• Berlin
  • Holocaustleugner Horst Mahler

Der letzte Tanz des Terroristen

Das Landgericht Potsdam verhandelt gegen den Holocaustleugner Horst Mahler

  • Michael Zantke
  • Lesedauer: 4 Min.

Der frühere RAF-Terrorist und spätere Neonazi Horst Mahler muss sich in Potsdam wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung vor Gericht verantworten. Er nutzt das Verfahren als letzte Bühne zur Verbreitung seiner gefährlichen Weltanschauung.

Am Freitag beim vierten Prozesstermin hat das Landgericht Potsdam den Antrag Mahlers auf Einstellung des Verfahrens zurückgewiesen. Mahler, von Beruf Anwalt, hatte sich über vermeintlich eklatante Rechtsverstöße beschwert. Gegen ihn wurden für den Zeitraum 2013 bis 2017 insgesamt sechs Anklagen erhoben. Dabei geht es um antisemitische Schriften, die er zum Teil im Gefängnis verfasst haben soll.

Mahler stützt seine Verteidigung unter anderem auf die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde, sowie Meinungs- und Religionsfreiheit. Rechte, die im Rahmen des Verfahrens verletzt worden seien. Mahler hatte mehrfach unterstrichen, dass er der Vorsitzenden Richterin sowie auch dem Bundesverfassungsgericht jegliche gerichtliche Würde abspricht. Seiner Meinung nach werden die deutschen Staatsorgane von »Antisemitismus-Beauftragten« kontrolliert. Mahler unterstellte der Richterin, »im Bunde mit Satan« zu stehen.

Angeklagter nutzt Gerichtssaal als Bühne

Tatsächlich geht es ihm wohl kaum um die Einstellung des Verfahrens. Er möchte den Gerichtssaal ganz offensichtlich als Bühne nutzen. Einige der ihm zur Last gelegten Schriften wurden per E-Mail gezielt an staatliche und nichtstaatliche Organisationen verschickt. Der Angeklagte sucht auch vor Gericht gezielt die Grenzüberschreitung. Ihm wurde schon angedroht, das Wort zu entziehen. Die Staatsanwaltschaft wollte so verhindern, dass er weitere volksverhetzende Äußerungen macht und damit weitere Straftaten begeht. Mahler hat dies allem Anschein nach einkalkuliert.

Es scheint ein letzter großer Tanz des Terror-Rentners auf der Bühne der Öffentlichkeit zu sein. Zwar sitzt er mittlerweile im Rollstuhl und nach einer Stunde intensiver Monologe wird seine Stimme kurzatmig. Dennoch fühlt man sich an die Selbstinszenierung der RAF vor Gericht erinnert: Andreas Baader, der im Kaufhausbrand-Prozess Zigarre raucht, der Showdown im Gefängnis in Stammheim. An all dem hatte Mahler seinerzeit nicht direkt teilhaben können. Seit 1970 saß er für zehn Jahre wegen Bankraubs und Gefangenenbefreiung in Haft. 1974 wurde er aus der RAF verstoßen.

Es ist nur die Haltung des Angeklagten gegenüber dem Gericht, die an die Prozesse gegen die RAF erinnern lässt. Die Inhalte seiner Agitation haben sich seit den 1970ern fundamental verschoben. Mahler möchte die Öffentlichkeit über »satanischen Verse des Mosaismus« aufklären. Er fordert eine »Beendigung der Fremdherrschaft der Judenheit«. Er nutzt sein Recht auf Gehör für ausufernde Exkurse zur deutschen idealistischen Philosophie. Vor allem Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist zentraler Gegenstand des Verfahrens. Nach weitläufigen Einblicken in den Hegel’schen Gottesbegriff versucht Mahler den Zuhörern zu verdeutlichen, dass sie all das nicht verstehen könnten, da sie ja im jüdischen Geist gefangen seien. Deshalb hatte er die Hinzuziehung eines Sachverständigen für die Philosophie Hegels gefordert. Auch dieser Antrag wurde abgewiesen.

Der zuständige Notfallsanitäter bekundet in einer Verhandlungspause, dass ihm »öfter mal die Augen zufallen«. Richterin und Schöffinnen zeigen sich sehr bemüht, aufmerksam zu wirken. Sie können ihre Enerviertheit besser kaschieren als der Staatsanwalt. Mahler lauscht und lauert auf jeden Fassungsverlust, jedes Seufzen der Staatsorgane – vor allem des Staatsanwalts – und kommentiert dies zielgerichtet. Mahlers Strafverteidiger betont immer wieder, den Ausführungen seines Mandanten nicht folgen zu können, womit die Forderung nach Expertenbeistand unterstrichen werden soll.

Antisemitismus und Quantentheorie

Wer bei Hegel noch nicht ausgestiegen ist, dem werden Formulierungen des Physikers Max Planck um die Ohren gehauen. Mahler bemüht sich in wenigen Sätzen um eine Herleitung des Hegel’schen Gottesbegriffs aus der Quantentheorie. Die »satanischen Verse des Mosaismus«, der jüdische Gott »Jahwe« als »Satan«, das Judentum als Gegenspieler des deutschen idealistischen Geistes. Hier zeigen sich die Kernelemente von Mahlers antisemitischer Weltanschauung. Hegel und Sachverständige sollen den philosophischen Gehalt der inkriminierten Schriften Mahlers verteidigen. Es werden Talmud-Verse und überlieferte Aussagen mittelalterlicher Rabbiner zitiert, welche den angeblich »satanischen« und »menschenverachtenden« Gehalt des Judentums verdeutlichen sollen.

Der 86-jährige Horst Mahler sucht krampfhaft nach allen greifbaren Kronzeugen für eine Konstante in seinem wechselhaften politischen Werdegang. Er zitiert jüdische Antizionisten wie den Jazzmusiker Gilad Atzmon und den polnischen Chemiker Israel Shahak. Es ist der Glaube an eine jüdische Weltverschwörung, der Mahlers Lebensphasen verbindet.

Seine Eltern waren überzeugte Nazis. Sein Vater erschoss sich kurz nach der Verkündung des Grundgesetzes. Mahler trat einer schlagenden Burschenschaft bei, bevor er Mitglied des sozialistischen Studentenbundes SDS wurde. Er forcierte ab 1970 die Verbindung der RAF mit dem antizionistischen Kampf im Nahen Osten. Schließlich avancierte er in der rechten Szene zum vermeintlichen Talmud-Esoteriker.

Mahler möchte nun offenbar seinen Seelenfrieden finden und gibt keine Ruhe. Dabei hatte ihm die Justiz wegen seines Gesundheitszustands zwischenzeitlich schon einmal Haftverschonung gewährt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.