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Giffeys Luftnummer
Ein halbes Jahr nach seinem Start hat das Bündnis mit der Wohnungswirtschaft nichts vorzuweisen
»Es nützt überhaupt nichts, immer die Privaten in die Ecke der Immobilienhaie zu stellen«, sagt Franziska Giffey (SPD) getreu ihrem Motto »Kooperation statt Konfrontation« am Mittwochabend auf der Aussichtsplattform des Fernsehturms. Zusammen mit ihrem Parteifreund und Bausenator Andreas Geisel hat Berlins Regierende Bürgermeisterin eingeladen, um eine Bilanz zu der von ihr zur »Chefinnensache« erklärten Wohnungspolitik im Allgemeinen und zum nun ein halbes Jahr alten Bündnis mit privaten Wohnungsunternehmen im Speziellen zu ziehen.
16 500 Wohnungen sind 2022 in Berlin gebaut worden, heißt es von den Neubaufreunden. Das sind 3500 weniger, als sie sich vorgenommen haben, was an den nicht vorhersehbar gewesenen Auswirkungen des russischen Angriffskrieges in der Baubranche liegt, wie sie betonen. Allein 40 Prozent des Neubaus entfällt dabei auf die landeseigenen Wohnungsunternehmen. Diese springen damit in die Bresche, während sich Private angesichts der Zins- und Baukostensteigerung zurückziehen. »Wir haben zwischendurch befürchtet, dass es deutlich geringere Ergebnisse geben könnte«, sagt Giffey mit Blick auf die Neubauzahlen. Am Ziel, 20 000 Wohnungen pro Jahr und damit 100 000 bis 2026 zu bauen, wolle man aber festhalten.
Diese Zahl hatte sich auch das »Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen« im Juni in ihre Vereinbarung geschrieben. Zudem wurden in dem Bündnis mit der Wohnungswirtschaft unter Giffeys Vorsitz Vereinbarungen zum Mieterschutz getroffen. Im Gegenzug wurden den Unternehmen Beschleunigungen bei Genehmigungsverfahren versprochen. Nicht unterschrieben wurde die Vereinbarung damals zum einen vom Berliner Mieterverein, der unter anderem kritisierte, dass das Verabredete nur eine Selbstverpflichtung und nicht rechtlich bindend ist, Mieter Zusagen also nicht einklagen können. Dass der Mieterverein dies nicht getan habe, sei sowieso nicht weiter tragisch. »Der Mieterverein kann sich das leisten, weil wir die Mieterschutzklauseln im Bündnis durchsetzen«, findet Bausenator Geisel.
Durchsetzen ist dabei so eine Sache. Die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, hat detailliert nachgefragt. Zu den Quoten und Regelungen, die im Bündnis vereinbart worden, wie diese kontrolliert werden und wie eine Nichterfüllung geahndet wird. Die knappe Antwort aus Geisels Verwaltung: »Die Bündnispartnerinnen und -partner halten sich eigenverantwortlich an die im Bündnis vereinbarten Verpflichtungen.« Ein »Berichtswesen« zu den vereinbarten Zahlen werde erst im kommenden Jahr eingerichtet.
»Giffeys Wohnungsbündnis bleibt uns Transparenz und echte Ergebnisse schuldig«, sagt Schmidberger. Lediglich die landeseigenen Wohnungsunternehmen würden liefern, während die privaten die konkreten Zahlen schuldig blieben. Im Wohnungsbündnis sagten auch private Unternehmen unter anderem zu, bei Wiedervermietungen 30 Prozent der frei werdenden Wohnungen an Personen mit Wohnberechtigungsschein zu vermieten. Auch verabredete das Bündnis zumindest für große Wohnungsunternehmen Regelungen bei Mieterhöhungen. Die Kappungsgrenzen sollten von 15 auf maximal elf Prozent bei Mieterhöhungen abgesenkt, Mieterhöhungen für WBS-Berechtigte auf zwei Prozent bis 2023 begrenzt werden.
Bausenator Geisel verteidigt das Bündnis am Mittwoch. Die Bündnispartner hätten sich den Zielen verpflichtet. »Es gibt keinen Grund, ihnen von Anfang an zu misstrauen.« Das Bündnis werde fortgesetzt, verkündet freudig auch die Regierende Bürgermeisterin. Weil nun mal keine Zahlen zur Hand waren, brauchte es eine andere Erfolgsmeldung. Über Jahre habe man darüber geredet, dass es schön wäre, ein Wohnungsbündnis zu haben. Jetzt gebe es diesen regelmäßigen Austausch, was eine »Riesenverbesserung« sei. Die Antwort auf Schmidbergers Anfrage zeigt aber auch: Viel Austausch findet nicht statt.
Am Mittwoch tagte das Bündnis zum fünften Mal. Die drei eingesetzten Arbeitsgruppen hatten bisher jeweils nur eine Sitzung. Zumindest ein neues Mitglied hat das Bündnis nun. Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) ist diesem nun doch beigetreten. Möglich, dass der Wirtschaftsverband erkannt hat, dass er vom Bündnis wenig zu befürchten hat.
»Die Bilanz ist verheerend«, sagt Grünen-Politikerin Schmidberger. »Das Wohnungsbündnis ersetzt keine besseren Wohnraumschutzgesetze. Und es sorgt auch nicht für eine spürbare Entlastung der Mieter*innen.« Zumal Entlastungen für Berlins Mieter alles andere als in Sicht sind, wie die jüngsten Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen. Um im Schnitt über acht Prozent verteuerten sich die Angebote auf Immobilienportalen für die Hauptstadt im dritten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr – stärker als in allen anderen Großstädten.
Wenn es um die Frage geht, wie Mieter angesichts der aktuellen Krise entlastet werden, verweist die Senatsbauverwaltung in ihrer Antwort auf Schmidbergers Anfrage lediglich auf die Regelungen wie den Mietenstopp, den es für die landeseigenen Unternehmen gibt. Es bleibt auch hier beim Appell: »Es sind ebenfalls alle privaten Vermieterinnen und Vermieter aufgerufen, diese Mieterschutzmaßnahmen in ihre Unternehmenspolitik zu übernehmen.«
Der Berliner Mieterverein sieht sich in seiner Kritik am Bündnis indes bestätigt. Sowohl beim Neubau als auch beim Schutz der Mieter würden strukturelle Tendenzen einer Wohnungspolitik erkennbar werden, die sich zunehmend an den Wünschen der Wohnungswirtschaft orientierten. »Denn verbindliche Zusagen einzelner Wohnungsunternehmen sind darin weder vorgesehen noch wahrscheinlich«, sagt Mieterverein-Geschäftsführerin Ulrike Hamann.
Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer, der als Vizesenatschef die Bündnisvereinbarung im Juni mitunterzeichnet hatte, übte am Mittwoch bei der Vorstellung der Wahlkampagne seiner Partei zumindest verhaltene Kritik. »Da fehlen klare Vorgaben, da fehlen auch verbindliche Regulierungen«, sagte er. Das wolle man ändern. »Wir brauchen wirklich einen Plan«, so Lederer.
Ob das gesamte Wohnungsbündnis überhaupt etwas taugt? Zu weitreichenden Zugeständnissen können die privaten Wohnungsunternehmen jedenfalls nicht verpflichtet werden. Und angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Immobilienbranche haben Unternehmen wie der schwedische Konzern Heimstaden, der dem Bündnis nicht beigetreten ist, ganz andere Sorgen als die, ob ihre Mieter über die Runden kommen.
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