Fürs 1,5-Grad-Limit reicht die Reform noch nicht

Europäisches Parlament, EU-Kommission und Regierungen einigten sich auf Verschärfung des Emissionshandels

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor dem jüngsten Weltklimagipfel hatte sich die Europäische Union nicht mit Ruhm bekleckert. Die EU hätte dort verkünden können, sie setze ihr bisheriges Klimaziel für 2030 – eine CO2-Reduktion von 55 Prozent im Vergleich zu 1990 – auf 60 Prozent herauf. Das wäre möglich gewesen. Die EU hatte ihr Maßnahmenpaket »Fit for 55« im Mai 2022 unter dem Titel »Repower EU« überarbeitet, als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Der Repower-Plan, der auf einen stärkeren Ausbau der Erneuerbaren sowie mehr Energieeffizienz setzt, soll bis 2030 bereits zu einer CO2-Reduktion um 58 Prozent führen. Einen weiteren Prozentpunkt steuern natürliche Senken wie Wälder und Moore bei. Schon in Scharm El-Scheikh die 60 Prozent zu verkünden – das traute sich die EU aber nicht. Dabei hätte sie Mut zeigen können, wie die am Wochenende beschlossene Reform des europäischen Emissionshandels beweist.

Denn mit der Reform sollen die Emissionen bis 2030 sogar um 62 Prozent sinken. Das bringt Europa langsam auf den Weg, das globale 1,5-Grad-Limit einzuhalten. Dazu müssten am Ende etwa 65 Prozent Einsparung her, sagt Elena Hofmann, Klimareferentin beim Deutschen Naturschutzring.

Die Reform verschärft vor allem die Regeln für den bestehenden Emissionshandel, der fossil betriebene Kraftwerke und Industrieanlagen erfasst (Kürzel: ETS 1). So sollen bis Ende 2026 fast 120 Millionen CO2-Zertifikate aus dem Markt genommen werden. Das sind 3,6 Prozent der 2021 im ETS1 vorhandenen Zertifikatsmenge. Zudem wird diese Gesamtmenge, der sogenannte Cap, ab 2024 und 2026 jedes Jahr um mehr als vier Prozent gesenkt. Sind dann immer noch zu viele Zertifikate im Markt und ist demzufolge der CO2-Preis zu niedrig, können über einen flexiblen Mechanismus, auch »Zertifikatestaubsauger« genannt, bis zu 24 Prozent der überschüssigen Zertifikate entfernt werden.

Wie sich all das auf den CO2-Preis auswirken wird, der derzeit um die 80 Euro je Tonne liegt, lässt sich nicht seriös abschätzen. »Wir schaffen einen starken, stabilen und hohen CO2-Preis in Europa, der den europäischen Kohleausstieg bis 2030 wahrscheinlicher macht und den Gasausstieg einleitet«, kommentiert Michael Bloss, Klimaverhandlungsführer für die Grünen im EU-Parlament.

Dabei gibt es Unwägbarkeiten. So werden durch den Kohleausstieg in einer Reihe von EU-Ländern viele Millionen Zertifikate überflüssig. An diese Länder ergeht der Appell, solche Emissionsrechte zu löschen – ob das passiert, ist fraglich. Derzeit zögert Deutschland beispielsweise laut Recherchen der »Zeit« damit, Zertifikate für fast 100 Millionen Tonnen CO2 zur Löschung anzumelden. Diese Zertifikate waren aufgrund der Stilllegung von Kohlekraftwerken in den letzten fünf Jahren überflüssig geworden.

Größter Streitpunkt beim ETS 1 war aber, wie künftig mit den kostenlosen Zuteilungen von Zertifikaten umgegangen wird. Denn bislang kam es nur in der Energiewirtschaft zu einer deutlichen Senkung von Emissionen. In der Industrie verringerte sich aufgrund großzügig vergebener Emissionsrechte seit 2013 der CO2-Ausstoß praktisch nicht. Die kostenlose Zuteilung setze Fehlanreize, betont Lisa Okken, Klimaexpertin der Umweltstiftung WWF.

Diese zu beseitigen, gelang nur teilweise. Bis 2030 soll erst die Hälfte der freien Zuteilungen gestrichen werden, ihr generelles Aus ist für 2034 beschlossen. Vor allem für die Stahlbranche gibt es weitreichende Ausnahmen. Die EU-Kommission rechnet damit, dass die Industrie letztlich insgesamt 75 Millionen Zertifikate mehr einkaufen muss. Ein Zertifikat berechtigt zum Ausstoß von einer Tonne CO2. Beim derzeitigen Preis von 80 Euro pro Tonne kämen auf die Industrie damit sechs Milliarden Euro Mehrkosten zu. Ein Teil dieses Geldes soll in einen EU-Innovationsfonds fließen, der die Dekarbonisierung der Industrie unterstützt. Weil die Industrie höheren Klimakosten gegenübersteht, soll sie zugleich durch ein neues Instrument geschützt werden, eine Art CO2-Zoll an Europas Grenzen.

Als wäre all das nicht schon sehr komplex, soll frühestens ab 2027 ein europaweiter Emissionshandel für Verkehr und Gebäude eingerichtet werden (Kürzel: ETS 2). Betroffen sind sowohl Gewerbe als auch Haushalte. Der Zertifikatepreis beim ETS 2 wird laut dem Ergebnis bis 2030 auf 45 Euro pro Tonne CO2 gedeckelt. In Deutschland soll der nationale CO2-Preis für Gebäude und Verkehr aber schon 2025 jenseits der 50 Euro liegen.

Begleitend zum ETS 2 wird ein Klimasozialfonds eingerichtet. Es lässt sich noch nicht sagen, wie die Einnahmen aus dem ETS 2 Betroffenen konkret zugutekommen werden. Denn 50 Prozent davon gehen zunächst an die EU-Staaten, die dann die Gelder für soziale Klimamaßnahmen einsetzen können. Im Klimasozialfonds selbst sollen von 2026 bis 2032 um die 86 Milliarden Euro bereitstehen. Für Michael Bloss reichen diese Mittel indes nicht aus. »Der Klimaschutz der EU hat eine unsoziale Schlagseite«, urteilte der Grünen-Abgeordnete.

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