioritäten sind damit klar. Am Mittwochabend sagte Bausenator Geisel, die Vorlage für die Novelle der Bauordnung noch vor der Wiederholungswahl in den Senat einbringen zu wollen.
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