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Milliarden für die Migrationsabwehr
Die Macht und das Geld von Frontex sind in der EU beispiellos
1995 haben sieben europäische Regierungen im Rahmen des Schengener Abkommens alle Kontrollen an ihren Binnengrenzen abgeschafft. Als Ausgleich schreibt der Vertrag gemeinsame Regeln zur Überwachung der EU-Außengrenzen vor. Zehn Jahre später, im Januar 2005, nahm deshalb die Grenzagentur Frontex in Warschau ihre Arbeit auf.
Das Akronym für Frontex leitet sich von dem französischen Wort für Außengrenzen ab (frontières extérieures). Der offizielle Name lautete damals »Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der EU«. Darin steckte eine wichtige Botschaft an die einzelnen Regierungen, die nämlich ihre hoheitlichen Aufgaben – der polizeiliche Grenzschutz gehört dazu – nicht komplett an Brüssel abgeben wollten.
Die Schaffung der EU-Grenzagentur war deshalb ein – aus heutiger Sicht vorläufiger – Kompromiss. Als zwischenstaatliche Einrichtung sollte Frontex den Schutz der Außengrenzen teilweise »europäisieren«. Sie durfte keinesfalls selbst grenzpolizeiliche Operationen durchführen, sondern die Mitgliedstaaten darin begleiten und unterstützen. Dieses Prinzip sollte die EU jedoch schrittweise über Bord werfen.
Mit einer neuen Verordnung im Jahr 2007 wurden die Kompetenzen von Frontex maßgeblich erweitert. Die Agentur sollte etwa sogenannte Soforteinsatzteams aufstellen, die über ähnliche operative Befugnisse wie die Beamten des aufnehmenden Mitgliedstaats verfügen.
2014 stellte sich die EU zur Migrationsabwehr neu auf, Frontex erhielt dabei eine Schlüsselrolle. Mit der Umbenennung in »Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache« 2016 wurde Frontex erstmals selbst eine Verantwortung für Überwachung und Kontrolle der EU-Außengrenzen übertragen.
Frontex darf seitdem selbst Ausrüstung anschaffen und begann sofort mit dem Aufbau einer eigenen Luftüberwachung mit gecharterten Flugzeugen und Drohnen von zentraler Bedeutung. Seitdem werden im Mittelmeer Boote mit Geflüchteten nur noch aus der Luft beobachtet und in vielen Fällen die libysche Küstenwache informiert, um die Menschen zurückzuholen.
Nun will die Agentur ihre Überwachungsfähigkeiten auch noch verbessern, so sollen etwa Videokameras an Luftschiffen in der Stratosphäre kreisen. Jedoch erstickt Frontex regelrecht an den vielen neuen Datenquellen. Deshalb fließen viele weitere Millionen in Analyseverfahren mit Künstlicher Intelligenz.
Die bislang letzte Änderung der Frontex-Verordnung erfolgte 2019. Die Agentur darf zukünftig unter alleiniger Verantwortung Abschiebeflüge durchführen und errichtet dazu ein »Europäisches Rückkehrzentrum« unter Leitung des deutschen Bundespolizisten Lars Gerdes.
Der Grenzagentur wird außerdem erlaubt, eine »Ständige Reserve« von insgesamt 10 000 Beamten aufzubauen. Ein Drittel davon wird zukünftig direkt aus Warschau kommandiert. Diese als »Kategorie 1« bezeichnete Truppe trägt eigens entworfene Uniformen und Waffen von Frontex und wird mit Schlagstöcken, Handschellen, Pfefferspray und kugelsicheren Westen ausgerüstet.
Mit dieser Neuerung hat sich die EU endgültig von dem einstigen Grundsatz verabschiedet, dass Frontex ausschließlich Polizeien aus den Mitgliedstaaten unterstützen soll. Die Agentur ist nun kaum mehr kontrollierbar: Das Europaparlament kann allenfalls über das Budget entscheiden, ansonsten regelt die Frontex-Verordnung die komplette Unabhängigkeit von Weisungen einer übergeordneten Stelle.
Diese Übermacht zeigt sich auch am Jahresbudget. Dieses Jahr erhielt Frontex satte 754 Millionen Euro, dabei sind die Ausgaben für Forschungen noch gar nicht mitgezählt. 2005, zur Gründung der Agentur, waren es noch sechs Millionen.
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