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Das ganze Unwahre
Die politische Theorie Carl Schmitts geistert immer wieder auch durch linkes Denken. Lässt sich der »Kronjurist des Dritten Reichs« progressiv lesen?
Wenn die liberale Demokratie in der Krise steckt, schlägt die Stunde des antiliberalen Ressentiments: Das politische System sei nur noch eine Fassade, das Volk gar nicht mehr souverän, Bürger*innen bloß noch zum Konsumieren da. Nicht allein Konservative und Rechte lamentieren in kulturpessimistischer Weise über den Werteverfall und Ausverkauf der Gesellschaft, auch von links gibt es eine lange Tradition des Ressentiments, in der liberalen Demokratie die Wurzel allen Übels erkennen zu wollen und sich nach der »wahren Demokratie« in einer widerspruchsfreien Gesellschaft zu sehnen.
Deutlich wird diese Überschneidung etwa an der enormen Popularität des Staats- und Verfassungsrechtlers Carl Schmitt (1888–1985). Schmitt war in den Jahren bis 1933 Gegner des Weimarer Parlamentarismus und danach in verschiedenen Funktionen Unterstützer des NS-Regimes. Er gilt als »Kronjurist des Dritten Reichs« und ist trotzdem wohl »der am meisten diskutierte Jurist des 20. Jahrhunderts«, wie der Historiker Raphael Gross in seinem Werk »Carl Schmitt und die Juden« vermutete. Immer wieder wird in linken und liberalen Analysen betont, dass Schmitts Arbeiten besonders viel zur Erklärung des gegenwärtigen Krisenzustandes der liberalen Demokratie beitragen könnten: Er habe »die Einfallstore für die Gegner der liberalen Demokratie in seiner Verfassungslehre und in seiner Analyse der Weimarer Endkrise klar markiert«, urteilt etwa der Politikwissenschaftler Jens Hacke. Breit rezipierte linke Theorien wie Chantal Mouffes Konzeption eines linken Populismus beziehen sich auf das Potenzial, Schmitt progressiv deuten zu können. Zuletzt rekonstruierte der Politikwissenschaftler Philip Manow in seinem Essayband »Nehmen, Teilen, Weiden«, dass »Schmitt als einer der ersten Denker der Globalisierung verstanden werden« müsse.
Doch welche Annahmen liegen Schmitts Analyse und Liberalismuskritik eigentlich zugrunde? Ausgehend von der Kritik Theodor W. Adornos und Franz L. Neumanns lässt sich zeigen, dass das Denken Schmitts von seinem Antisemitismus nicht zu trennen ist und er damit ideologischer Ausdruck des Negativen der bürgerlichen Vergesellschaftung bleibt. Das zeigt sich an Schmitts Begriff des Politischen, den er aus dem unversöhnlichen Freund-Feind-Gegensatz ableitet, und an seiner damit verbundenen Vorstellung von einer identitären Demokratie – Aspekte, die auch in einer linken Aneignung Schmitts stark gemacht werden.
Identitäre Demokratie
Schmitts Demokratieverständnis ist identitär, und in dieser Hinsicht gilt er bis heute als ein Stichwortgeber für autoritäre Demokratievorstellungen. In seiner Schrift »Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus« beklagt Schmitt 1923, dass die Massen und insbesondere Arbeiter*innen in den Staat der Weimarer Republik eindrängen. Diese würden den Charakter des Parlaments grundsätzlich verändern: weg von einem liberalen »Government by Discussion«, in dem sich Männer mit rationalen Argumenten zu überzeugen gewusst hätten, hin zu einem »Government by Bargaining« zwischen pluralen Interessen- und Machtgruppen, in der es bloß noch um Feilschen und Kompromisse gehe. Diesen Wandel zur Massendemokratie sah Schmitt begleitet durch eine »allgemeine Feminisierung« der Gesellschaft.
In seiner Idealisierung des Parlaments als Ort aufklärerischer Diskussion – ein Ideal, das freilich niemals realisiert war – und des kulturpessimistischen Ressentiments gegenüber dem modernen Parlamentarismus steckt ein spezifischer Demokratiebegriff. Dieser geht auf Schmitts Rezeption des Philosophen Jean-Jacques Rousseau und dessen »Contrat Social« zurück. Vor allem bezieht sich Schmitt auf Rousseaus Vorstellung von Volkssouveränität, die wesentlich in der Identität von Herrschenden und Beherrschten besteht. Die Idee relativ unabhängiger Repräsentation hielt Schmitt in seiner Parlamentarismus-Schrift daher für unvereinbar mit der Demokratie. Es handele sich um ein liberales und nicht um ein demokratisches Prinzip.
