Harte Leute, weiche Menschen

Rachel Kushner ist am besten, wenn sie über ihre eigenen Erfahrungen schreibt - eine Sammlung ihrer Essays

  • Isabella Caldart
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Essaysammlungen ist das immer so eine Sache. Diejenigen, die extra für ein Buch verfasst wurden und zumindest grob ein übergeordnetes Thema haben, funktionieren meist sehr viel besser als eine bloße Zusammenstellung bereits veröffentlichter Texte. »Harte Leute« von Rachel Kushner ist eine solche Kompilation – aus 20 Jahren: Der älteste Text ist 2001 erschienen, der neuste im März 2021. Die meisten aber in den 2010er Jahren. Und trotzdem harmonieren diese Texte größtenteils sehr gut.

Am besten ist Kushner, die mit ihrem zweiten Roman »Flammenwerfer« 2013 international bekannt wurde, wenn sie nahe bei ihren eigenen Erfahrungen ist. Die 1968 in Eugene, Oregon geborene Schriftstellerin ist Tochter zweier intellektueller Freigeister, die aber keine Hippies waren, sondern diese ablehnten. 1979 zog die Familie nach San Francisco, in eine eher zwielichtige Gegend. Später kellnerte sie lange Zeit in Tenderloin, einem Stadtviertel, das für seine hohe Kriminalitätsrate bekannt ist. Kushner ging in jungen Jahren regelmäßig auf Rockkonzerte, nahm Drogen, hing mit Sexarbeiter*innen und Kleinkriminellen ab. »Manchmal prasseln die Millionen Geschichten, die ich habe, und die Millionen Menschen, die ich kenne, wie ein permanenter Hagelsturm auf das Dach meiner Innenwelt«, heißt es im letzten Essay, dem titelgebenden »Harte Leute«. Über einige von ihnen schreibt sie in ihren Texten: »Die Fähigkeit zu schreiben, ist ein Beweis für Veränderung, für großen Abstand. Nicht jeder ist bereit, das zuzugeben, aber es ist wahr.«

Die Menschen, über die sie schreibt, werden bei ihr zu literarischen Figuren; viele ihrer Essays lesen sich im besten Sinne wie Kurzgeschichten. Überhaupt ist Kushners Prosa mitreißend, ihr gelingt es, die Themen, die sie interessieren, ebenso interessant zu vermitteln. Etwa in der ersten Story, in der sie über ihre Zeit als Motorradfahrerin schreibt und wie sie als 24-Jährige an einem illegalen Wettrennen teilnahm. 1700 Kilometer durch den mexikanischen Bundesstaat Baja California sollten an einem Tag bezwungen werden. Dafür braucht man eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 160 km/h. Eine lebensgefährliche Herausforderung. Sie erzählt das derart spannend, dass man gebannt weiterliest, auch wenn man sich gar nicht für Motorräder interessiert. Ebenso ihr zweiter Essay, in dem sie von einem Besuch im Flüchtlingslager Shuafat in Jerusalem berichtet und der mit einem Schlag endet, der einem den Boden unter den Füßen wegzieht.

Dann wiederum gibt es die Texte, die nur als Füllmaterial für dieses Buch gewertet werden können, beispielsweise ihre Biografien über Denis Johnson, Clarice Lispector und Marguerite Duras. Anders ist der Text über den Künstler und Gorilla-Biscuits-Gitarristen Alex Brown, mit dem Kushner eine jahrzehntelange Freundschaft verband und den sie in ihren Zeilen wieder zum Leben erweckt. Diese posthume Hommage beweist, dass ihre Figuren nicht berühmt sein müssen, um zu beeindrucken, im Gegenteil. Andere Essays sind vor allem für jene, die mit dem Werk Kushners vertraut sind, erhellend. In ihrer Analyse über das US-amerikanische Gefängnissystem erkennt man Motive aus »Ich bin ein Schicksal« wieder, während neben ihrer Faszination für Motorräder auch die für linksradikale Bewegungen im Italien der 1970er sowohl in »Flammenwerfer« als auch in »Harte Leute« zu finden sind.

Hart wirken viele der Leute, die Rachel Kushner kennt, vor allem, wenn sie zurück ins San Francisco der 1980er Jahre geht und die damalige Szene beschreibt. Und Kushner selbst? Sie befürchtet, dass sie zu weich ist für diese harten Typen, angelehnt an den alten Song von Cream »White Room«: »At the party she was kindness in the hard crowd«. Noch heute scheint sie mit ihrer damaligen Rolle zu hadern. Sie habe auch durch die unkonventionelle Erziehung ihrer Eltern immer geglaubt, »dass sich wahre Bedeutung bei den Leuten fand, die am hellsten brannten, die frei waren, sich selbst zugrunde zu richten«. Zum Schluss aber artikuliert sie die Erkenntnis: »Ich bewunderte viele der Leute, die ich hier beschreibe. Sie standen für mich über mir, in einer Hierarchie, die sich mit der Tatsache, dass ich diejenige bin, die lebt und davon erzählen kann, neu ordnet.« Wie sehr sie lebt und wie gut sie erzählt, beweisen ihre Essays über diese Leute aus der »hard crowd«.

Rachel Kushner: Harte Leute. A. d. amerik. Engl. v. Bettina Abarbanell, Rowohlt Verlag, 320 S., geb., 26 €

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