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  • Reservekraftwerk Thyrow

Strom und Gas für den Notfall

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) besucht das Reservekraftwerk Thyrow

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf den Feldern und Wiesen liegt Schnee. Es knirscht unter den Füßen. Die Temperatur liegt einige Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt. Der Atem dampft. Gegen 15 Uhr rollen am Freitag zwei schwarze Limousinen auf das weitläufige Gelände am Umspannwerk 4. Es befindet sich südlich von Berlin im Tarifbereich C der Hauptstadt, gehört also noch zum Umland der Metropole. Doch es beginnt schon das ausgesprochen ländliche Brandenburg mit wenigen kleinen Ortschaften, einem freien Blick auf die Natur und Busverbindungen, die ausschließlich auf den Schulunterricht ausgerichtet sind. Wer zu anderen Zeiten irgendwo hin will, hat besser ein Auto.

In einer der schwarzen Limousinen wird Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) chauffiert, in der anderen sitzen ihre Personenschützer. Die Politikerin steigt aus und bekommt von Thorsten Kramer, dem Vorstandsvorsitzenden der Lausitzer Energie AG (Leag), einen Blumenstrauß überreicht. Weil es nicht gleich ins Warme geht, sondern erst einmal zu den Gasturbinen, holt sich Baerbock noch Handschuhe aus dem Auto.

Die Gasturbinen von Thyrow und Ahrensfelde
  • Die Gasturbinen für Thyrow lieferte Ende der 1980er Jahre das französische Unternehmen Alstom in die DDR.
  • Die einzelnen Gasturbinen haben eine elektrische Leistung von jeweils 37,5 Megawatt, zusammen bringen sie es auf rund 188 Megawatt.
  • Gestartet werden können die Turbinen ohne Strom über Diesel-Notstromaggregate. Sie verfügen über Anschleppmotoren und sind so für Notfälle ideal.
  • Als Brennstoff für die Turbinen kann Erdgas oder Heizöl verwendet werden.
  • Der Gasspeicher auf dem Gelände fasst 480 000 Norm-Kubikmeter Gas.
  • Das Reservekraftwerk Ahrensfelde verfügt über vier Gasturbinen aus den Jahren 1990 und 1991 mit je 37,5 Megawatt Leistung. Diese können ausschließlich mit Erdgas als Brennstoff genutzt werden. Der Speicher dort fasst 360 000 Norm-Kubikmeter. af

Acht solcher Gasturbinen eines französischen Herstellers sind hier zwischen 1987 und 1989 aufgestellt worden. Das Gaskraftwerk Thyrow sollte in Spitzenbelastungszeiten zusätzlichen Strom erzeugen, wenn die Energie aus den Kohlekraftwerken in der Lausitz nicht ausreichte. Der Name ist aus heutiger Sicht ein wenig irreführend. Thyrow liegt rund viereinhalb Kilometer westlich, und auf etwa halber Strecke gibt es noch ein anderes Dorf. Das Kraftwerksgelände gehört dagegen zur Stadt Zossen, deren Ortskern allerdings 14 Kilometer entfernt ist. Zu DDR-Zeiten erfolgten solche verwirrenden Namensgebungen oft aus einem Sicherheitsdenken heraus. Feindliche Truppen sollten über die genaue Lage wichtiger Infrastruktur getäuscht werden.

Ähnliche Überlegungen spielen heute wieder eine Rolle: Außenministerin Baerbock erwähnt empört russische Raketenangriffe auf die ukrainische Energieversorgung und meint, dass die Bundesrepublik gewappnet sein müsse. Die Frage der Energiesicherheit sei eine geopolitische Frage geworden.

