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  • Fußball-WM in Katar

Machtverlagerung nach Osten in Politik und Fußball

Chinas Einfluss im Fußball hat auch eine wachsende politische Dimension, wie die WM in Katar zeigt

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 5 Min.
Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani (l.) und der chinesische Präsident Xi Jinping wissen um die weltpolitische Bedeutung des Fußballs.
Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani (l.) und der chinesische Präsident Xi Jinping wissen um die weltpolitische Bedeutung des Fußballs.

Das bevölkerungsreichste Land der Welt ist im Fußball noch immer abgeschlagen, zumindest sportlich. China scheiterte in der Qualifikation für die WM 2022 relativ früh. Und auch die heimische Super League musste ihre Wachstumspläne nach den harten Corona-Einschränkungen längst aufgeben. »Trotzdem ist China auf subtile Weise sehr präsent bei der WM«, sagt der britische Sportökonomie-Experte Simon Chadwick. »Die Zusammenarbeit zwischen Katar und China verdeutlicht die politische Machtverlagerung des Fußballs Richtung Osten.«

Das eindrücklichste Symbol für diese Entwicklung ist das Lusail-Stadion, in dem neun WM-Partien stattfanden und in dem am Sonntag das Endspiel zwischen Argentinien und Frankreich steigen soll. Die Arena, die fast 90 000 Zuschauern Platz bietet, wurde von der »China Railway Construction Corporation« gebaut. Staatsmedien in Peking betonen, dass an diesem Bau einflussreiche Architekten, Ingenieure und Statiker Chinas beteiligt waren. Überdies wirkten chinesische Unternehmen an den Stahlkonstruktionen des Education-City-Stadions und des »Stadium 974« mit.

Die Volksrepublik setzt damit eine Strategie fort, die sie seit den 1990er Jahren vermehrt in Afrika verfolgt hatte. Mit dem Bau von Stadien, die in vielen Ländern als Statussymbole gelten, möchte sich Peking den Zugang zu Rohstoffen erleichtern. »Die US-Präsidenten Donald Trump und Joe Biden wussten nicht wirklich, wie sie mit der Golfregion umgehen sollen«, sagt Simon Chadwick. »China füllt dieses Vakuum und sichert sich langfristige Energiepartnerschaften.« Ende November besiegelte Peking die weitere Lieferung von katarischem Flüssiggas für einen Zeitraum von 27 Jahren.

Die Energie steht im Zentrum, doch als Nebeneffekt entstanden andere Handelsbeziehungen. Deutlich wurde das rund um die WM: Chinesische Unternehmen lieferten Hunderte Busse nach Katar, sie beteiligten sich am Bau der Containerdörfer für Fans und errichteten ein neues Solarkraftwerk westlich von Doha. Wenn es um Infrastruktur im Umfeld der Fußballindustrie geht, kann China wohl bald mit den Technik-Marktführern aus Deutschland, Japan und Südkorea mithalten. Ihr WM-Merchandising lässt die Fifa ohnehin seit 28 Jahren in der chinesischen Provinz Guangdong herstellen.

Es war wohl kein Zufall, dass der chinesische Präsident Xi Jinping für eine seiner ersten Auslandsreisen seit Pandemiebeginn Saudi-Arabien wählte – und das während der WM. Xi erhielt in Riad eine prunkvolle Bühne, ganz anders als Joe Biden, der im Juli eher distanziert empfangen worden war. Xi tauschte sich mit den Herrschern der Golfstaaten aus, auch mit dem katarischen Emir Tamim bin Hamad al-Thani. »In allen Golfstaaten hat China inzwischen die USA als wichtigsten Handelspartner abgelöst«, sagt der Islamwissenschaftler Sebastian Sons vom Nahostnetzwerk Carpo. »Sicherheitspolitisch werden die Golfstaaten weiterhin mit den USA zusammenarbeiten, aber ihre verstärkte Partnerschaft mit China deutet auf ein wachsendes Selbstvertrauen in der Region.«

Der Fußball verdeutlicht diese Entwicklung. Nach zahlreichen Skandalen zogen sich etliche westliche Sponsoren aus der Fifa zurück. Von den 14 Unternehmen, die aktuell rund um die WM weltweit werben, stammen nur noch fünf aus den USA und Europa. Alle anderen haben ihren Sitz in Asien, darunter vier in China und zwei in Katar. Nach Angaben des Analyseinstituts Global Data erhält die Fifa von US-amerikanischen Firmen jährlich 128 Millionen Dollar, aus Katar erhält sie 134 Millionen und aus China 206 Millionen Dollar. China ist der größte Wachstumsmarkt für Fans und Pay-TV-Abonnenten. In der Fifa-Logik wäre die WM 2030 in China der nächste Expansionsschritt gewesen, doch die unabsehbaren Folgen der Pandemie dürften dem entgegenstehen. Die Asienmeisterschaft, die 2023 in teils neuen chinesischen Stadien stattfinden sollte, wird in Katar ausgetragen.

Die Volksrepublik wird aber weiter Einfluss nehmen. Zum Beispiel bei der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko, wo sie mit der Fifa in entlegene Märkte vordringen könnte. Und auch 2030, wenn die WM gemeinsam in Saudi-Arabien, Ägypten und Griechenland stattfinden könnte, in Ländern also, die für das Infrastrukturprojekt der »Neuen Seidenstraße« von Bedeutung sind.

Die Golfregion werde sich weiter nach Asien ausrichten, sagt Sebastian Sons. »In diesem Verhältnis muss keiner der Partner fürchten, dass er wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert wird.« Die katarische Herrscherfamilie oder der saudi-arabische Prinz gehen öffentlich nicht auf die unterdrückte Minderheit der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang ein. Und Peking lässt das Leid der Arbeitsmigranten in Doha unkommentiert. »Die Hinwendung nach Asien nutzen Golfstaaten wie Katar auch als Verhandlungsmasse«, erläutert Sons. »So können sie den Europäern zeigen, dass sie Alternativen haben.«

Sebastian Sons glaubt, dass die Entfremdung zwischen einigen westeuropäischen Staaten und den Golfmonarchien während der Fußball-WM zugenommen habe. Viele Katarer werten die anhaltende Kritik etwa aus Deutschland als Rassismus. Die Folgen könnten künftig auch die rund 150 deutschen Unternehmen in Doha zu spüren bekommen, die in Katar bislang gutes Geld verdient haben. Nach dem Korruptionsskandal im EU-Parlament dürften westliche Organisationen eher auf Distanz zu Katar gehen – und China könnte abermals in das Vakuum stoßen.

Doha spricht derweil wie so häufig von westlicher Doppelmoral. Wie soll die Bundesrepublik auf die Machtverlagerung Richtung Osten reagieren?

Der DFB-Partner Volkswagen ist eng mit einem katarischen Staatsfonds verbunden und verkauft inzwischen jedes zweite seiner Autos in China. Der DFB-Ausstatter Adidas lässt in asiatischen Niedriglohnländern produzieren und kann in China fast mit dem Weltmarktführer Nike mithalten. Vorerst endet die WM-Profitmaschine am Sonntag im Lusail-Stadion, das von chinesischen Firmen gebaut wurde. Daher passt es symbolisch recht gut, dass die Arena auch auf einer katarischen Banknote abgebildet ist.

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