»Das Einzige, was sich moralisch richtig anfühlt«

Verdächtigt, angeklagt, durchsucht: Drei Aktivist*innen der Letzten Generation erzählen von Ängsten, Glauben und Hoffnung

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 11 Min.
Den Protest in die Mitte der Gesellschaft tragen: Lea Bonasera (Mitte) und ihre Mitstreiter*innen der Letzten Generation bei einer Straßenblockade am Berliner Hauptbahnhof
Den Protest in die Mitte der Gesellschaft tragen: Lea Bonasera (Mitte) und ihre Mitstreiter*innen der Letzten Generation bei einer Straßenblockade am Berliner Hauptbahnhof

Am Mittwoch gab es bundesweite Razzien bei der Letzten Generation. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt Sie, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Wie geht es Ihnen damit, dass womöglich weitere Durchsuchungen und Überwachungen drohen?

Interview


Lea Bonasera (24) studierte Internationale Beziehungen in Amsterdam und Oxford und promoviert nun zu zivilem Ungehorsam in Berlin. 2021 war sie im Hungerstreik, um ein Gespräch mit Olaf Scholz (SPD) über den Klimanotstand durchzusetzen. Sie ist Mitbegründerin der Letzten Generation.
Carla Rochel (20) hat ein Politik- und Psychologiestudium in Heidelberg begonnen und sich Ende 2021 der Letzten Generation angeschlossen.
Lukas Popp (24) machte eine Ausbildung zum Schreiner und begann anschließend ein Maschinenbaustudium an der Technischen Universität in München. Er ist ebenfalls seit Ende 2021 bei der Letzten Generation.

Carla Rochel: Man versucht, uns einzuschüchtern. Das ist natürlich beängstigend. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Freunde und Familienmitglieder, mit denen wir zusammen wohnen. Der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung ist haltlos. Wir stehen alle mit Namen und Gesicht zu unserem friedlichen Widerstand. Durchwühlte Kleiderschränke und beschlagnahmte Laptops werden uns nicht davon abhalten, weiter auf das kriminelle Versagen der Regierung hinzuweisen. Außerdem möchte ich bei diesem Thema gern auf den UN-Generalsekretär Antonio Guterres verweisen, der sagte: »Klimaaktivisten werden manchmal dargestellt als gefährliche Radikale, aber die wahrlich Radikalen sind Länder, welche die Produktion von fossilen Brennstoffen steigern.«

Ihre Gruppe ist jetzt eineinhalb Jahre alt, seit elf Monaten blockieren Sie regelmäßig Autobahnen. Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

Rochel: Ich habe letzten Winter mein Studium abgebrochen. Das war für mich schon ein großer Schritt. Es fühlte sich einfach unfassbar falsch an, in der Uni zu sitzen und weiter so zu tun, als wäre mein Abschluss noch irgendwas wert. Aber natürlich gibt man damit auch persönliche Träume auf, Träume, die meine Eltern für mich hatten. Das war schon hart. Einen normalen Alltag habe ich gerade nicht. Ich mache viel Pressearbeit, nehme an Aktionen teil und wir haben etliche Meetings jeden Tag.

Lukas Popp: Ich habe im Sommer beschlossen, mein Studium erst mal nicht weiterzuführen, auch aus dieser Not gegenüber der Klimakrise heraus. Ich finde es verrückt, dass wir in dieser Situation angekommen sind. Aber ich fühle mich besser als im Studium, wo du denkst, warum sitze ich hier eigentlich? Das ergibt keinen Sinn.

Ihre Forderungen haben sich in diesem Jahr mehrfach verändert. Anfangs wollten Sie ein Essen-retten-Gesetz, dann den Ausstieg aus der Gasinfrastruktur, aktuell ein Tempolimit und ein 9-Euro-Ticket. Nichts davon wurde umgesetzt. Warum haben Sie trotzdem die Themen gewechselt?

Lea Bonasera: Die Umsetzung der einzelnen Forderungen würde die Klimakrise ja nicht lösen. Dahinter steht eine größere Vision: Wir brauchen eine Veränderung in allen Sektoren und in unserer Demokratie. Aber wir sind nicht der Akteur, der das aushandelt. Wir achten die Institutionen, die das umsetzen können. Sehr wichtig ist uns, Bürger*innenräte zu beteiligen.

Also sind die jeweiligen Forderungen ein Symbol für das große Ganze?

Rochel: Ich würde sie als erste Babyschritte bezeichnen. Bei der Klimakatastrophe ist ein großes Problem, dass sie so riesig erscheint, dass es einem einfach den Boden unter den Füßen wegzieht. Und diese ersten Schritte sind eben ganz konkrete Dinge, die man jetzt einfach mal angehen kann und die den Weg für mehr Veränderungen bereiten können.

