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Ein Feind namens Institution

Bühne frei für Betriebliches: Am Berliner Maxim-Gorki-Theater feierte Sivan Ben Yishais »Bühnenbeschimpfung« Premiere

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
»Bühnenbeschimpfung« beginnt vielsagend mit der Applausordnung, die einiges über die Dynamik im Ensemble verrät.
»Bühnenbeschimpfung« beginnt vielsagend mit der Applausordnung, die einiges über die Dynamik im Ensemble verrät.

Der Applaus erfolgt bei dieser Uraufführung schon zu Beginn. Das Ensemble stürzt in glitzernden Outfits auf die Bühne und karikiert verschiedene Stile der Verbeugung: Die Rampensau breitet die Arme weit aus; der Charakterdarsteller zeigt sich vom eigenen Spiel völlig ergriffen; die Nebenrolle huscht kurz an die Rampe; der Star schubst gönnerhaft seine Kollegin vor und drückt ihren Nacken hinunter. Diese Applausordnung erzählt viel über die Persönlichkeiten von Künstlern und die Dynamiken in Ensembles. Und sie stellt klar, dass es an diesem Abend um nichts anderes als das Theater selbst gehen wird, womit nicht die Kunst gemeint ist, sondern ihre Ausübung und deren Bedingungen. Im Fokus steht das Theater als »Institution«.

Der Begriff fällt oft in Sivan Ben Yishais Text »Bühnenbeschimpfung (Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?)«. Der Titel wie auch einige Anleihen nehmen deutlich Bezug auf Peter Handkes legendäre »Publikumsbeschimpfung«. Vor 56 Jahren brachte Claus Peymann das Stück am Theater am Turm in Frankfurt am Main zur Uraufführung. Man kann sich den letzten Teil einer Aufzeichnung auf Youtube ansehen. Da treten vier Schauspieler in Kontakt mit den Zuschauern, sprechen sie direkt an, nutzen die Beleidigung, um eine unmittelbare Kommunikation ins Werk zu setzen, um einen öffentlichen Raum neu zu ordnen.

Während Handke also eine ästhetische Agenda verfolgte, geht es Ben Yishai um Betriebliches. Regisseur Sebastian Nübling inszeniert den ersten Teil als unterhaltsame Nummernrevue. Mehmet Yılmaz klagt vom Leid eines freien Schauspielers, der an allen Fronten zugleich kämpft: gegen das Kontolimit, gegen Rollenklischees und gegen Nichtbeachtung. Lindy Larsson staucht als eitler Fatzke den Souffleur zusammen. Aysima Ergün findet sich plötzlich völlig alleingelassen auf der Bühne und verzweifelt am Fehlen jedes Spielanlasses.

Und dann schildert Vidina Popov den Versuch einer Schauspielerin, die Machtverhältnisse am eigenen Theater zu verändern. Doch sie wird stillschweigend in die Schranken gewiesen, kämpft mit Existenzängsten, weil sie befürchtet, ihren Job zu verlieren, gibt schließlich klein bei und buhlt um die Gunst der Intendantin. Dieser Teil kommt einer Thematisierung des jüngsten Skandals am Maxim-Gorki-Theater noch am nächsten. Der künstlerischen Leiterin Shermin Langhoff wurde von verschiedener Seite ein cholerischer Führungsstil nachgesagt.

Das vor der Uraufführung kursierende Gerücht, »Bühnenbeschimpfung« sei eine Art Aufarbeitung der Affäre, erweist sich indes als falsch. Nichts- und dabei vielsagend erklärt sich der Text zu dieser Enttäuschung: »Wir können nicht gewinnen. Wir sind nicht naiv. Wir wissen: Die Institution wird uns nicht retten.« Ben Yishai lässt damit zumindest die Fantasie zu, dass die Leitung des Hauses eine Verhandlung des Skandals verhindert hat, bleibt dabei jedoch zugleich in der Deckung. Auch die Schauspieler sind, selbst wenn sie scheinbar ganz privat ihren Unmut über den Betrieb äußern, bestens geschützt dadurch, dass sie betonen, lediglich dem Skript zu folgen, einem Skript, dem sie im Übrigen gar nicht zustimmen würden.

Wann immer es heikel werden könnte, wird Kritik ironisch gebrochen oder auf abstrakte Ebenen wie die der Institution verschoben. Man könnte das clever oder wahlweise auch feige nennen, wenn es nicht in erster Linie so belanglos wäre. Denn warum soll sich das Publikum überhaupt für all diese internen Querelen interessieren? Ein Bäcker, Klempner oder Steuerberater thematisiert in Kontakt mit seinen Kunden ja auch nicht ständig persönliche Probleme.

Auch Sebastian Nübling weiß das, weshalb im zweiten Teil des Abends dann das Publikum zum Sprechen aufgefordert wird. Einzelne Zuschauer sind eingeladen, Teile des Textes zu lesen. Freilich erweisen sie sich später als Akteure des Jugendclubs. Nicht mal dieser vermeintlich spontane Kontakt darf hier also unkalkulierbar sein. Danach stellt das Ensemble dem Publikum Fragen zu ihrem Gehalt, ihrem psychischen Zustand oder den Machtverhältnissen in ihren Jobs.

Die entscheidende Frage (Was soll das?) löst sich im dritten Teil schließlich mit einer Wendung ins Apokalyptische auf. In den letzten Minuten der zweistündigen Vorstellung bauen die Schauspieler auf der bislang leeren Bühne aus allerlei Bausteinen eine windschiefe Bühne. Ein eingespielter Text beschwört dazu den Verfall und die Neubelebung eines verlassenen Theaters durch Pflanzen, Reptilien und Bakterien. Als Botschaft bleibt hängen, dass im Angesicht des Weltuntergangs ohnehin alles egal ist. Aber gut, dass wir drüber gesprochen haben.

Nächste Vorstellungen: 25.12., 6. und 19.1.
www.gorki.de

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