Werbung
  • Sport
  • Fußball-WM in Katar

Stell dir vor, es ist WM – und keiner schaut zu

Warum die Einschaltquoten beim Turnier in Katar weit unter den Werten vergangener Fußball-Weltmeisterschaften liegen

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Zuschauerinteresse am DFB-Team um Thomas Müller ist deutlich gesunken.
Das Zuschauerinteresse am DFB-Team um Thomas Müller ist deutlich gesunken.

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar befindet sich auf der Zielgeraden. Für diejenigen, die bis hierhin kein Spiel geschaut und auch sonst einen großen Bogen um das umstrittene Turnier gemacht haben, eine kleine Zusammenfassung: Für die deutsche Nationalmannschaft war schon nach der Vorrunde Schluss. Im Finale am Sonntag treffen die Argentinier in Lusail auf den amtierenden Weltmeister Frankreich. Einen Tag zuvor spielen das Überraschungsteam Marokko und Kroatien um den dritten Platz.

Auch wenn die WM fußballerisch durchaus etwas zu bieten hatte, haben deutlich weniger Menschen in Deutschland dabei zugeschaut als bei den vergangenen vier Weltmeisterschaften 2006 in Deutschland, 2010 in Südafrika, 2014 in Brasilien und zuletzt vor vier Jahren in Russland. Während bei den Vorrundenspielen mit deutscher Beteiligung in Russland immerhin mindestens 25 Millionen Menschen zugesehen hatten, waren es diesmal nur 9,23 Millionen beim 1:2 gegen Japan, 17,05 Millionen beim 1:1 gegen Spanien und 17,44 Millionen beim 4:2 gegen Costa Rica, die ARD oder ZDF einschalteten, wie die Sender bekannt gaben. Auch die Einschaltquoten der anderen Vorrundenspiele und der K.-o.-Phase liegen weit unter dem Niveau vorheriger Turniere. Die Telekom, die alle Spiele der WM in Katar bei MagentaTV überträgt, veröffentlicht keine Zahlen. Fakt ist, dass für viele aktive Fußballfans die WM ein Tabu war.

Somit bleibt das Finale der Frauen-Europameisterschaft das meistgesehene Fußballspiel in Deutschland im Jahr 2022. Als die DFB-Fußballerinnen im Sommer das Spiel gegen Gastgeber England mit 1:2 verloren, saßen fast 18 Millionen Menschen vor dem Fernseher. Während die WM in Katar durchgängig von Kritik am Gastgeber angesichts der Menschenrechtsverletzungen im Land begleitet wurde und Fanvereinigungen zum TV-Boykott aufriefen, bedeutete die Zuschauerzahl bei den Fußballerinnen einen TV-Rekord für ein Spiel der Frauen.

Für Andreas Rettig, den ehemaligen Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga, ist klar, wieso die Einschaltquoten bei der WM der Männer im Vergleich zu den vorherigen Turnieren niedriger ausfallen: »Alle negativen Begleiterscheinungen auf und neben dem Platz führen dazu, dass die TV-Quoten so desaströs sind.« Tatsächlich wollten viele Deutsche das Turnier von Anfang an nicht verfolgen, wie aus einer Statistik des Online-Befragungsunternehmens Civey im Auftrag des »Spiegels« Mitte November hervorging. 70 Prozent der Befragten gaben an, die WM-Spiele nicht live verfolgen zu wollen. Als Hauptgrund dafür wurde die Menschenrechtslage im Emirat angeführt.

Axel Balkausky, Koordinator des Sportprogramms bei der ARD, sieht verschiedene Gründe für den Rückgang der Einschaltquoten, wie er gegenüber »nd« sagt: »Zum einen waren es sicherlich die Debatten um das Ausrichterland Katar und das Verhalten der Fifa, zum anderen vielleicht auch die terminliche Verlagerung in die Vorweihnachtszeit oder die teils sehr frühen Anstoßzeiten.« Während es zu einer WM im deutschen Spätherbst keine vergleichbaren Erfahrungswerte gibt, scheinen die Anstoßzeiten, zumindest beim deutschen Team, keine große Rolle gespielt zu haben. Zwar gab es in Katar WM-Spiele, die bereits um 11 Uhr morgens angepfiffen wurden, das deutsche Team hatte aber mit einer Partie um 14 Uhr und zweien um 20 Uhr ähnliche Anstoßzeiten wie bei der WM in Russland 2018, als die Spiele um 17 Uhr, 20 Uhr und 16 Uhr starteten.

Dass die Zuschauerzahlen gesunken sind, überrascht Balkausky nicht. »Wir stellen in den letzten Jahren einen Rückgang der Zuschauerzahlen bei Länderspielen der deutschen Männer-Fußball-Nationalmannschaft fest«, sagt der 60-Jährige. »Die Leistungen und das Auftreten der DFB-Elf in letzter Zeit scheinen also auch eine wichtige Rolle für das Zuschauerinteresse zu spielen.« Mit dem Vorrundenaus bei der WM 2018, der Niederlage im Achtelfinale der EM 2021 und nun dem abermaligen Aus nach der Gruppenphase bei einer WM knüpft das deutsche Team längst nicht mehr an die Erfolge vergangener Tage an – 2006 und 2010 wurde das DFB-Team Dritter bei der WM, 2014 Weltmeister.

2024 bietet sich die nächste Gelegenheit, zurück zu alter Stärke zu finden, wenn das Eröffnungsspiel der Heim-Europameisterschaft in München angepfiffen wird. Bleibt das Turnier ohne größere Skandale und läuft es sportlich besser für das deutsche Team, schalten vielleicht auch wieder mehr Menschen den Fernseher ein, um live dabei zu sein.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.