Auch Ihre Aktionen haben sich verändert: Die Autobahnblockaden ziehen sich durch, im Frühjahr gab es mal ein paar Pipeline-Aktionen, neu sind die Kunstaktionen in Museen. Das Pipeline abzudrehen haben Sie als wenig erfolgreich verworfen. Dabei waren es die einzigen Aktionen, die einen direkten Bezug zu den Forderungen hatten, während das bei Kartoffelbrei auf einem Monet-Gemälde weniger einleuchtend ist.

Rochel: Uns wird immer wieder vorgeworfen: Warum stört ihr die normalen Leute? Geht doch zu den Konzernen. Aber wir haben gesehen: Die Pipeline-Aktionen hat fast niemand mitbekommen. Wir würden uns alle wünschen, dass das funktioniert. Es wäre ja viel schöner, wenn wir einfach nur vor den Konzernen stehen müssten und damit einen politischen Wandel erzeugen könnten. Aber wir müssen diesen Protest in die Mitte der Gesellschaft tragen. Niemand kann sagen: Ich habe mit der Klimakatastrophe nichts zu tun.

Sie haben in diesem Jahr schon einige Shitstorms hinter sich, vor allem nachdem im November eine Radfahrerin gestorben ist. Wie gehen Sie damit um?

Rochel: Die Woche nach dem Radunfall war für uns alle sehr heftig. Ohne jegliche Fakten wurde uns von den Medien die Schuld gegeben. Es wurde als Chance betrachtet, unseren legitimen Protest durch den Dreck zu ziehen. Mich hat es fassungslos gemacht, dass sich dieses Mediensystem da komplett gegen uns gewendet hat.

Popp: Unfälle und Todesfälle sind immer schrecklich. Wir machen alles, damit unsere Blockaden sicher sind. Der Fall ist mittlerweile hinreichend diskutiert und aufgeklärt worden. Ich finde es immer noch unglaublich, wie schnell uns die Schuld zugeschrieben wurde. Das hat die Verlogenheit in gewissen politischen Debatten und Redaktionen gezeigt.

Was macht das mit Ihnen und dem Einsatz für Ihr Anliegen?

Rochel: Mir hat es viel Vertrauen in unsere Politik geraubt. Als Jugendliche habe ich unserer Demokratie vertraut. Ich habe das immer als ein riesengroßes Geschenk verstanden, dass ich in einem Land lebe, in dem wir so viele Freiheiten haben. Und jetzt gerade sehen wir zu, wie unsere eigene Regierung diese Demokratie aufs Spiel setzt. Die Klimakrise ist ja kein spannendes Problem, es ist ja eigentlich sehr einfach: Wir hauen zu viel CO2 in die Luft und missachten die Natur. Und das ist seit Jahrzehnten klar. Ich bin noch nicht hoffnungslos, aber es ist manchmal schon schwer auszuhalten.

Bonasera: Mich macht es auch wütend. Dass die Regierenden uns dazu bringen, in einer Zeit, in der wir studieren oder eine Ausbildung machen sollten, alles aufs Spiel zu setzen. Dass sie nicht mal mit uns reden wollen und Menschen einsperren, die friedlich demonstrieren. Der Schlüssel ist, diese Wut nicht überschlagen zu lassen, sich nicht ohnmächtig zu fühlen, sondern die Wut in Protest zu bringen.

Frau Rochel, Sie waren kürzlich in der Talkshow von Markus Lanz. Er sagte Ihnen, dass die Menschen sich an die Klimakrise anpassen sollen, und hat die Wissenschaft in Frage gestellt. Ist es Ihnen schwer gefallen, da ruhig zu bleiben?

Rochel: Natürlich war die Situation komplett absurd. Aber das Problem von Markus Lanz haben ja viele Menschen: dass sie denken, ab und zu gibt es mal Flut, in anderen Ländern hungern die Menschen, aber sonst betrifft uns das ja eigentlich nicht. Mich macht das wütend, mich macht das fassungslos. Aber vor allen Dingen frage ich mich, was es noch braucht, damit sie das endlich begreifen.

Sie haben auch schon vor den jüngsten Razzien viele Repressionen erfahren. Laufen gegen Sie aktuell Gerichtsverfahren und wie geht es Ihnen damit?

Rochel: Bei mir stehen zwei Gerichtsverfahren an und ich habe wirklich Angst davor. Gleichzeitig ist da so eine Wut, weil die Justiz es nicht schafft, Sachen zu schützen, bevor sie kaputt sind. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar geurteilt, dass das Klimaschutzpaket verfassungswidrig ist. Aber seitdem ist nichts passiert. Ich würde mir wünschen, dass die Richter und Richterinnen den Mut haben, zu entscheiden, was jetzt gerade richtig und falsch ist.

Bonasera: Ich habe 20 oder 30 offene Verfahren. Mir macht es Angst, dass das mein letztes gespartes Geld kosten könnte und ich nicht weiß, inwieweit das mein Leben beeinflussen wird. Ich wollte eigentlich Professorin werden. Die Gerichte hinken oft hinterher, treffen nicht die mutigsten Entscheidungen, sondern verteidigen das System.

