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Hipster mit Sexproblemen

Die Serie »Love Addicts« ist ein Wirrwar über paarungswillige, bindungsgestörte Twentysomethings und verheddert sich im eigenen Durcheinander

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Selten sind die Kopien besser als das Original. Und auch »Love Addicts« ist auf keinen Fall besser als »Sex Education«.
Selten sind die Kopien besser als das Original. Und auch »Love Addicts« ist auf keinen Fall besser als »Sex Education«.

»Sex Education«, nicht nur das Kernpublikum unter 25 wird beim Titel allein schon ganz wuschig, war die Serien-Sensation der seriensensationellen Seriensaison 2019. Weder »Der Pass« noch »The Mandalorian«, ja nicht mal das überwältigende Drogendrama »Euphoria« konnten der Milieustudie erotisch erwachender Kids und Eltern das Wasser reichen. Wie der picklige Hauptdarsteller Otis die Teenies (und ältere) seiner retrofuturistischen Highschool darin sexualtherapeutisch weiterbildet, war drei Staffeln lang fast zu schön, um wahr zu sein – und damit gefundenes Fressen für deutsche Kopisten.

Manchmal sind Plagiate zwar – »Stromberg« oder »Club der roten Bänder« – fast noch besser als die Originale. Meistens kommt dabei jedoch, nun ja, so was wie »Love Addicts« heraus. Und das ist sogar noch tragikomischer als der schlecht gefälschte Amazon-Achtteiler. Vor sechs Jahren nämlich, also drei Jahre vor dem britischen Vorbild »Sex Education«, haben sich Marian und Marco Grönwoldt das Format ausgedacht und sogar zum Pilotfilm gebracht. Einige Mittzwanziger erörtern ihre Beziehungsprobleme darin mit derselben Therapeutin, was zu heiter bis wolkigen Culture Clashs führt.

Irgendwie fand sich jedoch kein Sender, um das Konzept fortzusetzen – bis sich Warner International der Sache annahm. Im Auftrag von Prime Video schrieb der Writers Room von Julia Drache und Tobias Rosen daraufhin neue Drehbücher, die Arabella Bartsch mit Janosch Chàvez-Kreft umsetzte und pardauz, sahen Kostüme und Kulissen, Probleme und Figuren ziemlich exakt so aus wie bei »Sex Education«.

Dramaturgisch gehen die deutschen Charaktere nicht auf eine provinzielle Schule, sondern echter Arbeit in Hamburg-City nach. Sie sind somit älter als die Teenies der Moordale Secondary, aber emotional ähnlich konfus, haben also Hilfe bitter nötig. Seit Monaten schon sitzt die romantiksüchtige Partyplanerin Nele (Magdalena Laubisch) daher mit dem sexsüchtigen Barkeeper Ben (Dimitri Abold) beim Gruppengespräch von Sozialpädagogin Anja (Annette Frier), das der harmoniesüchtige Praktikant Dennis (Anselm Bresgott) vervollständigt, bevor es die geltungssüchtige Zoe (Malaya Stern Takeda) aufmischt.

Weil ihr Schäferstündchen mit zwei Models beim Modeshooting, das sie fotografieren sollte, bildgewaltig auffliegt, schickt Zoes Chefin die zügellose Schönheit in Anjas Therapierunde – von der sie (»ich hab kein Problem, ihr habt welche«) hörbar wenig hält. Da die Serie dann nach 20 Minuten beendet wäre, kehrt sie allerdings zurück und liefert fortan Kollisionsstoff diverser Mentalitäten, der witzig sein soll, aber höchstens ulkig ist.

Männliche Nerds tragen darin Kassenbrille zum Siebzigerpulli und greifen daneben, wenn sie sich irgendwo anlehnen, während auch weibliche Nerds Omas Klamottenkiste durchwühlen und bessere Hälften »Pubsbär« nennen. Feminine Hipster sprechen aufdringliches Denglisch und sind promiskuitiv, während maskuline Hipster mittlerweile zwar Schwarz sein dürfen, aber so penetrant über Orgasmen und Gleitcreme reden, dass Beate Uhse verglichen damit prüde war. Summa summarum sind sämtliche Figuren auf so behauptete Art exzentrisch, dass sie einen schon isoliert gesehen kalt lassen wie Cover von Schmuserock-CDs – ganz zu schweigen vom Vergleich mit »Sex Education!«

Denn dort bedient sich alles Überkandidelte kreativ in der Realität. »Love Addicts« dagegen bastelt sich eine Wirklichkeit, die überkandidelt sein will, sich aber im Willen verheddert, dennoch wahrhaftig zu bleiben – was im Handlungstwist gipfelt, dass die superspießige Nele zur superchaotischen Zoe zieht und als erste WG-Handlung deren geliebtes Durcheinander entrümpelt. Wobei das raschelnde Drehbuch sogar Zoes moralinsaure Reflexion, »ihr seid alle auf der Suche nach jemandem, mit dem ihr’s aushalten könntet, aber ich halt’s nicht mal mit mir selbst aus« übertönt, für die die eben noch eigensüchtige Influencerin keine 20 Minuten Küchenpsychologie braucht.

Aber gut, so laufen kollektive Egotrips paarungswilliger, bindungsgestörter Szeneviertelgewächse nicht erst seit Großstadtfiktionen von »Beverly Hills 90210« über »Gossip Girl« bis zur deutschen Fassung »Vierwändeplus«, die 2021 ebenfalls aus Marian und Marco Grönwoldts Ideenküche kam. Hauptsache, maximal unterschiedliche (heutzutage eher: diverse) Protagonisten rasseln mal ein paar, mal endlos viele Folgen so ulkig ineinander, dass sie die Instagram- oder Youtube-Accounts der Kernzielgruppe unter 25 füttern. Viel mehr will auch »Love Addicts« gar nicht.

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