Nach Rousseaus Vorstellung war die »volonté de tous«, der Gesamtwille, lediglich eine Summe aller Willensäußerungen. Sie galt ihm als Ausdruck einer Spaltung der Gesellschaft in verschiedene Interessengruppen, die er als Gift für die Demokratie ansah. Dagegen hielt er die »volonté générale«, das Gemeinwohl an sich. Diese bedurfte jedoch der Vorstellung eines homogenen Volks, sowohl in kultureller, sozialer oder ökonomischer Hinsicht. Wie Franz L. Neumann in seinem Aufsatz »Intellektuelle und politische Freiheit« herausstellte, hatte Rousseau dabei immer wieder die männerbündische Demokratie Spartas vor Augen. An diese Idee einer kriegerischen Wehrgemeinschaft knüpfte Schmitt mit seiner Kritik des Weimarer Parlamentarismus an.
Von solch einer Vorstellung aus konnte Schmitt die Gewaltenteilung in Judikative, Exekutive und Legislative sowie den Liberalismus insgesamt als undemokratisch kritisieren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die volonté générale – »der Volkswille« – in der Demokratie zugleich gesetzgebende wie ausführende Gewalt sein müsse. Darum stand für Schmitt die Demokratie auch nicht im Widerspruch zur Diktatur. So lieferte seine politische Theorie eine Rechtfertigung für den Umschlag von Gesetzes- in Gewaltherrschaft, wie Neumann im »Behemoth«, seiner Analyse des Nationalsozialismus, an Schmitt kritisierte.
Unbehagen an der Demokratie
Vorstellungen vom »wahren Volk« im Gegensatz zu einer »korrupten liberalen Elite« und deren politischen Ränkespielen sind auch heute wieder weit verbreitet. Darin taucht gewissermaßen Schmitts (gleichwohl verkürzte) Interpretation der Theorie Rousseaus auf, mit der er im Namen der Demokratie die Demokratie angreift. Schmitt bedient ein populäres Ressentiment gegen den Doppelcharakter der modernen Demokratie, in der Herrschaft und Bevölkerung genau nicht identisch sind. Vielmehr ist demokratische Herrschaft in ihrer liberalen Form sowohl eine Gesetzesherrschaft – »a government of laws and not of men«, wie John Adams, einer der Gründer der US-Verfassung, es formulierte. Zugleich aber findet Herrschaft durch soziale Akteure und entgegengesetzte sowie ungleich konkurrierende Macht- und Interessengruppen statt; seien es Gewerkschaften, Industrieverbände, Umweltschutzorganisationen, Energiekonzerne oder religiöse Gruppen.
Moderne Demokratie muss von diesem spezifischen Doppelcharakter her gedacht werden: Formal gibt es Freiheit und Gleichheit durch die Herrschaft des generellen Gesetzes, auf sozialer Ebene herrscht aber Konkurrenz und eine Art Gesetz des Stärkeren. Schmitts Rezept gegen diese Ambivalenz ist es, den Liberalismus als Ganzen zu bekämpfen, damit aber auch die formale Freiheit und Gleichheit, die er ermöglicht. Als Kritik daran sprach Neumann, der noch Ende der 1920er Jahre ein Seminar bei Schmitt besucht hatte, von einer Dialektik von Gewalt und Gesetz. Diese sei institutionell in der Teilung der Gewalten aufgehoben und die moderne Herrschaft, mithin moderne Demokratien ohne eine solche Ambivalenz nicht zu haben.