Das Gaskraftwerk Thyrow ist insofern ein Beitrag zur Verteidigungsbereitschaft. Denn selbst für Spitzenlasten wurden die acht Gasturbinen zuletzt schon jahrelang nicht mehr gebraucht. 2015 sollte die Anlage abgemeldet werden. Doch die Bundesnetzagentur verfügte, dass fünf Stück als Reservekraftwerk für Engpässe bei der Stromversorgung erhalten bleiben sollen. 2016 übernahm die von der tschechischen Energie- und Industrieholding (EPH) extra ins Leben gerufene Leag die Tagebaue und Kraftwerke in der Lausitz vom schwedischen Staatskonzern Vattenfall und in diesem Zuge auch zwei Reservekraftwerke im Berliner Umland: Thyrow und Ahrensfelde.

In Thyrow hängt an der Außenwand der Leitstelle eine Hinweistafel, seit wie vielen Tagen die Betriebsstätte unfallfrei sei. Aber das wird nicht mehr angezeigt. Die Leag hat sowieso nur noch einen Beschäftigten vor Ort. Ansonsten wird das Reservekraftwerk vom 136 Kilometer entfernt an der Landesgrenze zu Sachsen liegenden Standort Schwarze Pumpe ferngesteuert.

Nur 30 bis 40 Stunden im Jahr laufen die Gasturbinen, erläutert Oliver Stenzel, der bei der Leag dafür zuständig ist. Die Turbinen laufen dann nicht etwa, weil der Strom dringend gebraucht würde. Dieser Fall ist seit 2015 noch nie eingetreten. Es wird nur regelmäßig überprüft, ob die Turbinen weiterhin gut in Schuss sind und einwandfrei funktionieren. Lediglich daraus ergeben sich die 30 bis 40 Stunden Betriebszeit jährlich.

30 Minuten bespricht sich Baerbock mit den Fachleuten von der Leag und mit Klaus Müller, dem Präsidenten der Bundesnetzagentur, über die Vorsorge für mögliche Krisen und über die Stabilität der Stromnetze. Journalisten warten derweil neben dem Flachbau in einem Zelt mit Heizpilzen, Kaffee, Tee und Keksen. Als Baerbock wieder ins Freie und vor die Kameras und Mikrofone tritt, hat sie »eine wirklich gute Nachricht in diesen unruhigen Zeiten«, so ihre Botschaft. »Die Stromversorgung ist gut abgesichert.« Darüber hinaus habe Brandenburg für den Notfall auch noch die zwei Reservekraftwerke in Thyrow und Ahrensfelde. Das Bundesland sei »gut aufgestellt«, meint Baerbock. Ihr Bundestagswahlkreis ist um die Ecke.

Netzagentur-Präsident Müller richtet den Blick auf die gesamte Republik. »Die deutsche Stromversorgung ist sehr sicher. Es gibt im System viele Reserven, und die Netzbetreiber können auch schwierige Situationen beherrschen«, beteuert er. »Wir halten unkontrollierte und großflächige Stromausfälle in diesem Winter für sehr unwahrscheinlich.« Auch die deutschen Gasspeicher sind, wie Müller betont, »trotz der letzten kalten Tage gut gefüllt«.

Dieses Jahr begann die Heizperiode früher als sonst, was für Beunruhigung sorgte. Dann folgte eine milde Phase, die die Situation entspannte. Nun sorgen die Minusgrade wieder für einen höheren Energieverbrauch. Die Einsparziele sind scheinbar nicht zu erreichen. Kurz vor Weihnachten noch einmal appellieren, die Heizungen weiter herunterzudrehen und bei noch gedämpfterem Licht in der Stube zu sitzen, will Ministerin Baerbock aber ganz und gar nicht. Die Bürger hätten da bereits Bemerkenswertes geleistet. »Es braucht überhaupt keine mahnenden Worte, sondern ein großen Dankeschön«, versichert sie auf Nachfrage.

»Es war für viele Menschen ein schweres Jahr«, sagt die Politikerin mit Blick auf die Kostenexplosion. »Für die Menschen in der Ukraine ein furchtbares Jahr«, fügt sie hinzu. Dort herrscht seit 24. Februar Krieg. Und dort explodieren nicht nur die Preise, sondern Granaten.

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