Tradition auf Kosten von Mensch und Umwelt

Die Kehrseite des Silvester-Feuerwerks: schlechte Luft, Verletzte und Tiere in Panik

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Berlin von seiner feinsten Silvesterseite: Böllerüberreste vermüllen die Straße, im Supermarkt im Hintergrund hat es gebrannt.
Berlin von seiner feinsten Silvesterseite: Böllerüberreste vermüllen die Straße, im Supermarkt im Hintergrund hat es gebrannt.

Es knallt und knistert, buntes Licht durchzieht den Himmel, Feuerfontänen sprühen Funken: Das alte Jahr lautstark vertreiben, das neue krachend begrüßen, diese Tradition ist mit Silvester untrennbar verbunden – aber auch mit Luftverschmutzung, Müllbergen, Bränden, Verletzungen und erschreckten Tieren. »Das massenhafte Zünden von Böllern und Raketen zu Silvester bedroht Mensch und Umwelt und ist eine massive Ressourcenverschleuderung«, sagt ein Sprecher des Bunds für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Berlin zu »nd«. Nicht nur der BUND fordert daher weitgehende Beschränkungen für das private Abbrennen von Pyrotechnik. Die Deutsche Umwelthilfe will im Bündnis mit Tierschutz- und Ärzt*innenverbänden sowie der Gewerkschaft der Polizei sogar ein vollständiges Verbot von privatem Silvesterfeuerwerk.

Dazu wird es nicht kommen. Anders als in den vergangenen zwei Jahren, als es teils großflächige Pyro-Verbotszonen gab, ist das Böllern in Berlin kaum noch reglementiert. Untersagt ist das Knallen und Abbrennen nur noch bei der Silvesterfeier am Brandenburger Tor, auf dem Alexanderplatz, rund um die Steinmetzstraße in Schöneberg sowie am Gefängnis in Moabit. Am Alexanderplatz und in Schöneberg hatte es in früheren Silvesternächten verstärkt Angriffe auf Polizist*innen und Feuerwehrleute gegeben. Wie Polizeipräsidentin Barbara Slowik jetzt erklärte, werde man in der Nacht vom 31. Dezember zum 1. Januar rund 1100 Polizist*innen im Einsatz haben. »Wir erwarten ein ähnliches Silvester wie vor der Corona-Pandemie«, sagte Slowik.

Genau das ist das Problem, sagen Kritiker*innen des ungehinderten Böllerns. Denn der Feuerwerksqualm besteht zu großen Teilen aus Feinstaub, also winzigen Staubpartikeln, die nicht nur die Umwelt verschmutzen, sondern auch in Nase und Bronchien eindringen und die Gesundheit gefährden können, besonders betroffen sind Asthmatiker*innen. Für Feinstaubpartikel mit einem Durchmesser von 10 Mikrometern gilt daher, dass ein Tagesmittelwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft höchstens 35 Mal im Jahr überschritten werden darf. In Berlin lag der maximale Ein-Stunden-Wert für diese Teilchen laut Senatsumweltverwaltung an den Neujahrstagen 2011 bis 2019 bei durchschnittlich 555 Mikrogramm pro Kubikmeter, am 1. Januar 2020 sogar bei 757 Mikrogramm – 34 Mal höher als der Jahresmittelwert. Die pandemiebedingten Feuerwerkseinschränkungen in den vergangenen beiden Jahren haben dabei deutliche Wirkung gezeigt: Der mittlere Wert von 223 Mikrogramm pro Kubikmeter übertraf den Jahresmittelwert »nur« noch um das Zehnfache, teilt die Umweltverwaltung auf nd-Anfrage mit.

Vasili Franco, der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, nennt die coronabedingten Böller-Verkaufsverbote einen Erfolg. »Weniger Feuerwerk heißt weniger Einsätze für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst in der Silvesternacht. Alle Fakten sprechen dafür, diese überholte Tradition zu überwinden«, erklärt er auch mit Verweis auf kriegstraumatisierte Menschen, die unter dem Krach besonders leiden könnten. Auch Franco plädiert daher für ein dauerhaftes Böllerverbot an Silvester.

Das Problem: Ein solches Verbot liegt nicht in Händen des Landes Berlin, hierfür müsste die bundesweite Sprengstoffverordnung geändert werden. Eine entsprechende Bundesratsinitiative aus Berlin liegt zwar schon seit 2019 vor. Bewegt hat sich in dieser Sache aber bislang nichts, weshalb den Hauptstadt-Behörden nur die Möglichkeit bleibt, Feuerwerk an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten einzuschränken.