Der Widerspruch von sozialem Inhalt und liberaler Form der bürgerlichen Gesellschaft macht moderne Demokratien so fragil und krisenanfällig. Ideologisch folgt daraus ein Unbehagen an der Demokratie, das sich politisch mobilisieren lässt, und zwar bis zu dem Kurzschluss, man könne die Krisen überwinden, indem man die Dialektik tilgt. Die reale Demokratie wird dann, wie bei Schmitt, an einem äußerlichen Ideal, der »wahren Demokratie«, gemessen, ohne dass die Demokratie diesem Vergleich je standhalten könnte. Das Unbehagen kann dann in eine Art ideologische Schiefheilung führen, wie in völkisch-nationalistischen Vorstellungen: Die Fantasie von einer Allmacht der Exekutive, die durch die Identität von Herrschenden und Beherrschten letztlich im homogenen Volk realisiert sein soll. Dafür dient Schmitt seine berüchtigte Freund-Feind-Bestimmung, die seine Schriften wie ein roter Faden durchzieht.
Der Feind, das Abgespaltene
Eine der bekanntesten Setzungen Schmitts lautet, dass zur Demokratie »notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen« gehöre. Für die Identität muss »das Andere« abgespalten werden, aber zugleich bedroht es die Identität so sehr, dass ihm mit Aggressionen bis hin zu Vernichtungsfantasien begegnet wird. Es wird etwas »existenziell Anderes und Fremdes«. Die Feindbestimmung ist konstitutiv für den Staat als »politischen Verband«, wie er schreibt: »Würde er auf die Möglichkeit verzichten, maßgebend darüber zu entscheiden, wen er als Feind betrachtet und behandelt«, dann wäre er, so Schmitt, »kein politischer Verband«. Für den Begriff des Politischen kommt es nicht nur darauf an, dass der Feind vom Freund klar getrennt wird. Es bedarf vielmehr eines »wirklichen Kampfes gegen einen wirklichen Feind«.
Bei Schmitt ist diese kriegerische Feindbestimmung also maßgeblich für die eigene Identität. Aber diese gesamte Denkbewegung beruht auf abstrakter Negation: Was nicht in das Selbstbild passt, wird auf ein Äußeres projiziert. Abstrakt ist diese Negation, weil sie keinen Raum für die Widersprüche lässt. Dieser werden im Freund-Feind-Gegensatz bereinigt, indem das Andere durch Spaltung und Projektion als bloß negatives Abbild des Eigenen gesetzt wird. Wie das Andere erfahren wird und dass es überhaupt als Feind erscheint, hat mit dem tatsächlichen Anderen wenig zu tun, es dient nur der Konstruktion eigener Identität. Zugleich erinnert das Andere in seiner bloßen Existenz an die eigene »Urgeschichte«, an die Gewalt, aus der die eigene Identität gemacht ist sowie an deren Künstlichkeit. Das ist eine Bedrohung, die abgewehrt werden muss. Im äußersten Fall meint das die Vernichtung. Die Mittel dafür legitimieren sich aus der Gewalt, die zuvor nötig war, um das Fremde überhaupt erst aus dem Eigenen abzuspalten.
Und so ist wenig verwunderlich, dass bei Schmitt die Freund-Feind-Unterscheidung im Kampf gipfelt, in Krieg und Bürgerkrieg. Dieser Kampf ist sowohl Ausgangs- als auch Fluchtpunkt des Schmittschen Denkens und ist unmittelbar mit dessen Antisemitismus verknüpft. Ein Antisemitismus, der, wie Gross herausgearbeitet hat, nicht erst nach 1933, sondern bereits zuvor prägend war.
Angst vor dem Nichtidentischen
Freund und Feind bilden in der für Schmitts Denken so wichtigen Gegenüberstellung zwei Seiten derselben Medaille. »Frauen«, proletarische »Massen« oder »Völker« sind in seiner elitär-männerbündischen Theorie zwar Fremde und zur Not auch Feinde. Aber sie werden nicht zu »absoluten Feinden«. Diese Rolle bleibt bei Schmitt »den Juden« vorbehalten, an die sich seine paranoide Angst heftet und denen die Vernichtungsdrohung in letzter Instanz gewidmet ist. Juden sind in seiner antisemitischen Fantasie insofern nicht bloß »Andere«, wie der Antisemitismus auch heute noch oft missverstanden wird. »Der Jude« ist für Schmitt »der Archetypus des Feindes«, wie Gross rekonstruiert. Es ist diese Denkstruktur, die Schmitt tief in das manichäische Denken des christlichen und nationalen Antisemitismus verankert.
