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Kernfusion mit positiver Energiebilanz
Das erfolgreiche Experiment in den USA zeigt: Es geht. Doch für ein Kraftwerk taugt das Konzept nicht
Das Medienecho war überwältigend. Als am Dienstag Wissenschaftler des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL), unweit der Bucht von San Francisco, bekanntgaben, sie hätten erstmals bei einer kontrollierten Kernfusion 50 Prozent mehr Energie erzeugt, als sie zur Zündung eingesetzt hätten, ging das durch alle Zeitungen und Nachrichtensendungen. Und in der Tat ist das nach Jahrzehnten der Fusionsforschung ein großer Erfolg. Doch wenn die deutsche Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in ihrer Erklärung schreibt, das sei »ein historischer Tag für die Energieversorgung der Zukunft«, dann ist das zumindest voreilig.
Betrachten wir die Fakten: Am LLNL des US-Energieministeriums wurde von 1997 bis 2009 die sogenannte National Ignition Facility (NIF) in Betrieb genommen, Kostenpunkt 3,5 Milliarden Dollar. 192 Hochleistungslaser können dort mit jedem Schuss etwa zwei Megajoule Energie auf ein millimetergroßes Ziel abfeuern. Dieses ist ein kleiner Goldzylinder, in dem sich ein mit 200 Millionstel Gramm der beiden schweren Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium gefülltes, hohles Kügelchen von der Größe eines Pfefferkorns befindet. Der Beschuss mit den Lasern bringt das Gold dazu, Gammastrahlen auszusenden. Die massive Strahlung heizt die Kugel so auf, dass deren Hülle explodiert. Diese Explosion drückt die gefrorenen Wasserstoffatome blitzartig zusammen und heizt sie auf. Bei Drücken von 500 Milliarden Atmosphären und Temperaturen von etwa 140 Millionen Grad verschmelzen die Atomkerne. Dabei entstehen Alphastrahlen (Heliumionen), und Neutronen werden frei. Die Energie der ersten entstehenden Alphastrahlen und Neutronen heizt den Rest des Deuterium-Tritium-Pellets so weit auf, dass die Kernfusionsreaktion nach der Zündung von allein weiterläuft, bis alle Kerne verschmolzen sind. Laut den Berichten auf der Pressekonferenz stand im jüngsten Versuch der Laserenergie von 2,05 Megajoule (knapp 0,6 kWh) eine Fusionsenergie von 3,15 Megajoule gegenüber. Damit war bewiesen, dass das bereits in den 60er Jahren von den sowjetischen Laserphysikern Nikolai G. Bassow (Nobelpreis 1964) und Oleg N. Krochin vorgeschlagene Konzept funktioniert.
So weit, so erfolgreich. Doch die bei der Pressekonferenz dargestellte Energiebilanz ist nur die halbe Wahrheit. Denn die genannten 2,05 Megajoule beziffern die Energie der Laser. Doch die verbrauchen dafür selbst mehrere Hundert Megajoule an Energie. Als Kraftwerk wäre die Anlage also dennoch ein Verlustgeschäft. Anders als der in Frankreich im Bau befindliche internationale Versuchsreaktor Iter wurde die NIF nicht als Versuchsanlage zur Energieerzeugung durch Kernfusion konzipiert. Der Zweck lag im militärischen Bereich. Nach dem Ende der unterirdischen Atombombenversuche benötigten die USA eine Möglichkeit jenseits bloßer Computermodelle, um die Funktionsfähigkeit ihrer Wasserstoffbomben zu prüfen und sie möglicherweise auch zu modernisieren. Zu dem gleichen Zweck betreibt Frankreich eine ähnliche Anlage, über deren Forschung aber recht wenig bekannt ist. Und so lobte die US-Energieministerin Jennifer Granholm – das Ministerium ist auch für die Atomwaffenentwicklung und -produktion zuständig –, dass die Forschung der NIF »hilft, die komplexesten und drängendsten Probleme der Menschheit zu lösen wie die Bereitstellung sauberer Energie zur Bekämpfung des Klimawandels und die Aufrechterhaltung einer nuklearen Abschreckung ohne Atomtests«. Ob das letztere eines der drängendsten Probleme der Menschheit ist, darf man bezweifeln, eine der Hauptaufgaben der Forschung am NIF allerdings ist es sicher.
Und wie steht es mit dem Beitrag zur Energieversorgung? Derzeit dauert es mehr als einen Tag, die Kapsel mit dem Deuterium-Tritium-Pellet in der NIF zu justieren. Um eine kraftwerkstaugliche kontinuierliche Leistung zu bringen, müssten aber zehnmal pro Sekunde solche Pellets gezündet werden, sagt Sybille Günter, Direktorin am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Und Klaus Hesch vom Karlsruher Institut für Technologie ergänzt: »Selbstverständlich hat man damit noch kein Kraftwerk. Die Systeme zur Tritium-Erzeugung ›in situ‹ sowie zur kontrollierten Abfuhr der Fusionsenergie, damit diese dann in konventionellen Systemen in Elektrizität umgewandelt werden kann, sind meines Wissens für die Trägheitsfusion weniger weit entwickelt als für die Magnetfusion.«
Und beide Systeme haben ein weiteres Problem: Wasserstoff an sich ist eine unerschöpfliche Ressource. Doch beim unentbehrlichen schweren Isotop Tritium sieht es anders aus. Bei allen bisherigen Nutzungen kommt es entweder aus Nebenprodukten von Schwerwasserkernspaltungsreaktoren oder wird durch Neutronenbeschuss aus Lithium erzeugt. Bei den Reaktoren ist die Isolierung des Tritiums sehr aufwendig, und beim Lithium stünde die Kernfusion in Konkurrenz zur schnell wachsenden Batterieindustrie. Laut Schätzungen der Iter-Verantwortlichen wären für 10 000 Fusionskraftwerke mit je einem Gigawatt Stromerzeugung jährlich rund 5000 Tonnen Lithium-6 nötig. Die gesamte Weltproduktion an Lithium lag im Jahr 2021 bei etwa 96 000 Tonnen, und das Isotop Lithium-6 macht nur 7,4 Prozent davon aus. So interessant und lehrreich das Ergebnis aus Kalifornien also für die Grundlagenforschung in der Physik ist – für die Sicherung unseres aktuellen Klimas kommen Kernfusionskraftwerke wohl zu spät.
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