Popp: Ich hatte vergangene Woche meinen ersten Gerichtstermin mit Gregor Gysi als Verteidiger. Es war ziemlich emotional für mich. Mir wurde bewusst, wie unverantwortlich wir mit unserer Umwelt und unserem Leben umgehen. Es hat mich viel, viel Energie gekostet, die paar Zeilen, die ich vorbereitet hatte, vor Gericht vorzutragen. Es kam aber keine Diskussion darüber zustande. Wie kann man sich anhören, dass Menschen aus Verzweiflung aktiv werden, und gar nicht darauf reagieren? Dass Jurist*innen, die geschworen haben, unsere Gesellschaft und unsere Demokratie zu schützen, diese Verantwortung nicht wahrnehmen, das tat mir weh und hat mich erschüttert. Ich wurde verurteilt, aber wir werden in Berufung gehen. Herr Gysi ist überzeugt, dass er bis zum Bundesverfassungsgericht geht.

Sie appellieren immer wieder an die Kirchen, Sie zu unterstützen und haben bereits Pater Jörg Alt und Teile der evangelischen Kirche auf Ihrer Seite. Spielt denn Glaube für Ihren Aktivismus eine Rolle?

Bonasera: Ich bin nicht gläubig. Aber für mich ist die Kirche ein Akteur, der sich in Wertedebatten einbringt. 1989/1990 war sie ein entscheidender Faktor für die sogenannte Wende. Unglaublich viele Menschen sind Teil dieser Institution und könnten mobilisiert werden. Und gerade jetzt zur Weihnachtszeit, wenn Aktivistinnen und Aktivisten im Gefängnis sitzen, sollte die Kirche dafür eintreten, dass die Menschen nach Hause gehen und zusammen Weihnachten feiern können.

Rochel: Ich bin gläubig. Ich bin in der evangelischen Kirche und war da in meiner Jugend sehr aktiv. Es ist ein Ort, aus dem ich Hoffnung und Vertrauen schöpfe. Kirche hat für mich auch etwas mit Frieden zu tun. Aber ich bin enttäuscht davon, dass viele aus der Kirche nicht den Mut hatten, sich mit diesen aktuellen Debatten auseinanderzusetzen. Es muss klar sein, dass es in einer drei bis vier Grad heißeren Welt keinen Frieden mehr gibt.

Popp: Ich bin auch gläubig und in der evangelischen Kirche aufgewachsen, mein Vater ist Pfarrer. Ich glaube auch an die Werte, die die Kirche vertritt, an die Gemeinschaft aller Menschen, den Erhalt der Schöpfung. Diese Werte zu leben, sie konsequent umzusetzen, das ist etwas sehr Christliches.

Sie sagen oft, dass Sie am liebsten niemanden mit einer Blockade stören wollen, dass Sie Ihr Leben lieber mit dem Studium oder normalen Hobbys verbringen wollen. Und dass Sie das nicht tun, weil Sie überzeugt sind, dass der Protest etwas bewirken kann. Bislang ignoriert die Politik Ihre Forderungen aber. Wenn sich das in den zwei Jahren, die Sie als Zeitfenster nennen, nicht ändert: Was machen Sie dann?

Bonasera: Ich habe so viele Gedanken dazu. Eine innere Zerrissenheit in mir selbst. Ich empfinde auch Trauer, denn ich wollte eigentlich immer früh Mutter werden. Ich denke gerade viel darüber nach und merke, das geht halt gerade einfach nicht. Trotzdem glaube ich, dass das, was wir machen, auf gar keinen Fall umsonst ist.

Popp: Ich ziehe meinen Mut und auch viel Energie daraus, dass immer mehr Menschen erkennen: Wir haben ein riesiges Problem, und es reicht nicht, alle vier Jahre wählen oder mal kurz auf eine Demo zu gehen. Dass sich viele fragen: Was kann ich tun? Und wir laden jeden und jede ein, an die eigenen Grenzen zu gehen. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Möglichkeit habe, viele andere haben das nicht. Deswegen sehe ich es als mein Privileg und meine Aufgabe, das zu tun.

Rochel: Die Kinder, die jetzt aufwachsen, werden keine Chance mehr haben, etwas zu ändern. Wir haben aber jetzt die Möglichkeit dazu. Ich wünsche mir, dass sich jeder und jede die Frage stellt: Was mache ich in den nächsten zwei bis drei Jahren, damit ich mir in 20 Jahren guten Gewissens in die Augen schauen und sagen kann: Ich habe es wenigstens versucht. Natürlich wissen wir nicht, ob es funktioniert. Aber für mich ist es das Einzige, was sich moralisch richtig anfühlt. Es fühlt sich so absurd an, dass wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir als Gesellschaft überleben.

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