In der antisemitischen Fantasie sind Juden das Nichtidentische, »das Dritte«, wie der Wissenssoziologe Klaus Holz mit Blick auf den nationalen Antisemitismus herausgearbeitet hat. Mit Nichtidentisches ist das gemeint, was in der Spaltung von Freund und Feind, in der nationalen oder religiösen Ordnung nicht aufgeht. Es ist zugleich Ergebnis nicht nur einer Projektion, sondern pathischer Projektion, wie sich im Anschluss an Adornos und Horkheimers Thesen über Antisemitismus in der Dialektik der Aufklärung festhalten lässt. Das Nichtidentische ist daher, anders als »der Andere«, »der Fremde« nicht als Objekt greifbar. Die fantasierte Macht, die davon ausgeht, wirkt unsichtbar und damit zugleich allgegenwärtig. Das Nichtidentische erscheint als impotent, weil es vermeintlich nicht kämpft und omnipotent, weil es sich scheinbar dem Kampf entziehen kann. Es ist weder Ich noch der Feind, weder die eigene noch die feindliche Nation.
Die Gewalt, mit der die Identität hergestellt wurde, hat demnach nicht nur »das Andere«, sondern zugleich das Nichtidentische hervorgebracht. Und die Erinnerung an diese Gewalt lastet als Schuldgefühl auf dem Gewissen. Schmitt schiebt die Schuld »den Juden« zu, insbesondere assimilierten oder konvertierten Juden, die er als besonders bedrohlich empfand. Das Nichtidentische mahnt an die Gewalt und droht, sich gegen das Ich zu richten. »Der Jude« verfolgte Schmitt »als ein – sein – Thema und als metaphysischer Feind, gegen den er für den Rest seines Lebens kämpfte«. Nach 1945 kam hinzu, dass Schmitt auch aufgrund seines Engagements im Nationalsozialismus eine ebenso berechtigte wie paranoide Angst vor jüdischer Rache hatte, wie Schmitt-Biograf Reinhard Mehring schreibt.
Schmitt wurde im Jahr 1946 aufgrund seiner Unterstützung des nationalsozialistischen Regimes verhaftet und interniert. Er empfand dies als große Ungerechtigkeit: »Es gibt heute weniger Recht als unter den Nazis«, meinte er mit Blick auf seine einjährige Haft unter den Alliierten. »Was die Nazis getan haben, war tierisch, was mir geschieht (und Tausenden von ehrlichen Deutschen) ist teuflisch«, notierte Schmitt. »Das Unvermögen, eigene Schuld einzugestehen, führte zu einer Verhärtung des judenfeindlichen Affekts«, erklärt Gross diese spezifische Form des Antisemitismus: eine Schuldabwehr und Täter-Opfer-Umkehr.
Falsche Freunde
Diese Spezifik des Antisemitismus prägte weite Teile der deutschen Gesellschaft nach 1945. Sie lässt sich auch bis in die Linke ab den späten 60er Jahren etwa in Form eines Antizionismus beobachten, »dessen antisemitische Grundlage« ab da offen zutage trat, wie Jens Bennicke in seinem Buch »Von Adorno zu Mao« ausführt. Auch hier stellt Schmitts Denken ein Bindeglied dar. Denn hinzu kommt seine eklektische Begriffsbildung, die ihn für einen kulturpessimistischen Materialismus linker Provenienz anschlussfähig machte. In seiner Theorie kann auch »eine ›Klasse‹ im marxistischen Sinn des Wortes … eine politische Größe werden, wenn sie mit dem Klassen-‚Kampf‘ Ernst macht und den Klassengegner als wirklichen Feind behandelt und ihn … bekämpft«, wie Schmitt schon in seinem Beitrag »Der Begriff des Politischen« von 1932 formuliert hatte.
Über diese inhaltliche Brücke erklärt sich auch das linke Interesse für Schmitts »Theorie des Partisanen« von 1963, etwa im Fall des früheren Maoisten Joachim Schickel. Seine Gespräche mit Schmitt über die kommunistische Revolution in China und die Rolle von Guerillakämpfern im Befreiungsnationalismus popularisierten Schmitts Überlegungen in Teilen der antiimperialistischen Linken. Besonders die Unversöhnlichkeit, mit der Schmitt Freunde und Feinde in letzter Konsequenz innenpolitisch bis zum Bürgerkrieg oder außenpolitisch bis zum Krieg gegeneinander stellt, dient immer wieder als Vorbild eines kompromisslosen politischen Kampfs.