Das genügt auch, heißt es von Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik. Sie hat nun noch mal bekräftigt, dass sie das von der Gewerkschaft der Polizei geforderte Feuerwerksverbot innerhalb des S-Bahnrings ablehnt. Berlin könne nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz nur bestimmte Bereiche mit einer besonderen Gefährdung definieren, sagte Slowik der Deutschen Presse-Agentur. »Außerdem ist klar: Das könnte die Polizei gar nicht flächendeckend durchsetzen. Und gesetzliche Regelungen aufzustellen, die nicht kontrollier- und durchsetzbar sind, halte ich für problematisch. Sie untergraben das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaates.«

Dennoch: Beim aktuell ohnehin überlasteten Rettungsdienst »führt die Silvesternacht erfahrungsgemäß zu einer höheren Einsatzdichte und einem erheblichen Mehraufwand«, sagt Jens-Uwe Retter, Landesarzt und Vizepräsident des Berliner Deutschen Roten Kreuzes. Bei Bedarf müssten zusätzliche Helfer*innen und Fahrzeuge eingesetzt werden. Gefahren und Verletzungen entstünden meist durch unsachgemäße Nutzung von Feuerwerkskörpern, wenn diese zum Beispiel auf Menschen gerichtet oder Knallkörper zu nahe an Menschen gezündet würden. Häufig zu laut und unkalkulierbar sei selbstgebautes Feuerwerk oder solches, das nicht in Deutschland zugelassen ist. »Wir sind auf diese Eventualitäten jedoch vorbereitet und gut gerüstet«, sagt Retter.

Eine sichere Alternative, die Grünen-Politiker Franco vorschlägt, könnten einige zentrale, professionell organisierte Feuerwerke sein, wie es am Brandenburger Tor Tradition ist. Auch der BUND hält das – bei gleichzeitigem Verbot von privater Pyrotechnik – für einen guten Kompromiss. Zumal so neben dem Feinstaub auch ordentlich Müll vermieden werden könnte. Am letzten Neujahrstag vor der Pandemie sammelte die Berliner Stadtreinigung immerhin rund 400 Kubikmeter Müll von den Straßen, ein nicht unwesentlicher Teil davon waren Böllerüberreste.

Auch für Wild- und Haustiere ist Silvester eine »Schreckensnacht«, sagt Eva Rönspieß zu »nd«. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Tierschutzvereins für Berlin und Umgebung, der ein generelles Verbot von Feuerwerken anstrebt. Nicht nur, weil der Feinstaub für Tiere genauso gefährlich sei wie für Menschen. Die meisten Tiere nähmen Lärm- und Geruchsbelastung viel intensiver wahr, was Stress und Panik auslöse. Viele Wildtiere würden vor Schreck auf Straßen laufen und Unfälle verursachen. Vögel hätten einen Fluchtinstinkt nach oben. »Die fliegen bis zur Erschöpfung und sterben dann«, sagt Rönspieß. Manche Tiere seien noch Tage später verängstigt, denn die Böllerei könne »traumatisch wirken« – vor allem, weil es auch Menschen gebe, die Tieren Feuerwerkskörper hinterherschießen.

Katzenbesitzer*innen rät sie, ihre Tiere spätestens ab dem Silvesternachmittag nicht mehr rauszulassen. Hunde sollten möglichst mit Geschirr Gassi geführt werden, da sie sich aus einem Halsband bei Panik leichter losreißen könnten. Aber auch Kaninchen und andere Kleintiere sollten so gut wie möglich vor Lichtern und Lärm abgeschirrmt werden. Die 1300 Bewohner des Berliner Tierheims würden ebenfalls leiden, »unser Gelände ist ein regelrechter Böllertreffpunkt«, ärgert sie sich.

Dass die Knallerei noch immer nicht verboten ist, obwohl mehrere Verbände das seit vielen Jahren forderten und es sogar mehrheitsfähig sei – laut einer Umfrage im Auftrag der Verbraucherzentrale Brandenburg stimmen 53 Prozent der Befragten einem Böllerverbot zu –, nennt Rönspieß »frustrierend«. Wenn eine solche Tradition nicht mehr zeitgemäß ist, könne man doch damit brechen. Ein zentrales Feuerwerk anstelle privaten Geböllers fände auch sie einen Schritt in die richtige Richtung. Bei den Verbotszonen wurde dagegen nur an die menschliche Sicherheit, nicht an die Tiere gedacht – die gibt es am Alexanderplatz nämlich ohnehin kaum.

Da Feuerwerk bekanntlich zu allem Überfluss sehr ins Geld geht, startete der Berliner Tierschutzverein Mitte Dezember die Kampagne »Spenden statt Böllern«. Der Appell an die Berliner*innen: das Geld lieber in den Tierschutz investieren.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!