Entsprechend gibt es Versuche von links, die völkische Pointe Schmitts zu entkräften: Das Volk soll nicht als natürliche oder essenzialistische Einheit gedacht werden, sondern als soziale Konstruktion. Diese Aneignung der Freund-Feind-Bestimmung für linke Theorien teilen aber mit Schmitt die Tendenz, das Unbehagen am Doppelcharakter der modernen Demokratie »heilen« zu wollen, indem sie hinter die Entwicklung zurück wollen. Das Unbehagen soll in einer »wahren Demokratie« aufgelöst werden, wahlweise in der »Diktatur des Proletariats« oder einer »radikalen« Demokratie. Die Kritik am Liberalismus und seiner Gewaltenteilung führt zu einer Vorstellung von Homogenität und Identität, in der es keine Teilung mehr geben soll. Auch die linke Aneignung kann sich der Schmittschen Abwehr des Heterogenen in der Identität nicht entledigen.
Die Unversöhnlichkeit in der Abwehr der Heterogenität macht Schmitt für schein-radikale Positionen besonders attraktiv. Und Schmitts Theorie der Angstabwehr durch Spaltung und Externalisierung des Nichtidentischen ist auch in gesellschaftlichen Krisensituationen immer wieder anschlussfähig. Gerade in Zeiten, in denen apokalyptische Fantasien weit verbreitet sind, ist es nicht überraschend, wenn auch die Theorie Schmitts wieder breiter rezipiert werden, wie etwa die Politikwissenschaftlerin Quinta Jurecic feststellt. Die ideologischen Sehnsüchte nach einer heilenden Angstbewältigung nehmen eher zu als ab.
Unwahrheit des Schmittismus
Wie deutlich geworden sein sollte, lässt sich Schmitts Antisemitismus nicht beliebig aus seiner Theorie herauslösen. Vielmehr stellt er einen Grundpfeiler in seinem Begriff des Politischen, in seinem Freund-Feind-Gegensatz dar. Wie lange Schmitt die antisemitischen Affekte Zeit seines Lebens begleiteten, wird noch 1975 an einer kurzen Notiz deutlich, als er in seinen persönlichen Unterlagen über eine Briefmarke mit einem Porträt Else Lasker-Schülers auf Französisch »Unter den Augen der Juden« notiert. Er wähnt sich weiter von »den Juden« in besonderer Weise verfolgt.
In seinem antisemitisch fundierten Ressentiment gegen die Herrschaft des allgemeinen Gesetzes und gegen die Gewaltenteilung löst Schmitt die von Neumann konstatierte Dialektik von Gewalt und Gesetz in der modernen Herrschaft theoretisch einseitig auf. Er nimmt die historische Teilung der Menschen in Nationen und Kollektive und macht daraus ein Naturgesetz, welches er gegen den korrupten Liberalismus zur Geltung bringen will. So wird er laut Neumann zum Fürsprecher der Gewalt und des Mythologischen, die dem Begriff der Aufklärung selber immanent sind.
Schmitts Polemik gegen den Liberalismus ist insofern, um abschließend mit Adorno zu sprechen, nur die »halbe Wahrheit« und als solche schon »die ganze Unwahrheit«. Darum muss Schmitt grundlegend immanent kritisiert werden, indem jene Verheißung der Gewalt, der Mythologie und des Identitätszwangs selbst als Momente der kapitalistischen Gesellschaft begriffen werden. Denn »Freiheit wäre, nicht zwischen schwarz und weiß zu wählen, sondern aus solcher vorgeschriebenen Wahl herauszutreten«, wie Adorno in den Minima Moralia mit Blick auf das Identitätsdenken Schmitts betont. Seine Theorie links oder etwa liberal deuten zu wollen, wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde es versuchte, ist demnach ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.
Zum Weiterlesen: Philip Manow: Nehmen, Teilen, Weiden. Carl Schmitts Politische Ökonomien. Wallstein, 188 S., geb., 24 €./ Reinhardt Mehring: Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. C. H. Beck, 731 S., geb., 38 €./ Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre. Suhrkamp 2005, 459 S., br., 15 €.
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